Wort zum Tag (SWR 2)

06.04.2021

„Die Knotenlöserin“ - eigentlich ist es ein Kinderbuch. Um eine geheimnisvolle Frau geht es, die sitzt einfach am Brunnen. Die, die zu ihr kommen, Menschen, Tiere, alles, was sich bewegen kann, bringen mit, was in ihrem Leben verschlungen und verknotet ist. Jeder dieser Knoten könnte  für etwas ganz Konkretes stehen: eine Beziehung, die nicht mehr so recht weitergeht, ganz gewöhnliche Alltagsprobleme, die Angst vor einer bösen Diagnose, die Trauer um den Menschen, der so unerwartet gestorben ist. Die Knotenlöserin löst die Knoten auf, ganz sorgfältig und behutsam. Und alle gehen irgendwie gelöst und beschwingt davon.

Eine österliche Geschichte, finde ich. Jesus, um den es an Ostern ja geht - er ist den Menschen auch einfach nah gewesen. Wo immer er Menschen begegnet, da heilt, da löst er, was sie einengt. Doch die, die ihre Herrschaft sichern möchten, wollen ihn zum Verstummen bringen. Und am Ende ins Grab. Aber zuletzt ist auch der Tod entknotet. Und der Stein vor seinem Grab weggeschoben. Die Frauen, die das Grab leer vorfinden, fürchten sich. Zusammen mit den Jüngern bringen sie sich hinter verschlossenen Türen in Sicherheit. Die Begegnung mit dem Auferstandenen ändert mit einem Mal alles. Ihre Angst löst sich. Sie spüren, dieser Tod war nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang.

Selten habe ich die Sehnsucht, dass sich der Knoten, der das Leben derzeit engmacht, löst, so sehr gespürt wie in diesen Ostertagen. Die Hoffnung darauf, einander wieder näher zu kommen. Die Erwartung, dass die Impfung so etwas wie einen Schutzmantel über mein Leben legt.

In den biblischen Berichten, in denen der Auferstandene Jesus seinen Freundinnen und Freuden erscheint, grüßt er sie mit den Worten: „Friede sei mit euch!“ Das ist mehr als ein Wunsch. Das ist eine Zusage, wie wenn er sagen wollte: „Ich löse die Knoten eures Lebens. Ich bringe euch mit, was euch fehlt.“ Frieden, ja. Aber für uns heute auch die Kraft, gut und bewahrt durch diese Zeiten der Pandemie zu kommen.

So könnte Ostern in meinem Leben ganz schnell konkret werden. Als Hoffnungsgeschichte, die mich in diesen schwierigen Zeiten trägt. Die mich aushalten lässt, was eigentlich über alle Kräfte geht. Und die im Gruß des Auferstandenen, in seinem „Friede sei mit dir“ auf die Spur der Gewissheit stößt: Sogar mitten in der Pandemie kann es Ostern werden.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.