Predigt /Taufansprache im OpenAirGottesdienst auf dem Lipple (Malsburg-Marzell)

04.07.2021

Liebe Gemeinde!

Es ist grad kein Sommer wie jeder andere. Nicht nur wegen des sehr wankelmütigen Wetters. Die Inzidenzzahlen sind niedrig. Wir dürfen wieder etwas freier Gottesdienst feiern. Auch wieder miteinander singen. Aber im Hintergrund steht immer wieder die Sorge, wir könnten doch noch nicht über dem Berg sein. Die Sorge, wir seien vor einer neuen Welle, verursacht durch das Delta-Virus, nicht sicher.

Grund dafür: Sommerzeit ist immer auch Reisezeit. Und die Sehnsucht nach Urlaub, nach Wegfahren, nach Tapetenwechsel ist groß. Endlich mal wieder die Welt mit neuen Augen sehen. Endlich mal wieder diese Pandemie etwas vergessen können! Aber wenn alle kreuz und quer durch Europa fahren, dann reist das Virus eben gerne mit.

Wer reist, ist offen für Neues. So wie die Hauptperson im Predigttext. Aus dem Nordosten Afrikas hat es da einen Menschen in die Ferne gezogen. So wie die Tausende, die jetzt jeden Tag wieder in den Schlangen auf den Flughäfen stehen.

Immer wieder sind in den Nachrichten kurze Interviews mit solchen Flugreisenden zu sehen. Gefragt, warum sie ausgerechnet jetzt mit dem Flugzeug auf Reisen gehe, antwortet eine Frau: „Ich will endlich mal wieder den offenen Himmel über mir erleben!“

Um den offenen Himmel geh es auch in dem Predigttext, den ich für diesen Gottesdienst ausgewählt habe. Reisen, Sommer, Taufe – alles kommt darin irgendwie vor. Die Hauptperson: der Finanzminister von Nubien, irgendwo im Grenzbereich der heutigen Staaten Sudan und Äthiopiens gelegen – da, wo es gerade in diesen Wochen wieder entsetzlich kriegerisch zugeht.

Die Geschichte des Predigttextes ist dagegen eine mit Happyend. Schließlich endet sie mit dem Satz: "Und er zog seine Straße fröhlich weiter!"

Jetzt aber der Reihe nach. Manche haben die Geschichte auch schon erkannt. Die Geschichte von einem, den auch die Sehnsucht nach dem offenen Himmel über sich durch die Welt treibt.

Hört, was in der Apostelgeschichte mit knappen Worten von dieser Reise berichtet wird:

Ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.

Allzu viel weiß der Reisende wohl nicht von den religiösen Gepflogenheiten und Werten in Jerusalem. Dort wird er ein Fremder sei. Ein Exot. Den Innenbereich des Tempels darf er gar nicht erst betreten. Er gehört nicht dazu.

Doch der prächtige Tempel mit den großartigen Ritualen und Opferhandlungen - er kann ihn ja auch von außen bestaunen. Ein buntes Menschengemisch aus vielen Ländern der damals bekannten Welt. Eine Religion mit klaren Vorgaben. Und vor allem: mit einem hohen ethischen Anspruch, der ihn fasziniert. Eine einzige Gottheit, die so ganz anders ist als der große Götterhimmel der Religion in seiner Heimat.

Im Tempel-Shop hat er sich einen besonderen Wunsch erfüllt. Er hat sich ein teures Reiseandenken erstanden. Eine Buchrolle. Nicht des Inhalts wegen. Davon versteht er ohnedies nicht viel. Es genügt ihm zu wissen: Dieses Buch ist ein heiliges Buch. Mit diesem Buch hat er einen Zipfel jener Wahrheit über den offenen Himmel.

Ein Reiseandenken besonderer Art ist diese Schriftrolle. Sie kann helfen, etwas von der besonderen Atmosphäre Jerusalems nach Hause mitzunehmen.

In der Apostelgeschichte lesen wir, wie die Reise weitergeht:

Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja: »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben.“

Mit dem Akzent des Fremdsprachigen liest er einen Abschnitt der Buchrolle laut vor sich hin. Seine vielen Reisen haben schließlich auch seinen Sprachschatz erweitert.

Manchmal, denkt der Reisende, manchmal, da geht es mir doch auch so: „Einsatz bis an die Grenzen der eigenen Kräfte. Und der Erfolg, die Anerkennung bleiben aus. Oder es erntet sie ein anderer. Und ich selber werde niedergemacht.“

Doch düstere depressive Gedanken – sie sind nicht das Letzte, was von dieser Reise berichtet wird. Ganz überrascht sieht er einen Mann am Straßenrand. Die Apostelgeschichte nennt auch seinen Namen. Philippus. Gottes Geist hat ihn dahin beordert. Der reisende Minister hat keine Eile. Er hat Zeit. Und die Reise ist noch lang. Eine Begegnung, ein gutes Gespräch bringt sicherlich Abwechslung. Er lässt anhalten und bietet dem Mann die Mitfahrt an. Kontakte mit Einheimischen. Auch davon würde er zu Hause stolz erzählen können.

Stolz zeigt er dem Mitfahrer sein Souvenir. Und liest ihm vor, was er eben gelesen hat. "Wie kannst du das verstehen?“, fragt sein Gesprächspartner. "Verstanden hab‘ ich‘s auch nicht", gibt er zur Antwort. "Aber es hat mich angesprochen." "Kein Wunder", sagt sein Gesprächspartner. "Da ist von einem die Rede, der sich niemals zu schade war. Eigentlich wissen wir nicht, wer mit diesem Gottesknecht gemeint ist. Aber in dem, was wir von ihm da lesen, finden wir uns irgendwie aufgehoben. Weil Gott ihm seine Nähe nicht entzieht. Nicht einmal dann, als es für ihn um Leben und Tod geht."

