25.04.2020

Ich liebe die Sonntage nach Ostern schon allein ihrer Namen wegen. Sprechende lateinische Namen. Den Kehrversen der alten Psalmvertonungen entnommen. Fast alles sind Imperative. Aufforderungen: Singt! Jubiliert! Betet! Der Name des kommenden Sonntags weicht von diesem Prinzip ab. Zunächst jedenfalls. Er enthält eine Aussage darüber, wie Gott ist. Misericordias Domini, zu deutsch das „Erbarmen des Herrn“.

In der Tradition des Kirchenjahres spricht man häufig vom Sonntag des guten Hirten. Auch wenn man bis in die Gegenwart immer wieder Hirten mit Schafen sehen kann - ein modernes Bild ist das des Hirten ja nicht. Und niemand will sich ja ernstlich mit einem Schaf vergleichen lassen. „Du dummes Schaf!“ – weit ist es dann womöglich bis zu diesem Aufruf nicht mehr. Der Auferstandene als Hirte – so ganz eingängig ist die Perspektive also nicht, die mit dem Bild des Hirten verbunden ist.

Gut, dass im Bild des Hirten noch einmal mehr mitschwingt als dass ich mich mit der Rolle eines blökenden Schafes zufriedengebe. Mit diesem Bild wird Gott beschrieben. Fast kindlich-fürsorglich im 23. Psalm. Als derjenige, der für mich Vorbild sein will, im 1. Petrusbrief, aus dem der Predigttext für diesen Sonntag entnommen ist. Erneut ist Vorsicht geboten. Das Bild vom Hirten, mit dem der auferstandene Christus beschrieben wird, schließt eine Ermahnung an die Sklaven ab, sich in ihre Abhängigkeit zu „schicken“, wie es so schön heißt. Ausrichten sollen sie sich am Beispiel Jesu, der sich trotz erlittenen Unrechts nicht gewehrt habe.

Murren möchte ich, Widerstand einlegen, wenn die Sklaverei hier noch theologisch überhöht werden soll – wenn die Begründung nicht wäre. Da werden Sätze eines Propheten zitiert, dessen Namen wir nicht kennen, dessen Worte uns aber ab Kapitel 40 im Jesaja-Buch überliefert werden. Von einem „Knecht Gottes“ singt dieser Prophet gleich mehrere Male. Keinen Widerstand leistet dieser Knecht Gottes. Ehrlich bleibt er, unabhängig davon, was es ihm bringt. In die Bresche springt er für die anderen, statt immer nur den eigenen Vorteil im Blick zu haben.

Das Modell dieses gerechten Gottesknechts bringen Menschen in Kleinasien gegen Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. mit Jesus von Nazareth in Verbindung. Widerstand leistet er, ohne auf Gewalt zu setzen. Kein „Das sollst du mir büßen!“ Doch am Ende die Auferstehung setzt den ins Recht, der auf Gesten der Macht verzichtet. „Seinen Spuren sollt ihr nachfolgen!“, so der Schreiber des 1. Petrusbriefs. „Diesen Jesus sollt ihr euch zum Vorbild nehmen. Seinen Fußstapfen sollt ihr nachfolgen“. Und damit sind wir am Ende doch wieder bei den Imperativen angelangt. Und können den Blick zuversichtlich schon jetzt auf die kommenden Sonntage richten.

In der gegenwärtigen Phase der Corona-Krise ist die Zustimmung zu vielen Entscheidungen nicht mehr ganz so einhellig wie am Anfang. Widerstand regt sich. Gegenüber den Schulschließungen. Gegenüber manchen nach wie vor geschlossenen Geschäften und Hotels. Gegenüber den nicht stattfindenden Gottesdiensten in Kirchenräumen. Einfach nur zu schweigen, wie ein Lamm, bleibt hinter dem zurück, was uns als Bürgerinnen und Bürgern unseres Gemeinwesens zusteht. Aber statt nur Lobbyarbeit in eigener Sache zu machen, denen, die entscheiden, grundsätzlich guten Willen zu unterstellen, wäre schon der Anfang einer Atmosphäre, die für Kompromisse gut geeignet ist. Vorbilder auf der Suche für gute Lösungen für möglichst Viele!

