Paulus, die Taufe und das neue Leben - Predigt über Epheser 2,4-10, gehalten am 14. August 2021 (11.S.n.Tr.) im Gemeindezentrum Neuendorf und am 15. August 2021 in der Inselkirche in Kloster auf der Insel Hiddensee

15.08.2021

Liebe Gemeinde!

Es ist der 16. Juni 2021. Meine Frau und ich haben uns für den Abend, nach getaner Arbeit, einen Tisch in einem Gartenlokal reserviert, zum ersten Mal seit vielen Monaten. Wir feiern. 2 Wochen sind es her seit meiner zweiten Corona-Impfung. Nicht für alle ein Grund zum Feiern, ich weiß. Aber ich fühle mich seitdem irgendwie sicherer. Sehe nicht in jedem Menschen, der mir begegnet, eine Quelle der Gefährdung meiner Gesundheit. Ja, irgendwie kommt es mir vor, als sei ich einer bösen Welt entronnen. Und in einer anderen, besseren Welt angekommen.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil ich damals, vor acht Wochen, unwillkürlich an die Taufe gedacht habe. Nicht nur an meine eigene. Ich war damals keine drei Wochen alt, als ich getauft worden bin. Sondern an die Taufe überhaupt. Und vor allem an das, was ich in der Bibel über die Taufe der ersten Christinnen und Christen nachlesen kann. Sie haben ihre Taufe wie eine 180-Grad-Wende in ihrem Leben verstanden. Oft aus der alten Familie herauskatapultiert. Aber dafür in einer neuen Familie aufgenommen. Den alten Abhängigkeiten, den alten Verpflichtungen, den alten Gottheiten entronnen. Und in einer neuen Religion angekommen. In einer neuen Freiheit. Mit der Möglichkeit, das Leben noch einmal ganz anders zu sehen und ganz anders zu leben.

Was macht die Taufe mit mir? Was bewirkt sie überhaupt? Oder um mit den Worten von Hanns Dieter Hüsch zu fragen: „Was macht, das ich so furchtlos bin in an vielen dunklen Tagen?“

Eine Antwort auf diese Frage findet sich im Predigttext für diesen 11. Sonntag nach Trinitatis. Es ist ein kleiner Textausschnitt aus dem Epheserbrief. Viel zu klein als Antwort für diese große Frage. Der „Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Ephesus“ wie es korrekt heißt – er ist ein Traktat, ein Essay, das genau dieser Frage nachgeht.

Im Zentrum steht der Wandel, der Switch vom alten Leben in ein neues. Allerdings geschrieben in einer Sprache, die beim ersten Hören nicht gleich elektrisiert. Die sich in ihrer Bedeutung nicht gleich erschließt. Mit dieser Erfahrung stehen wir nicht allein. Im jüngsten Brief des Neuen Testaments, dem 2. Petrusbrief klagt der Schreiber auch: „Paulus redet von diesen Dingen in einer Sprache und in einer Weise, die nicht immer leicht zu verstehen ist.“

Ich lade sie also ein, sich hineinzuhören in den Anfang dieses Textausschnitts, genauer gesagt in einen einzigen Satz. Der lautet:

Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.

Ein Satz-Ungetüm! Die Sprache ist drastisch-klar – und wie gesagt, es geht um das Thema Taufe. Vorher tot – jetzt lebendig. Vorher arm – jetzt überschwänglich reich. Vorher im Zeitalter der Sünde – jetzt in neuen himmlischen Zeiten.

Ich bin immer überrascht und erfreut, wenn ich Menschen treffe, die heute genauso reden. Die sagen: „Ich bin getauft!“ Und die dann etwas ausstrahlen von der neuen Freiheit eines Christenmenschen. Bei Gästen aus der weltweiten Ökumene mache ich diese Erfahrung. Für sie ist die Taufe mehr als Sahne oder Zimt und Zucker auf dem ansonsten wie vorher aussehenden Lebenskuchen. Für sie ist die Taufe oft wirklich ein Ausstieg aus dem bisherigen Leben. Ein Bruch mit ihrer bisherigen Lebensgemeinschaft. Aber vor allem erleben sie die Taufe als eine wirkliche Befreiung.

