Impuls zum zweiten Sonntag im Advent

07.12.2020

„Es kommt nicht darauf an, wie lange man wartet, sondern auf wen man wartet!“ Der Saxaphonist Joe beruhigt mit diesem Satz die Sängerin Sugar - wunderbar gespielt von Marilyn Monroe -, die auch bei diesem Rendezvous wieder viel zu spät auftaucht. Ich war zwei Jahre alt, als der Filmklassiker „Manche mögens heiß“ im Jahr 1959 in die Kinos kam. Aber gut zwei Jahrzehnte später hat er sich für mich immer noch gelohnt.

Ich frage mich schon: Wann habe ich zum letzten Mal beim Warten einfach die Zeit vergessen? Zumal in Coronazeiten, in denen ja sowieso niemand kommen soll. Warten – wenn es aus Liebe geschieht, spielen die Zeit und die Umstände eigentlich doch gar keine Rolle. Alles vorbereitet für einen Menschen, der mir vor allen anderen wichtig ist. Die Wohnung mit einem Hauch von liebevoller drapierter Unordnung wohnlich gemacht, das Essen gekocht, den Tisch gedeckt, den Rechner mit schöner Musik an die Anlage angeschlossen, voller Erwartung auf das, was dieser Abend verheißt. Das Hohelied der Liebe macht daraus gleich ein ganzes Büchlein. Es lässt keinen Zweifel daran, dass die Liebe, die es beschreibt, sich nicht nur im Genuss köstlicher Früchte erschöpft. Es freut mich immer wieder, dass sich Lust und Erotik durch die Hintertür des Irrtums, hier würde die Liebe zwischen Gott und den Menschen beschrieben, mitten hinein in die biblische Vielfalt geschmuggelt hat!

Wenn das Klingeln ausbleibt, macht sich zuerst Sorge breit, ehe Verärgerung und Enttäuschung folgen. Dabei will die Vereinbarung einer gemeinsamen Zeit die Liebe nur berechenbarer machen. Davon abhängen kann sie nicht. Zumindest wenn es Liebe ist. Jahr für Jahr übe ich mich im Advent auf dieses Warten aus Liebe – und weiß am Ende oft nicht einmal, ob ich nicht doch vergeblich gewartet habe. Manchmal lässt Gott sich eben überraschend anders entdecken. Manchmal klingelt es am Ende doch noch an der Tür. Und ein unbekümmertes „Da bin ich schon!“ lässt allen Ärger auf einen Schlag zusammenfallen. Das vorausgegangene Warten mit all seinen aufschäumenden Emotionen lässt die Liebe mit einem Mal in ihrer Schönheit und Größe aufscheinen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.