"Der Segen der Hanna!" - Morgenimpuls beim Pfarrkolleg "Predigttexte zu Advent und Weihnachten"

26.11.2020

„Ich würde gerne wissen, was die Hanna gesagt hat!“ (Zitat einer teilnehmenden Person)

36Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser. Sie war hochbetagt. Nach ihrer Jungfrauschaft hatte sie sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt 37und war nun eine Witwe von vierundachtzig Jahren; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. 38Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten

Der Segen der Hanna

Jetzt hat er sich schon wieder vorgedrängelt. Ich kenne das ja. Solange er da ist, drängelt er sich vor. Er ist ja halt ein Mann. Und er wird den Messias sehen, ehe er stirbt. Jeden Tag erzählt er mir davon. Ich kann’s schon nicht mehr hören. Und ich bin sicher: In Tausend Jahren wird man immer noch von ihm reden. Und ich bleibe mal wieder außen vor. Dabei bin ich schon ein halbes Jahrhundert hier im Tempel. Natürlich hier draußen. Als Frau darf ich ja nicht rein.

Ich hab‘ ja auch mein Thema. Aber mein Thema ist nicht der Messias. Messias-Theologie ist Männer-Theologie. Ein Macher, der’s richten wird. Anders können die sich das gar nicht vorstellen. Ich glaub‘ ja auch, dass irgendwann alles besser wird. Aber wie, darüber mach ich mir keine Gedanken. Wie’s gehen wird, das weiß ich bei Gott gut aufgehoben. Am Ende wird alles gut, das glaube ich fest. Weil Gott es gut machen wird. Mit mir. Mit diesem sonderbaren alten Simeon. Und mit mir auch. Aber noch ist nicht alles gut. Darum kann es jetzt auch noch nicht das Ende sein.

Er wird den Messias sehen sagt Simeon jeden Tag. Natürlich er. Er ist ja auch etwas Besonderes. Nur frage ich mich: Warum soll er den Messias sehen? Und warum vor mir? Wie er sich diesen Leuten anbiedert. Diesem Paar mit dem Neugeborenen. Und jetzt lächelt er sogar. Lächeln hab‘ ich den überhaupt noch nie gesehen. Diesem Kind lächelt er entgegen. Ja gibt’s denn sowas! Der alte Simeon lächelt. Und irgendwas sagt er jetzt auch. Ich glaube, ich hör nicht recht! „Gott, jetzt lässt du deinen Diener in Frieden sterben. Meine Augen haben deinen Gesalbten gesehen.“ Meinen Gesalbten! Meint er etwa dieses Kind?

Jetzt drängel ich mich auch einmal nach vorne. Ja, schon ein besonderes Kind. Sieht so aus, wie alle anderen Kinder auch. Aber ich spür auch: Dieses Kind geht mich an. Irgendwie. Ein Kind als Wegweiser in die Zukunft. Kein Kaiser. Kein mächtiger Soldat. Ein Kind. So unbedarft wie dieses Kind. So lebendig. Und doch noch so auf seine Eltern angewiesen. Auf seine Mutter auf jeden Fall. Der Vater scheint sich etwas zu sehr zurückzuhalten.

Joseph heißt er, habe ich gehört. Und sie Maria. Also den Joseph, der steht immer etwas in der zweiten Reihe. So wie ich. Macht ihn mir sympathisch. Die Maria, die scheint den Laden zusammenzuhalten.

Und jetzt schaut dieses Kind mir direkt in die Augen. Unschuldige Kinderaugen. So wie Gott uns Menschen gemeint hat. Genauso stelle ich mir den Menschen vor, der eine Ahnung hat, wohin die Reise meines Lebens geht. Pure Bedürftigkeit. Absichtsoses Lächeln. Noch nicht festgelegt, was aus ihm werden könnte.

Ja, irgendwie verstehe ich den Simeon. Hier hat er ausnahmsweise einmal recht. „Werdet wie ein Kind, dann steht euch der Himmel offen!“ Unsere Lehrer sagen das. Der Simeon glaubt das. Und ich, ich glaub‘s irgendwie auch.

Komm, Kind, lass dir einen Segen zusprechen. „Kind, von Gott gesandt, deine Augen haben die meinen erleuchtet. Dein Lächeln hat mein Gesicht weichgemacht. Deine Offenheit gibt meinem Leben Weite. Deine Art, einfach ein Kind zu sein, lässt lange Verschüttetes in mir aufbrechen. Sei gesegnet, Kind. Und werde anderen zum Segen. Deiner Maria und Deinem Joseph. Dem nervigen Simeon und mir, die ich immer zu kurz gekommen bin. Und all den vielen, die dir noch begegnen. Gott sei mit dir – und durch dich mit vielen! -

Ach, was bin ich glücklich heute. Für diesen Tag hat sich mein Leben gelohnt. Danke dir, mein Gott, dass du mir nahekommst. Und mir jetzt nahe bist. Und nahe bleibst. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.