Etwas davon wünsche ich mir auch bei uns. Ich wünsche mir den Mut, etwas von dieser Freiheit zu leben. Und zu erleben. Davon später noch mehr. Jetzt lade ich Sie erst einmal zum Singen ein:

Freude im Himmel! Gott gibt keinen Menschen verloren.
Himmlischer Jubel der Umkehr erfüllt meine Ohren.
Wag‘s und sei du! Trau Gottes Liebe doch zu,
dass längst ihr Blick dich erkoren.

Szenenwechsel – von der Erde in den Himmel! Turbulent geht es zu im himmlischen Büro des Paulus. Ein halbes Jahrhundert nach dem Ende seines irdischen Daseins. Wie gut, denkt Paulus, dass er im Himmel weiter an seiner Theologie arbeiten kann.

Paulus hat seine ganzen Schüler um sich versammelt. Timotheus, wie Paulus ein Grenzgänger zwischen den Kulturen, eine jüdische Mutter und ein griechischer Vater. Er steht Paulus ganz nahe, fast wie ein eigener Sohn. Titus ist da, der im Auftrag des Paulus nicht nur der Gemeinde auf Kreta gut durchorganisiert hat. Epaphras, der der Gemeinde in Kolossä nahesteht, vielleicht sogar aus ihr stammt, und der hilft, dort feste Strukturen zu entwickeln. Onesimus ist da, Johannes Markus und Aristarch. Auch Aquila und Priszilla, Textilhandwerker wie Paulus selber. Sie waren immer wieder gute Gastgeber für Paulus gewesen. Ja, sie haben für ihn auch einmal ihren Hals hingehalten, wie er Paulus einmal schreibt.

„Hast Du’s gesehen, lieber Paulus? Sie haben meinen Brief nach Kolossä neu herausgegeben. Gleich zwei Drittel fast wortwörtlich abgeschrieben. Und in der ersten Zeile gleich dich als Autor genannt.“ Epaphras ist außer sich vor Wut.

Da, lies mal, das ist doch von mir, was da im Brief nach Ephesus steht:

Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.

Paulus reagiert sehr gelassen. „Eigentlich ist es ja von mir. Mit deinem Brief an die Gemeinde in Kolossä war es ja auch nicht soviel anders, lieber Epaphras. Da haben ja neben dir noch etliche andere mitgeschrieben. Nur weniges stammt wirklich von mir. Das meiste habt ihr doch aus anderen Texten zusammengetragen. Du hast die einzelnen Teile dann gut miteinander verbunden. Und noch eigene Passagen eingefügt. Etwa die über die Taufe. Und am Ende habt auch ihr mich als den Schreiber des Briefes benannt.“

„Aber du hast immerhin dein ok dazu gegeben!“ Epaphras ist noch immer ordentlich aufgeregt. „Aber mit diesem Brief nach Ephesus hast du gar nichts zu tun. Es ist ja schon zwei Menschenleben her, dass sie dich in Rom umgebracht haben.“

Timotheus und Titus reden beide durcheinander. „Die Briefe an uns stammen ja auch nicht von dir, lieber Paulus. Und freigegeben hast du die auch nicht. Manches passt da überhaupt nicht zu dem, was du gelehrt hast. Darf denn jeder in deinem Namen Briefe unter die Leute bringen?“

Paulus versucht, die Wogen zu glätten. „Gut, dass sie bei dir abgeschrieben haben, Epaphras“, sagt er. „Dann kann ja so viel Falsches in dem neuen Brief nicht drinstehen. Sie haben ja auch eine Taufpredigt von mir mit hinein verarbeitet.

