Adventsandacht zum Lied "Das Volk, das noch im Finstern wandelt" (EG 20)
Ein Lied macht Karriere! Ein Lied, das die bessere Zukunft besingt - im Angesicht einer verheerenden Gegenwart. Ein Lied, dessen Text so eindrücklich ist, dass er unausrottbar in der Welt ist. Nachgedichtet. Nachgesungen. Immer und immer wieder neu. Bis heute. „Das Volk, das im Finstern wandelt sieht ein großes Licht. Und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell."
Auch ich möchte dieses Lied jetzt mit ihnen singen. Seinen Gedanken ein wenig nachspüren. Seine Töne hörbar machen. Und seinen Gedanken zu ihrem Recht verhelfen.
Strophe 1: Das Volk, das noch …
Ein Lied macht Karriere! Jesaja hat dieses Lied singen lassen. Oder es wird ihm zumindest zugeschrieben. Gegen Ende des 8. Jahrhunderts vor Christus.
"Geh hin und lausche, weil Gott handelt.“ Was wir eben gesungen haben - Ahas, der König von Juda, will davon nichts wissen. Er setzt auf sein eigenes Handeln. Er schmiedet eine Koalition der Kriegswilligen. Will mit den Assyrern gegen Syrien und das Nordreich in den Krieg ziehen. Seine Machtlust hebelt seinen Gottesglauben aus. Er möchte das Gesetz des Handelns selber in der Hand haben.
Die Menschen haben die politischen Ränkespiele ihres König satt. Sie sehnen sich nach einem neuen Herrscher. Dass ihr König ein Nachkomme Davids ist, hat ihnen, so sagen sie, auch nicht weitergeholfen.
Ernst ist die Lage. Düster die allgemeine Gestimmtheit. Davon handelt die zweite Strophe.
Strophe 2: Die ihr noch wohnt im Tal der Tränen
Ein Lied macht Karriere! Das Lied des Jesaja schafft es in die Weihnachtsgottesdienste. Kaum eine Christvesper ohne dieses „Das Volk, das im Finstern wandelt!“ Dabei ist es gar kein weihnachtlicher Text. Jesaja wusste nichts von Weihnachten. Aber die Sehnsucht hält sich durch. Die Menschen suchen Licht – gerade in finstern Tagen. Bis heute ist das so.
Auf den, der von sich selber sagt: „Ich bin das Licht der Welt“ – auf den schienen diese Strophen des Jesaja doch genau zu passen. Hatte Jesaja nicht einen neuen Nachkommen auf dem Thron Davids angekündigt? Ihn mit wunderbaren Namen versehen? Schon seine Geburt – ein Hinweis auf das Handeln Gottes! Ein Nachkomme des großen Königs David – und alles wird neu! Nichts bleibt mehr wie es war. Grund zum Jubeln allemal. Und Grund zum Singen! Auch wenn Wunsch und Wirklichkeit oft weit auseinanderklaffen.
Strophen 3 und 4: Er kommt mit Frieden …
Noch einmal: Ein Lied macht Karriere! Im Jahre 1956 schreibt der niederländische Historiker Jan Willem Schulte Nordholt eine Geschichte Afroamerikas. Ihr Titel: „Das Volk, das im Finstern wandelt“. Eine Geschichte der Befreiung ist das. Ein Buch, das zeigt: Die Wende zum Besseren könnte gelingen.
Der Bibelvers lässt Jan Willem Schulte Nordholt nicht los. Drei Jahre später, im Jahre 1959 schreibt er ein Gedicht dazu. Mit neun Strophen. Ein Gedicht, das noch auf die Stiefel der Nazis und der Soldaten reagiert. „Kein Kind, das nachts erschrocken schreit, weil Stiefel auf das Pflaster schlagen.“ Ein Lied, das aber zugleich voller Hoffnung auf andere Zeiten ist.
Frits Mehrtens, Dozent für Kirchenmusik in Driebergen, vertont das Lied. Kunstvoll. Ursprünglich mit zwei Melodien, eine für die geradzahligen und eine für die ungeradzahligen Strophen. Drei Quartschritte hintereinander am Beginn jeder Strophe. Aus dem Dunkel dieser Erde heraus und hinauf ins Licht.
In den 70er Jahren wird das Lied in eine bedeutende ökumenische Liedersammlung in den Niederlanden aufgenommen. Allerdings ohne die letzte Strophe. Einige tun sich schwer damit, dass alle vor Gott ihr Recht bekommen. Dass bei Gott niemand auf Dauer außen vor bleibt. Die refomierten Kritiker verunglimpfen diesen Glauben als „Allversöhnung“.
Jürgen Henkys übersetzt das Lied anfangs der 80er Jahre ins Deutsche. Fasst die 6. Und 7. Strophe der ursprünglichen Fassung in eine zusammen. So kommt es auch in unser Gesangbuch. Zum Glück auch mit der letzten Strophe. Die Strophen 7 und 8 singen wir jetzt miteinander:
Strophe 7 und 8: Dann wird die arme Erde allen
Zum letzten Mal: Ein Lied macht Karriere! Es passt so wunderbar auch in unsere Zeit. Vieles gibt es, was unsere Gegenwart verdüstert. Gewalt und Unfrieden. Flucht, die am Stacheldraht endet. Oder, wenn‘s gut geht, in einem Flüchtlingslager. Und dann ist da immer noch dieses Virus. Wie ein Schatten legen sich seine Auswirkungen auf viele Seelen.
Wie gut, dass jetzt Advent ist. Wie gut, dass ich weiß: Ich habe etwas zu erwarten. Weihnachten ist kein Fest der Rührseligkeit. Es ist das Fest der Gewissheit: Gott geht unsere Wege mit. Am Ende wird alles gut. Wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.
Dass wir gute Aussichten haben, das feiern wir im Advent. Davon singen wir jetzt auch mit den Strophen 5 und 6:
Strophen 5 und 6: Man singt: „Ein Sohn ist uns …
Fürbitten
Gute Aussichten haben wir, Gott.
Müssen nicht auf Könige und wundersame Retter setzen. Sondern auf den einen, in dessen Angesicht wir dich selber erkennen.
Gute Aussichten haben wir, Gott.
Dunkelheit – nicht für immer. Krankheit und Tod – nicht für immer. Konflikte und Krieg – nicht für immer. Du lässt dein Licht aufleuchten über uns. Du machst unsere Welt hell.
Gute Aussichten haben wir, Gott.
Du zeigst uns Auswege aus allen Krisen. Du lenkst unseren Blick weg von dem, was mir allein dient, hin zu dem, was allen zukommt. In deinen Augen erkennen wir uns als Kinder einer Erde. Als Schwestern und Brüder. Du lässt uns spüren. Wir kommen voneinander nicht los. Von den Menschen links und recht neben mir. Und von dir.
Im Vertrauen auf sich beten wir mit den Worten, die wir dem zu verdanken haben, auf den wir warten in diesem Advent:
Vaterunser