Ansprache anlässlich der Trauerfeier für Landesbischof i.R. Dr. Ulrich Fischer in der evangelischen Kirche in Neulußheim

27.10.2020

Wenn ich mich an Ulrich Fischer erinnere, erinnere ich mich an seine Liebe zur Musik. Dieses gesungene Bekenntnis zur Auferstehung, das wir eben in dieser Arie aus Händels Oratorium „Der Messias“ gehört haben – es fasst wunderbar zusammen, was Ulrich selber so ähnlich immer wieder in eigenen Worten formuliert und so auch geglaubt hat.

Als Bibeltext für die Ansprache bei seiner Beerdigung hat er eine andere Art von Bekenntnis ausgewählt. Einen Text des kräftigen Widerstehens gegen alles vorschnelle Übereinkommen, dass wir keine Zukunft haben. Es sind diese bekannten Verse aus dem 73. Psalm, die er sich für heute gewünscht hat. Es ist für Euch beide ein alter Text, liebe ..., ein Text, der schon einmal Euer Leben begleitet und beleuchtet hat, damals, vor bald fünf Jahrzehnten als Euer Trautext. Da heißt es:

Dennoch bleibe ich stets an dir;
denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,
du leitest mich nach deinem Rat
und nimmst mich am Ende mit Ehren an.
Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
so bist du doch, Gott, allezeit
meines Herzens Trost und mein Teil.

Als aufs Wesentliche konzentrierte Deutung seiner Lebensgeschichte – so kommen mir diese Verse vor. Geschrieben hat er seine Lebenserinnerungen ja für Euch festgehalten. Ulrich hat sein Leben als ein Leben im „Dennoch“ gelebt, ein ums andere Mal. Und er hat sich nicht abbringen lassen von seiner Überzeugung, dass er mit diesem Gottesglauben auch auf schweren Wegstrecken die rechte Wahl getroffen hat. „Bis zuletzt“, so stand‘s in Eurer Traueranzeige zu lesen, „erfüllte ihn große Dankbarkeit für sein reiches Leben sowie sein Glaube an die ewige Geborgenheit bei Gott!“

Ulrich Fischers Leben war ein „Dennoch“ gerade jetzt, in den letzten eineinhalb Jahren seit der ersten Diagnose. Nein, kein weggeworfener Glaube, sondern die – auch schmerzlich errungene Erfahrung, dass der Glaube trägt. Dass er trägt auch in der Spannung zwischen dem „Gerne leben wollen“ und dem „Getrost auf den Tod zugehen“, wie er das in einem Interview vor einem Jahr selber in Worte gefasst hat.

Doch schon vorher war dieses „Dennoch“ längst in sein Leben gezogen. In Gestalt einer über sieben Jahrzehnte robusten Gesundheit – wahrhaftig keine Selbstverständlichkeit angesichts der Macht von nicht wenigen gesundheitlichen Einschränkungen und schweren Erkrankungen im engsten Kreis seiner Herkunftsfamilie. „Ich bin in meinem Dienst nie ernsthaft krank gewesen“ – durchaus mit dankbarem Stolz habe hat er diesen Satz sagen können. Aber dass er gehalten ist von Gottes „rechter Hand“ - im Leben schon und nicht erst im Sterben, das erlebt er dann ein ums andere Mal.

Ulrich wächst in Stelle in der Nähe von Lüneburg auf, als zweitjüngster von fünf Geschwistern. Zum Studium der Theologie zieht es ihn dann in Richtung Süden, zuerst nach Göttingen. Dann weiter nach Heidelberg. In der Woche, in der Hermann Maas vor genau 50 Jahren beerdigt wurde, sei er nach Heidelberg gezogen, so erzählte er mir noch vor Kurzem. Der Gottesdienst in der Heiliggeistkirche in Heidelberg zum Gedenken an diesen Todestag, heute vor einem Monat, war der letzte, der er besuchen und mitfeiern konnte.

„Du hältst mich bei meiner rechten Hand.“ Das erweist sich im Sinn des Wortes bei Eurer Hochzeit im Jahre 1973, liebe ... – wo anders als beim Singen hättet Ihr Euch begegnen und lieben lernen können. Über die Jahre kommt dann Ihr drei als Töchter dazu. Mit Euren Männern und den jetzt sieben Enkeln hat sich der Segen längst auch in die nächsten Generationen spürbar Wirkung entfaltet. Und immer wieder konntet Ihr Euch auf Eurem Pferdehof als familiärem Stammsitz hier in Neulußheim versammeln. Für Ulrich Ort der Natur, Heimat, Raum für den Einsatz noch ganz anderer Gaben in einem.

„Du leitest mich nach deinem Rat!“ Der Rat, es mit dem „Dennoch“ zu wagen, wird zum Kernzeichen seines Wirkens als Pfarrer. Widerspruch, vor allem da, wo er die Schöpfung in Gefahr und die Gerechtigkeit verletzt sieht, etwa bei Gehaltsfragen, aber auch beim Nord-Süd-Konflikt. Als Gemeindepfarrer engagiert er sich zunächst in Sandhausen, dann aber vor allem in zehn prägenden und schönen Jahren in Kirchheim. Danach folgen die umtriebigen Jahre als Landesjugendpfarrer. Dann noch eine kurze Zeit als Dekan in Mannheim.