Im Übrigen: Ein paar Hinweise, wie das denn nun tatsächlich gehen könnte, dieses neue Leben nach der Taufe, die braucht es ja auch. Ich hatte ja damit gerechnet, dass die Welt noch zu meinen Lebzeiten an ihr Ende kommt. Jetzt scheint’s so, dass wir da noch eine ganze Weile werden warten müssen. Ich hatte da selber wohl auch einiges falsch verstanden.“

„Im Übrigen ist das kein Brief allein nach Ephesus!“ jetzt mischt sich Priszilla ein. In allen Gemeinden, in denen wir gelebt haben, kennen sie diesen neuen Brief, der angeblich von dir stammt. Nicht nur in Ephesus. Auch in Korinth. Sogar in Rom. Sie haben den Namen der Stadt auf dem Papyrus immer freigelassen. Und jede Gemeinde kann so ihren eigenen Namen einsetzen. Ganz schön clever. Ein Serienbrief. Auf diese Idee bist du selber gar nicht gekommen, lieber Bruder Paulus.“

„Stimmt!“, gibt Paulus zur Antwort. „mir kann’s nur recht sein, wenn so die Gute Nachricht unter die Leute kommt. Etwas weniger verschrobelt und verschachtelt hätten die den Brief allerdings schon schreiben können. Und vor allem in einfacherer Sprache. Die Leute sollen ihn ja auch verstehen können. Die Taufe, das ist ja schon ein zentrales Thema. Dieser neue Geist, der Menschen da ergreift – das muss unter die Leute!“

Genug des Einblicks in das himmlische Büro des Paulus. Gut, dass er auf die Weiterentwicklung seiner Theologie ein Augenmerk hat. Jede Generation wagt es aufs Neue, Paulus und seine Einsichten in die Gegenwart zu übersetzen. Sie ins Leben zu ziehen. In der Bibel ist das so. Da gibt es neben den Briefen, die Paulus selber geschrieben hat, eben auch solche, deren Autor wir nicht kennen. Und die sich auf Paulus als Autor berufen. So wie eben der Brief an die Gemeinde in Ephesus. Jedenfalls kennen wir nur die Abschrift, die nach Ephesus gerichtet war. Aber der Brief ging auch an andere Gemeinden. Spezifisches, das sich nur auf Ephesus bezieht, steht da nämlich gar nicht drin.

An Paulus haben sich aber auch die Theologen späterer Generationen abgearbeitet. Meist mit nachhaltigen Folgen. Augustinus etwa, im vierten und fünften Jahrhundert. Für ihn ist Paulus der große Theologe der Gnade. Und dann Martin Luther im 16. Jahrhundert. Ohne Paulus wäre er nie zu seinen Einsichten zur Rechtfertigung ohne Werke allein aus Glauben gelangt.

Die Schreiber des Kolosserbriefes und dann auch die des Epheserbriefes, der so viel aus dem Kolosserbrief für sich übernimmt und das dann durch eigene Gedanken ergänzt – gut, dass wir diese Briefe haben. Ihre Schreiberinnen und Schreiber haben uns vorgemacht, wie das gehen könnte: Theologie fortzuschreiben und weiterzuentwickeln. Bis hinein in die Gegenwart.

Freude auf Erden! Gott sucht den, der irrt und nicht findet
den Weg der Freiheit, löst liebevoll auf, was ihn bindet.
Gott spricht dich frei, will, dass sein Geist in dir sei,
der deine Angst überwindet.

Noch einmal Szenewechsel - jetzt endgültig vom Himmel zurück auf die Erde! Wobei das so einfach gar nicht mehr geht. Zumindest nach der Auffassung der Scheiber des Epheserbriefes. Für sie versetzt einem die Taufe schon auf der Erde irgendwie in den Himmel. In ein neues Leben. In ein Leben mit einem neuen Geist.

