Geistliches Wort zum Palmsonntag
Stärker als das Virus verbreitet sich die Liebe

03.04.2020

Der Palmsonntag ruft seit meiner Kindheit innere Bilder in mir auf. Straßen, von Menschen dicht gesäumt, wie bei einem festlichen Umzug. Alle schauen gebannt in eine Richtung. Da reitet einer auf einem Esel. Die Menschen schwenken Palmzweige. Werfen ihre Kleider auf die Straße. „Hoschianna“ rufen sie ein ums andere Mal. „Gott, hab Erbarmen mir uns!“ Es klingt aber nicht wie ein verzweifelter Hilferuf. Eher wie der Fan-Gesang in einer unserer Event-Arenen. Kein Zweifel, für viele Menschen ist dieser Festtag einer der Höhepunkte des Jahres, für andere sogar ihres Lebens.

Unter den Bedingungen der Kontaktreduzierung, unter denen wir heute leben, wäre dieses Fest untersagt. Übrig bliebe nur noch die verzweifelten Rufe des „Hoschianna“ – jetzt aber wirklich als ernstgemeinte Bittrufe an Gott verstanden. Übrig bliebe aber womöglich auch die Sehnsucht, es möge einer kommen, der all dem, was mich belastet, Einhalt gebieten könnte, in diesen Tagen vor allem der Verbreitung dieses unberechenbaren Virus, dessen Auswirkungen wir inzwischen längst alle zu spüren bekommen.

Ich finde es ungemein tröstlich, dass der Predigttext (Markus 14,3-9) für den diesjährigen Palmsonntag uns zwei Modelle des Umgangs mit einer Krise vor Augen stellt, die auch heute noch tauglich sind. Um es gleich zu sagen: Beide Modelle haben ihr Recht, auch wenn in der Begebenheit, von der die Bibel berichtet, der eine den Vorzug vor dem anderen zugesprochen bekommt.

Da wird von einer Frau erzählt, die Jesus mit einem sehr teuren Öl salbt. Dass einige der Jünger hier von Verschwendung reden und ökonomisch argumentieren, liegt doch nahe. In heutige Logik übersetzt: Die Diakonie hätte mit dem Geld Leben retten können. Jesus argumentiert mit dem Gegenmodell: Noch stärker als das Virus verbreitet sich die ansteckende Wirkung der der Liebe. Durch nichts lässt sie sich eindämmen. Und nachhaltig ist sie obendrein. Ihre Verbreitungskurve geht auch nach zweitausend Jahren immer noch nach oben. Diese Erfahrung können wir gerade in diesen Tagen machen. Menschen setzen sich für andere ein, bis an die Grenze ihrer Kräfte, mit dem Risiko, sich selber zu infizieren: in den Krankenhäusern, in Pflegeinrichtungen, in der nachbarschaftlichen Hilfe.

Der biblische Erzähler argumentiert im Blick auf die Einmaligkeit der Person Jesu. Daher bewertet er die kritische Position der Jünger negativ. Aus unserer heutigen Perspektive betrachtet, lassen sich beide Positionen verbinden. Mit Weitblick und auch mit der nötigen finanziellen Unterstützung lässt sich die Ausbreitung der Liebe unterstützen und fördern. Das kann auch meine Sorgen und mein Unbehagen, auch meine Ängste reduzieren. Mitten in allem Erleben der Krise gibt es Wege der Vernunft, um unter diesen Rahmenbedingungen zu leben. Sie verlangen uns Ungewohntes ab. Aber aus Gründen, von denen wir am Ende alle profitieren. Und von der neuen Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist im Leben, am Ende womöglich auch.

Im Übrigen: Dem, von dem die Menschen in Jerusalem eine Veränderung der Verhältnisse erwartet haben, können wir auch heute noch unser „Hoschianna“ entgegenrufen. Er verändert auch heute noch Menschen nachhaltig und wirkungsvoll meine Lebensumstände. So kann ich hoffnungsvoll darauf vertrauen, dass Ostern wird. Schon in einer Woche werden wir heilsam daran erinnert: Am Ende siegt das Leben - und die Liebe!

Lied (EG 209)

Es heißt, dass einer mit mir geht,
der's Leben kennt, der mich versteht,
der mich zu allen Zeiten kann geleiten.
Es heißt, dass einer mit mir geht.

Sie nennen ihn den Herren Christ,
der durch den Tod gegangen ist;
er will durch Leid und Freuden mich geleiten.
Ich möcht', dass er auch mit mir geht

Gebet

Gott, schöpferische Kraft der Liebe,
an die will ich denken,
die sich von deiner Liebe haben anstecken lassen,
durch all die Jahrhunderte hindurch, bis heute.
Nichts kann mich bedrohen,
wo deine Liebe den zerstörerischen Kräften den Boden entzieht –
ja da, wo deine Schöpfung das Dunkel in Schranken weist
und für immer licht bleibt

Gott, in mir atmend durch deinen Geist,
du hast meinen Geist durchdrungen.
Mit meinem Verstand kann ich Wege ersinnen,
damit deine Liebe unaufhaltsam Raum gewinn unter uns!
Mit deiner Phantasie finde ich Lösungen,
die ich vorher nicht im Blick hatte –
ja auch dann, wenn mir, wie beim Kampf gegen dieses Virus,
nur der Verzicht auf Nähe und das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung
als Möglichkeit bleiben.  

Gott, Mensch gewordene Liebe in Jesus.In ihm hat Hand und Fuß bekommen,
wofür du uns Menschen gedacht und geschaffen hast
Mich selber anzunehmen, wie ich bin,
mich einzusetzen für andere mit all meiner Kraft –
an ihm richte ich mich aus,
um allen zersetzenden Kräften
keine Macht zu geben über mich -
ja um nicht irre zu werden am Leben. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.