Der Reisende in Sachen Religion denkt nach. "Es muss euch guttun, euch in der Nähe Gottes zu wissen", sagt er dann. „Gott scheint auf eurer Seite zu stehen!“ „Auch bei uns kann Gott einem durch die Hände gleiten", gibt ihm sein Gesprächspartner zur Antwort. "Niemals kannst Du seiner habhaft werden. Aber selbst als große Lücke spürst du ihn immer noch."

Erneut schweigt der Nubier. Dann sagt er: "Euer Gott – einmal erscheint er mir ganz nah. Dann als großes Gegenüber. Einmal als zugewandt und dann doch wieder so fremd und erhaben. Einmal so. Und einmal anders. Ist der Graben nicht zu breit zwischen seiner und unserer Wirklichkeit?" "Es gibt Brücken", sagt sein Gesprächspartner. "Für mich sogar die Brücke. Einen gibt es, der den Menschen nah gekommen ist. Auch mir ist Gott in diesem einen ganz nah gekommen. Selbst im Tod war die Gegenwart Gottes in ihm nicht aufgehoben."

Und der Kundige in Sachen Religion erzählt, was er weiß. Und was er glaubt. Der eine fragt. Der andere bleibt ihm die Antwort nicht schuldig. Von Jeschua erzählt er, dem guten Menschen aus Nazareth, in dem ihm Gott so unüberbietbar aufgeleuchtet sei. Und er erzählt von der Möglichkeit dazuzugehören - gratis und ohne Anrecht. Einfach so.

Der Nubier wird hellhörig. Ja, dazuzugehören, das wär’s! Verbunden sein mit anderen, die in ihrem Leben auf der Suche sind. Auf der Suche auch nach Gott. Fündig zu werden, ohne immer wieder mit nicht wirklich gestillter Sehnsucht von der Reise nach Hause zu kommen. "Ja, ich will auch dazugehören", sagt er. "Habt ihr kein Zeichen dafür?"

Philippus hat ihm wohl mit sehr eindrücklichen Worten erzählt. Von der Kraft des Zeichens des Wassers. Von der Möglichkeit der Taufe. Abtauchen und Auftauchen. Tot sein und lebendig werden. Das Alte ablegen und neu anfangen.

Hören wir noch einmal auf den Bericht der Apostelgeschichte:

Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse?

Wenn Philippus so eindrücklich erzählt – kein Wunder, dass der Fremde Reisende ihn beim Wort nimmt. "Hier ist Wasser", sagt er voller Erwartung. "Ich will auch durchs Wasser gezogen werden. Und dazugehören. Ich will lebendig wieder auftauchen. In eurer Mitte. Was sollte dagegensprechen?"

Und so geht der Bericht weiter:

Und Philippus ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Danach zog er seine Straße fröhlich weiter.

Was sollte also dagegensprechen, wenn ein Mensch angezogen ist vom Zeichen der Taufe? Fröhlich und neugeworden entsteigt der Nubier dem Wasser.

Es ist die Erfahrung dazuzugehören. Zu denen zu gehören, die verbündet sind durch das Zeichen des Wassers. Gezeichnet sein vom Wasser des Lebens. Diese Erfahrung lässt ihn seinen Weg fröhlich ziehen.

Diese Erfahrung wird hoffentlich auch Luca seinen Weg fröhlich ziehen lassen. Und wir alle wünschen ihm, dass er nach und nach entdecken kann, was es heißt dazuzugehören. Zur weltweiten Gemeinschaft der vom Wasser des Lebens gezeichneten. Zur fröhlichen Kirche Gottes auf dieser einen Erde.

Wir wissen nicht, wie dieser neugetaufte Minister zu Hause von seinen Erfahrungen berichtet hat. Es muss sehr eindrücklich gewesen sein. Denn die äthiopische Kirche wächst in einem fulminanten Tempo. Sie gehört zu den ältesten Kirchen der Welt. Und sie ist die größte orthodoxe Kirche des Ostens. Wir können an ihrem Reichtum heute auch bei uns teilhaben. Längst leben viele äthiopisch-orthodoxe Christen mitten unter uns. Viele sind als Geflüchtete gekommen. Wir können mit ihnen das Fest der Erinnerung an ihren ersten Täufling feiern. Beflügelt von der Zugehörigkeit zum großen Volk Gottes in dieser Welt.

Was hindert uns, in der Erinnerung an das Zeichen unseres Taufwassers aufeinander zuzugehen. immer wieder neu Nachfolge zu wagen? Getaufte tauchen nicht einfach nur ab. Sie tauchen auch immer wieder auf. Mitten im Leben. Sie sind Kirche. Zusammen mit vielen anderen. Zusammen mit uns. Mit dir. Und mit mir.

Manchmal bräuchte es dazu nicht mehr als die Bereitschaft, uns an unsere Taufe erinnern zu lassen. Uns Glauben schenken zu lassen so groß wie ein Senfkorn. Es bräuchte dazu nicht mehr als einen kleinen Zipfel Gottvertrauen. Mehr nicht. Das reicht, um den offenen Himmel über uns zu sehen.

Dem Luca wünsche ich das. Ihnen, den Eltern und Paten. Und uns allen. Amen. 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.