Geistliches Wort zu Johannes 12,20-24 zum Sonntag Lätare

14.03.2021

Auch bei den Jüngern Jesu gab‘s schon eine innere Hierarchie. Zumindest was ihre Prominenz angeht. Eine ganze Reihe von ihnen haben in der Tradition Beinamen bekommen. Namen, die ihre Rolle beschreiben. Petrus, der „Fels“, den kennen die meisten. Aber auch Jakobus und Johannes, die beiden Brüder, die später – vielleicht ihres aufbrausenden Wesen wegen - die „Donnersöhne“ genannt werden. Der zweifelnde „Zwilling“ Thomas, der erst sehen und dann glauben wollte. Und natürlich der „Schwertträger“ Judas, der, der Jesus verraten und ans Messer geliefert hat.

Philippus ist ein Jünger aus der zweiten Reihe. Ein Hinterbänkler gewissermaßen. Nicht so im Blick wie die eben genannten. Aber er ist mir gerade deshalb sympathisch und nahe. Philippus wird von uns oft zu Unrecht übersehen. In der Bibel ist das nicht so. Im Evangelium des Johannes hat er eine klare Rolle. Philippus ist der Türöffner. Er ist der, der die Beziehungsfäden knüpft. Seine Aufgabe ist es, Menschen den Kontakt zu diesem Jesus zu ermöglichen.

Philippus ist ein Netzwerker. Petrus und Andreas kennt er schon aus einer Heimatstadt Bethsaida. Wer weiß, womöglich hat er damals die beiden auf Jesus aufmerksam gemacht. Auf jeden Fall weist er einen anderen Freund auf Jesus hin. Nathanael: „Wir haben den gefunden, von dem schon bei Mose und den Propheten die Rede war! Komm und schau selber!“, fährt er fort, „ich kann dir den Kontakt zu diesem Rabbi herstellen.“

Philippus hat seinen Ruf weg. Wer Kontakt zu Jesus sucht, wählt am besten den Weg über ihn. Das hat sich wohl herumgesprochen. In Jerusalem wird gefeiert. Laubhüttenfest. Unter Jesus ist unter den Festgästen. Mehr noch: Er ist unter spektakulären Bedingungen in Jerusalem eingezogen. Das hat Aufsehen erregt. Viele fragen sich: Wer ist der? Was hat es mit ihm auf sich?

Eine Gruppe von Griechen, wie es heißt - aus damaliger Perspektive also jüdische Gottesgläubige aus der griechisch sprechenden Provinz - will sich selber ein Bild von Jesus machen. Sie wenden sich an Philippus, den Netzwerker. „Wir haben schon viel von diesem Jesus gehört. Über seinen Freund Lazarus, den er aus dem Grab geholt hat. Sein Einzug unter dem Jubel der Menge – so als sei er der Messias. Stelle uns doch bitte den Kontakt zu ihm her. Wir wollen uns selber ein Bild von ihm machen!“

Dieses Mal ist Philippus unsicher. Er sucht Unterstützung. Bei Andreas. Dem Jünger aus der ersten Reihe. Beide wenden sich gemeinsam an Jesus. Was der sagt, bringt ihr Bild von ihm gehörig durcheinander. So redet keiner, der sich für einen Promi hält. Der zu denen da oben dazu gehören will. „Ich bin nicht der, für den andere mich halten. Hier in Jerusalem kommt ans Licht, dass alles ganz anders ist. Auch mit mir. Nur wer sein Leben riskiert, wer‘s drangibt, wird’s am Ende gewinnen. Wer für die anderen eintritt, findet zu sich selber. Wie mit einem Korn Weizen ist das. Wenn ich‘s loslasse, es dem Boden anvertraue, kann eine neue Ähre draus hervorwachsen. Nur wenn ich meinen Verfolgern nicht ausweiche, ja, wenn ich den Tod scheue, kann ich für andere die Tür zum Leben öffnen.“

Philippus wird’s gespürt haben. Nicht auf den Kontakt zu einem, der zu den Großen gehört, kommt es an. Vielmehr auf den Kontakt zu dem, der mein eigenes Leben auf einmal groß erscheinen lässt. Indem er das Kleine groß und das Unansehnliche schön und liebenswert macht. Indem er denen, die herauskatapultiert werden aus dem Machtspielen dieser Welt, ihre Würde zurückgibt. 

Ich finde, dieser Text passt wunderbar in diese Wochen der Passionszeit. Gerade weil ich sie als Wochen der Einübung in eine neue Sicht auf mein Leben verstehen will. Indem ich auf den blicke, der sich aufmacht bis hin zu allen Grenzen des Lebens, kann ich mit meinem Leben Grenzen überwinden.

Ich finde, dieser Text passt auch wunderbar in diese Anfangswochen des zweiten Jahres mit dem Corona-Virus. Gerade weil er mir zu verstehen gibt, dass diese Zeit auch einen Weg der Umkehr und des Umdenkens eröffnen kann. Nicht nur für mich privat. Sondern auch für unsere Gesellschaft als Ganze.

Ich finde, dieser Text passt auch wunderbar in diese Welt, in der grenzenlose Vernetzung, das unaufhörliche Knüpfen an Beziehungen scheinbar die Grundlage aller Lebensperspektiven darstellt. Philippus, der Netzwerker, hat seine Lektion gelernt. Hat sie schmerzlich lernen müssen. Die Kommunikation, auf die’s am Ende im Leben ankommt, muss den umgekehrten Weg wählen. Den Weg der Barmherzigkeit. Nicht den der Macht. Den Weg an die Ränder. Um neu die Mitte zu finden. Den Weg des Weniger, um den Mehrwert des Lebens zu gewinnen. Und in dem Einen auch den Weg des Todes, damit ich ins Leben finde.

Netzwerker und Netzwerkerinnen Gottes sind darum gesuchte Leute. Menschen einzuknüpfen in das große Netz der Liebe, mit dem Gott diese Welt umspannt, das ist wahre Lebenskunst. Für Hinterbänkler. Und für die in der ersten Reihe.

 

Gebet

Gott, du löst die Knoten, die mich am Leben hindern. Du knüpfst mich neu ein in dein Netz des Lebens. Selbst im Fallen bewege ich mich auf dich zu.

Gott, du liebst die Wege in Gegenrichtung und mutest uns den neuen Blick zu. Die Übersehenen und Übergangenen stellst du uns vor Augen. Auch in meiner Schwäche lässt du deine Möglichkeiten aufblühen.

Gott, dein Himmel ist kein Ort in unerreichbarer Ferne. Schon das kleine Glück macht den Horizont weit. Der seidene Faden, an dem meine Zukunft hängt, hindert mich am Taumeln, weil es deine Hände sind, die ihn halten.

Amen.

 

Lied

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt –
Liebe lebt auf, die längst erstorben schien:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Im Gestein verloren Gottes Samenkorn,
unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn –
hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

EG 98, 1+3 (T: Jürgen Henkys, 1976 – M: Frankreich 15. Jahrhundert)  

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.