"Der hat gut reden“, höre ich den einen oder die andere sagen – ob auf den Schreiber des 1. Petrusbriefes oder auf mich gemünzt. „Gut reden“, nicht etwas schönreden, das ist das Amt, mit dem Gott Menschen betraut, die Aufgabe, die er ihnen zumutet. Bei allen Problemen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, in den Intensivstationen, in der Vorenthaltung lebenswichtiger Beziehungen, gerade auch in der teilweise heruntergefahrenen Ökonomie, kommt es auch darauf an, „gut“ zu reden, das Gute in unserem Reden nicht gänzlich außen vor zu lassen, gute Wege aus der derzeitigen Situation heraus zu finden. Ohne Solidarität geht das nicht! Solidarität zwischen denen, die das durchhalten können, und denen, die gerade auch ökonomisch am Abgrund stehen. Solidarität zwischen denen, die in Depression zu fallen drohen, und denen, deren Zuversicht sich als erstaunlich krisenfest erweist. Hier könnte sich das an sich ja eher antiquiert wirkende Modell des Guten Hirten als erstaunlich aktuell taugliches Vorbild erweisen. Denn der hat die Lasten der anderen zu den seinen gemacht, sie „aufs Holz getragen“

Vielleicht liegt die große Chance dieser gegenwärtigen Krise genau in dieser Umwertung vertrauter Rollenzuschreibungen. Nach rechten Hirten (und Hirtinnen!) Ausschau zu halten, der Barmherzigkeit des Herrn zu vertrauen, um noch einmal an den Sonntagsnamen zu erinnern. Zuletzt auch sich an diesem Auferstanden zu orientieren, dessen Vorbildfunktion ja deutlich quer liegt zu dem, was wir für nachahmenswert halten. Und am Ende kommt uns dabei einmal mehr die Bonhoeffer’sche Einsicht zu Hilfe, dass wir allemal erst „im Vorletzten“ leben – und dass da noch etwas aussteht: Gutes für uns und für unser Leben. Gott sei Dank!

Jesu, geh voran auf der Lebensbahn!
Und wir wollen nicht verweilen, dir getreulich nachzueilen;
führ uns an der Hand bis ins Vaterland.

Rühret eigner Schmerz irgend unser Herz,
kümmert uns ein fremdes Leiden, o so gib Geduld zu beiden;
richte unsern Sinn auf das Ende hin.

Nikolaus Ludwig Graf von Zinsendorf 1725

 

Gebet
Dir nachfolgen in guten Tagen, Gott, dazu bin ich gerne bereit
Wenn wahr wird, was ich mir wünsche, orientiere ich mich gern an dem, was ich als deinen Willen zu erkennen glaube. Wenn mir gelingt, was ich mir vornehme, dann bin ich nur zu gerne überzeugt, dass du Gutes für mich im Sinn hast.
Dankbar bin ich, dass mir solche Tage immer wieder geschenkt sind.

Dir nachfolgen in dunkeln Tagen, Gott, dazu fehlt mir oft die Kraft und der Mut.
Wenn ich mich eingeschränkt fühle in meinen Möglichkeiten, vergesse ich leicht, wie gut es mir immer noch geht. Wenn der Erfolg ausbleibt und meine Träume in sich zusammenfallen, mache ich dich gerne dafür verantwortlich.
Dankbar bin ich, dass solche Tage nicht mein täglich Brot sind.

Dir nachfolgen in unbekannte Tage, Gott, das gelingt mir, wenn ich mich ganz auf dich verlasse.
Wenn ich mutig den ersten Schritt setze, ohne mich nach allen Seiten hin abgesichert zu haben. Wenn ich mit offenem Herzen auf die zugehe, die auf meine Solidarität und meine Nächstenliebe angewiesen sind.
Dankbar bin ich, dass mein Glaube beim Gang übers Wasser in deiner Nachfolge kühn wird und ich eine Ahnung bekomme, was Auferstehung bedeutet – auch in meinem Leben. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.