Zuletzt und ganz entscheidend:  die eineinhalb Jahrzehnte als Landesbischof unserer badischen Kirche von 1998 bis 2014. Ulrich Fischer hatte Freude an diesem Amt des Landesbischofs. Ihm war gerade in dieser besonderen Herausforderung vor allem eines wichtig: Er wollte auch hier Pfarrer sein. Auf die Frage eines Schülers beim Besuch einer Schulklasse, was er denn als Bischof am liebste mache, war die Antwort klar: Gottesdienste! Kein Wunder, dass Ulrich sich auch im Ruhestand in den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste wählen lässt. Er will auch auf diese Weise mit dafür sorgen, dass unter die Leute kommt, was seinen Glauben ausmacht.

Dass Altbischof Klaus Engelhardt als sein Vorgänger und Jochen Cornelius-Bundschuh als sein Nachfolger im Bischofsamt heute hier dabei sind, bringt gerade die Wertschätzung der Ausübung des bischöflichen Amtes durch Ulrich Fischer zum Ausdruck. Die Landeskirche wird diesen Einsatz noch in einer eigenen Gedenkfeier würdigen.

Ulrich Fischer bezieht ein ums andere Mal Position, streitbar, wenn es sein musste, wählt nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern macht aus Grundüberzeugungen seines Glaubens auch politisch keinen Hehl, bis hin zu seiner  vielbeachteten Mitarbeit, als es darum geht, die evangelische Stimme einzubringen, um in der nationalen Ethikkommission den Ausstieg aus der Kernenergie mit vorzubereiten.

„Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.“ All sein Einsatz entspringt seinem tiefen Glauben. Seinem Gehaltensein in Gott. Dabei ist sein „Dennoch“ des Glaubens keines, das griesgrämig daherkommt. Sein herzliches Lachen ist sein Markenzeichen. Und klingt bei Euch, bei vielen von Ihnen hier in der Erinnerung auf. Dazu seine Lust und Liebe am Sport. Als Leichtathlet schon in seiner Jugend. Joggend, wie er vielen in Erinnerung ist. Aber auch beim Fußball. Beim Spielen. Und als leidenschaftlicher Zuschauer. Er kann noch nach Jahren von manchen Spielen bis ins Detail berichten.

Zuletzt – und eigentlich zuerst -  die eingangs schon erwähnte Liebe zur Musik. Im Singen. In einer ganzen Reihe von Chören von der Studentenkantorei bis zuletzt hier in Neulußheim. Im Musizieren mit dem Cello. Vor allem im geliebten Triospiel. Und natürlich: im Spiel der Posaune. Im Mitspielen und Einspringen. Auf den Synodentagungen. Aber auch als Obmann der Bläserinnen und Bläser unserer badischen Landeskirche. Bis vor Kurzem auch im Vorsitz im Evangelischen Posaunendienst auf EKD-Ebene.  Das Mitwirken der Bläser heute ist ein kleines Zeichen eines großen und unüberhörbaren Dankes!

Es ist diese Liebe zur Musik, die Ulrich Fischer in den letzten Wochen und Tagen erfreut und tröstet – bis zuletzt. Es sind die vielen Aufnahmen von Konzerten und Oratorien, die seiner Seele guttun. In deren Hören der er die bergende Nähe Gottes erfahren kann.

In denen für ihn wahr wird, was dieser 73. Psalm nicht ausspart: „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ Im Erleben der Krankheit, die sich auf Dauer nicht therapieren und besiegen lässt, im Nachlassen, ja im Verschmachten der körperlichen Kräfte, bleibt ihm dieser Trost. Ja, gibt er ihn an Euch weiter, die ihr ihn doch so gerne in Eurer Mitte behalten hättet. Ob Gott hier ungerecht sei, dieser Frage stellt er seinen großen Dank entgegen. „Ich habe doch ein schönes Leben gehabt!“ Vielleicht auch: „Ich habe mein „Dennoch“ in guten Tagen leben dürfen. Und will ihm jetzt nicht absagen.“ 

Dass sein Weg nicht ins Nichts führt, steht für ihn außer Frage. „Am Ende werden wir bei Gott sein!“, sagt er im Interview. „Am Ende steht doch Gottes Herrlichkeit“, sagt er mir noch vor Kurzem. Nicht anders klingt das als in der Arie, die wir vorhin gehört haben. Nicht anders als in dem Choral, den wir jetzt gleich hören, dem Schlusschoral aus Bachs Johannespassion:

Alsdann vom Tod erwecke mich,
dass meine Augen sehen dich
in aller Freud, o Gottessohn,
'mein Heiland und mein Gnadenthron.“

So bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil!“ Wenn Ulrich Fischers große Dankbarkeit ihn getragen hat bis zuletzt, wenn sein Glaube ihm den Himmel nicht zu entreißen vermochte - was bleibt uns, als zu versuchen, es ihm gleichzutun! Und aus seinem Getrost-Sein den einzigen Trost für uns zu gewinnen.  Euch wünsch ich’s. Und uns allen. Heute. Im Leben. Und dann auch im Sterben. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.