Geistliches Wort zu Johannes 7,37-39 am Sonntag Exaudi

16.05.2021

„Bist du schon geimpft?“ Immer öfter höre ich diese Frage in meinem Umfeld. Ein kleiner Tropfen einer nach intensiver Forschungsarbeit aufwändig hergestellten Medizin, hineingespritzt in meinen Oberarm, ist die Ursache größter Hoffnungen. „Bist du schon geimpft?“ Wer diese Frage bejaht, kann sich mancher Neider sicher sein. Aber das gehört bald der Vergangenheit an.

Die große Hoffnung auf Veränderung ist in diesen Tagen mit Händen zu greifen! Nicht nur aus dem Bereich der Politik und der Medizin kommen die Signale der Hoffnung. Ich spüre sie allenthalben um mich herum. Viele fangen an, wieder Pläne zu schmieden. Begegnungen und gemeinsame Unternehmungen. Urlaub und Feste. In Worte gemalte Bilder, wie es bald wieder sein könnte. Da kommt plötzlich ein neuer Geist in die lange eher sorgenvolle oder gar düstere Grundstimmung.

Warten auf den neuen Geist – kein Wunder, eine Woche vor Pfingsten! Ein Bericht aus dem Evangelium des Johannes bringt diese Sehnsucht in einer Geschichte zum Ausdruck. Jesus besucht das Laubhüttenfest, zunächst eher in der Absicht nicht aufzufallen. Als der Festtagsbogen seinen Höhepunkt erreicht, tritt er aus seinem Inkognito-Status heraus. Jetzt hält er sich nicht mehr zurück. Er verlockt die Menschen, ihm zuzuhören. Nein, bescheiden tritt er hier gewiss nicht auf. Er formuliert seinen Anspruch mit einem kräftigen Bild. Nicht zum ersten Mal wählt er dieses Bild. Schon früher hat er es gegenüber der Frau aus Samarien gewählt, mit der er sich am Brunnenrand unterhält. Jesus nimmt in Anspruch, die Sehnsucht der Menschen zu stillen. Im einen wie im anderen Fall bietet er sich als Quelle des Lebens an. „Kommt her und trinkt!“ Eigentlich gefährlich, so mit den Sehnsüchten der Menschen zu spielen. Wenn heute Menschen auftreten und in verführerischer Manier für sich beanspruchen, das Monopol für Wege aus der Krise zu besitzen, läuten bei mir alle Alarmglocken. Ich ahne: Da geht’s eher um Populismus als um ein ernstgemeintes Angebot.

Doch Jesus wählt hier genau diesen Weg. Die Quelle des wahren Lebens und des lebendigen Wassers, die ist er selber. Und die, die aus ihr trinken, werden selber zu solchen Quellen. Auch aus ihnen fließt dann dieses Wasser heraus. Ein Lebensstoff, der die verändert, die ihn genießen. Weit mehr noch als bei einer Impfung. Die Impfung verhindert, dass ich für meine Mitmenschen noch länger eine Quelle der Gefährdung bin. Aber zu einer Quelle des Lebens werde ich derart noch immer nicht. Dazu braucht es andere Ursachen der Vitalität. Dazu braucht es eine Beglaubigung, die diesen Anspruch als berechtigt erweist. Da braucht es die Beglaubigung, die Jesus seinem Anspruch zugrunde legt.

Was Jesus im Bild des Wassers zu erklären versucht, wird an Pfingsten als Fest der Ausgießung des Geistes gefeiert. Erstarrtes Leben gerät wieder in Fluss. Wer heute auf den Schutz einer Impfung vertraut, will im Letzten weit mehr als nur vor einem Virus geschützt zu sein. Hinter dem Schutz verbirgt sich die Hoffnung auf einen Mehrwert an Leben.

Um diesen Mehrwert an Leben geht es Jesus ein ums andere Mal. Um diesen Mehrwert an Leben geht es, wenn Jesus sich als Quelle des Lebens ins Spiel bringt. Auf diesen Mehrwert an Leben hin wird Jesus so selber durchscheinend. Im Blick auf ihn tritt Gott selber heraus aus seiner Verborgenheit. Die Quelle kann fließen, weil ein anderer sie nährt. Meine eigene Quelle kann fließen, weil ein anderer zu meiner lebendigen Quelle wird.

Als Erfahrung des Geistes lässt sich diese Einsicht beschreiben. Genau das feiern wir in einer Woche an Pfingsten. In tiefer Depression reiß Gott den Vorhang der Niedergeschlagenheit entzwei. In ängstlicher Verzweiflung wird das „Dennoch“ des Glaubens zur tragenden Grundhaltung. In trostloser Lage bin ich ergriffen von kühnen Hoffnungen. „Geimpft“ von Gottes Geist falle ich nicht mehr hinter meine Sehnsüchte und Erwartungen zurück.

Beim Impfen muss man ein paar Tage warten, ehe der volle Impfschutz sich durchsetzt. Bei der Sehnsucht nach der neuen Welt Gottes warte ich nicht selten deutlich länger, ehe der Geist mich wandelt und neu in die Spur setzt. Aber dieses Warten hat es in sich. Es lässt mir Zeit, mich auf Gottes neue Welt einzustellen. Es lässt mich leben alleine schon von der Hoffnung, alles könnte am Ende noch schöner und heiler sein.

Dieser Geist Gottes ist nicht festgelegt auf zuvor vereinbarte Termine. Er entfaltet seine Wirkung, wenn ich ihm Raum gebe. Er lässt mich feiern – schon dann, wenn das neue Leben erst in Gestalt einer Sehnsucht präsent ist. Eine Woche noch bis Pfingsten. Eine Woche noch, bis sich die Frage meines Lebens wandelt. Nein – nicht mehr: „Bist du geimpft?“ Stattdessen möchte ich mich umso lieber fragen lassen: „Bist du begeistert?“ Und antworte dann - hoffentlich - mit einem fröhlichen „Ja!“

Gebet
Hören möchte ich, Gott, wie deine Worte meinen Horizont weit werden lassen.
Erleben möchte ich, Gott, dass du mein Leben zu einer Quelle lebendigen Wassers machst.
Feiern möchte ich, Gott, wie dein Geist mich durchpulst und zu einer neuen Schöpfung befreit.
Vorwegnehmen möchte ich, Gott, dass ich bin, was du mir längst zugesagt hast:
frei, heil, voller Hoffnung – begeistert!
Amen.

Lied
Ref.: Die Sache Jesu braucht Begeisterte.
Sein Geist sucht sie auch unter uns.
Er macht uns frei, damit wir einander befrein.

Wer verzweifelt ist, wer verbittert klagt,
wer entfremdet lebt, wer befreit sie zur Hoffnung?
Ref.: Die Sache Jesu braucht Begeisterte …

Wo Fronten sind, wo Grenzen trennen,
wo Mauern steh'n, wer befreit uns zum Gespräch?
Ref.: Die Sache Jesu braucht Begeisterte …

Wo Schreie sind, wo Hunger herrscht.
wo Elend haust, wer befreit uns zur Gerechtigkeit?
Ref.: Die Sache Jesu braucht Begeisterte …

Text: Alois Albrecht – Melodie Peter Janssens (1972)

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.