Geistlicher Impuls im Gottesdienst zum Beginn der Stadtsynode Heidelberg in der Lutherkirche

08.07.2021

Es ist Juli. Der Monat, der seinen Namen Gaius Julius Caesar verdankt. Der Monatsspruch für den Monat Juli steht in der Apostelgeschichte. Im 17. Kapitel. Dort heißt es:

Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.

Auf dem Areopag spricht Paulus diese Worte. Mitten auf dem Marktplatz. Mitten in der Stadt. Mitten in Athen. Paulus in einer seiner vielen Rollen. Hier im interreligiösen Dialog. Mit Epikureern und Stoikern. Mit religiösen Menschen und mit Skeptikern. Mit enttäuscht Suchenden und solchen, die ihre Antworten lautstark vor sich hertragen. Wir wissen nicht genau, wann Paulus in Athen war. Aber es gibt durchaus neutestamentliche Fachleute, die eher den Sommer als wahrscheinlich halten. Paulus heute also als Sommerprediger – besser noch als Dozent an einer Sommer-Akademie.

Ich lade Sie ein, noch einmal auf den Monatsspruch für den Juli zu hören, dieses Mal im etwas größeren Zusammenhang. Allerdings nicht auf einmal, sondern dem Bericht der Apostelgeschichte und dem theologischen Impuls des Paulus entlanggehend.

Einige epikureische und stoische Philosophen verwickelten Paulus in ein Streitgespräch und meinten: »Was will dieser Schwätzer eigentlich?« Andere sagten: »Anscheinend verkündet er irgendwelche fremden Gottheiten.« Sie nahmen ihn mit zum Areopag und fragten: »Was ist das für eine neue Lehre, die du da vertrittst? Können wir mehr darüber erfahren?«

Paulus – angefragt in einer ganz neuen Rolle. Paulus als Anwalt und Fachmann theologischer Bildung. Und das unter multireligiösen Bedingungen! Was wäre passender bei einer Synode, in der es um das Amt der Schuldekanin geht.

Hier spricht nicht der pharisäisch gebildete jüdische Theologe über das Verhältnis der Glaubenden aus Israel zu denen aus den Völkern. Hier setzt sich nicht der Apostel der Heiden mit den konservativen Erwartungen der Gemeinde in Jerusalem auseinander. Hier macht nicht der bisweilen schon sehr unduldsame Paulus seine theologischen Gegner nieder.

Nein, hier erleben wir Paulus als religiös geprägten Menschen im Diskurs mit anderen Sinnstiftungsanbietern. Mit Philosophie und griechischer Götterwelt. Paulus im interdisziplinären und im interreligiösen Dialog!

Paulus erweist sich als ausgewiesener Fachmann in theologischer Bildung. Er unternimmt mit denen, die ihm zuhören, einen virtuellen Lerngang durch das religiöse Athen. Am Ende nimmt er den Platz am Pult ein, um eine kleine Vorlesung zu halten.

Paulus trat in die Mitte des Areopags und sagte:» Bürger von Athen! Ich bin durch die Stadt gegangen und habe mir eure heiligen Stätten angeschaut. Dabei habe ich auch einen Altar gefunden, auf dem stand: ›Für einen unbekannten Gott‹. Das, was ihr da verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch.

Paulus argumentiert nicht einfach im Rückgriff auf seine Bibel. Er zitiert auch aus der literarischen Welt der griechischen Dichtung. Er entwickelt das von ihm vorgetragene Gottesbild aus der Theologie der Schöpfung, ist aber bereit, mit anderen Gottesbildern im Kontakt zu bleiben. Er entfaltet seine Theologie so, dass sie anschlussfähig bleibt für Menschen, deren Vorstellungen von Gott ganz anders geprägt sind.

Es ist der Gott, der die Welt geschaffen hat und alles, was in ihr ist. Er ist der Herr über Himmel und Erde. Er wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand errichtet wurden. Er ist es doch, der uns allen das Leben, den Atem und alles andere schenkt. Er wollte, dass die Menschen nach ihm suchen – ob sie ihn vielleicht spüren oder entdecken können. Denn keinem von uns ist er fern. Durch ihn leben wir doch, bewegen wir uns und haben wir unser Dasein. Oder wie es einige eurer Dichter gesagt haben: ›Wir sind sogar von seiner Art.‹  

Höchst interessant, wie Paulus hier vorgeht. Er beschreibt die Menschen als Wesen, denen die Gott-Suche schon in ihrer DNA eingestiftet ist. Er sieht in Gott – gerade im Monatsspruch - nicht einfach ein fernes Gegenüber. Nein, Gott ist uns nah, ist der Lebensraum, in dem wir leben und weben und lebendig sind.

Der Ansatz ist weit und offen. Trotzdem verzichtet Paulus nicht darauf, sein eigenes religiöses Profil wahrnehmbar zu machen. Paulus legt seine Überzeugungen offen, spricht von Tod und Auferstehung und lässt sich von Kritik und Gespött nicht irre machen.

Es macht schon Eindruck, was dieser religiös gebildete Fremde berichtet und wie er argumentiert. Und der ersten Lerneinheit wollen einige durchaus ein weitere folgen lassen.

Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, lachten ihn einige seiner Zuhörer aus. Aber andere sagten: »Darüber wollen wir ein andermal mehr von dir hören!«

Paulus ergeht es hier nicht anders, wie vielen der Kolleginnen und Kollegen beim Unterrichten in der Schule. Er hat ein didaktisch gut entwickeltes Lehrprogramm. Er bezieht die Lebens- und Erfahrungswelt seiner Zuhörerinnen und Zuhörer mit ein. Er argumentiert weltoffen und aus der Kenntnis und Wertschätzung anderer Religionen heraus. Er stellt ehrliche Fragen und weiß nicht immer schon die Antwort. Er gestaltet seine Lehreinheit so interessant, dass einige sich schon auf die Fortsetzung freuen.

Dass Paulus das kann, verdankt er seiner ausgezeichneten Bildung. Dass junge Menschen, Schülerinnen und Schüler das heute auch lernen, dem dienen unsere Schulen. Auch unsere evangelischen Schulen. Als Kirchen der Reformation ist uns der Bildungsauftrag seit den Anfängen, seit Luther und Melanchthon in unser theologisches Erbgut eingeschrieben.

Religiöse Bildung hat unverzichtbar Teil am Bildungshandeln überhaupt. Dass wir dieses Amt eines Schuldekans oder einer Schuldekanin haben, ist ein öffentliches Bekenntnis zu unserer Bildungsverantwortung. Gut, dass dieses Amt auch hier in der Synode in den Blick rückt und hier auch sonst seinen Platz hat. Heute sogar im synodalen Wahlgeschehen.

Paulus, wäre er hier, hätte seine Freude daran. Und uns bringt‘s jetzt gleich am Anfang zum gottesdienstlichen Feiern. Kein schlechter Start in diesen letzten Teil dieses Juli-Tages. Und Gott wird’s uns an Weisheit und Mut nicht fehlen lassen. Amen.

EG 662,1-4: Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.