Hören wir noch einmal auf Worte dieses Briefes, die zum heutigen Predigttext gehören:

Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

In den guten Werken Gottes sollen wir also wandeln – indem wir selber gute Werke tun. Der Epheserbrief hat dazu gleich ein paar Ideen parat. Vom Zaun zwischen den Menschen jüdischen Glaubens und den Völkern - den Heiden, wie Luther übersetzt hat - schreibt er: „Die trennende Mauer ist zusammengebrochen. Tut etwas dafür, dass das auch bei euch so ist!“

Mauern, die Menschen trennen, die sie auseinander dividieren, gibt es bis heute genug. Diese Mauern haben ausgedient. Und wo das noch nicht so ist, müssen wir etwas mehr dagegen tun. Mir fallen da genügend Beispiele ein. Ich muss die erst gar nicht alle aufzählen.

Die heruntergerissene Mauer zwischen Juden und Christen gibt es heute in neuer Spielart. Es entsetzt mich, wie unverhohlen heute der Antisemitismus wieder von sich reden macht. Statt der einen Mauer in Berlin, haben wir heute viele Zäune an den Außengrenzen Europas. Da stehen dann übrigens auch Getaufte davor.

Wir müssen heute auch die Mauern einreißen, die Menschen zwischen sich aufbauen, weil sie die Welt unterschiedlich betrachten und deuten. Wir müssen miteinander im Gespräch bleiben. Aber wir müssen da auch immer wieder mutig Grenzen ziehen. Wenn wir den Theologen der Freiheit, wenn wir Paulus auf unserer Seite haben wollen, müssen wir den neuen Grenzziehern und Mauerbauern im Denken mutig entgegentreten.

Ein paar weitere Spuren noch, die sich im Epheserbrief finden: „Wir waren Finsternis und sind jetzt Licht“, steht da zu lesen. „Wandelt als Kinder des Lichts!“ Und dann gibt’s reihenweise Empfehlungen des rechten Verhaltens. Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit, keine Habsucht und keinGeiz, keine böswillige Rede – die Liste ist ganz schön lang. Die Zusammenfassung lautet: „Die Frucht des Lichts ist Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Das ist als Programm fürs erste genug.

Natürlich möchte, ja muss ich bei manchen der Empfehlungen des Epheserbriefes auch laut und deutlich Widerspruch einlegen. Und unüberhörbar „nein!“ sagen. Etwa, dass sich die Frauen den Männern unterordnen sollen – das ist gottseidank vorbei.

Genauso wie die Empfehlungen an die Sklaven, ihren Herren Gehorsam zu leisten. Auch da sind wir zum Glück weiter. Wenn auch nicht weltweit. „Etwas mehr als 40 Millionen Menschen weltweit werden laut einer von der International Labour Organisation veröffentlichten Studie in moderner Sklaverei gehalten - davon sind 25 Millionen Arbeits-Sklaven.“ Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Auch wenn’s Geschäfte zwischen den Ländern und zwischen Unternehmen kostet.

Aber am Ende ist es eine Mut machende Botschaft, die der Epheserbrief für uns bereithält. Wenn euer Leben durch die Taufe neu geworden ist, dann zieht dieses neue Leben an wie ein neues Kleidungsstück.

Das geht! Und es ist eine noch viel größere Erfahrung als die, die ich mit meinem Impfschutz gemacht habe. Die Erfahrung einer neuen Gelassenheit. Einer neuen Sicht auf das Leben. Einer neuen Glaubensheiterkeit.

Schöner als ich das könnte, hat das der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch in Worte gefasst. Hanns-Dieter Hüsch war einer, der diese Erfahrung des Taufgeistes erst mitten im erwachsenen Leben gemacht hat.

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit.
Mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
Das Elend und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin
in meinem kleinen Reich.
Ich sing und tanze her und hin
vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen.
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert,
und mich kein Trübsal hält,
weil mich mein Gott das Lachen lehrt,
wohl über alle Welt.

Was bleibt da noch zu sagen als: Amen!

Freude im Herzen! Es lohnt sich, dem Segen zu trauen
auf das, was Halt gibt und Grund unsere Zukunft zu bauen.
Sag: Gott meint mich! Er lässt die andern, sucht dich.
Du kannst im Nächsten Gott schauen.

Freude im Leben! Schon jetzt gibt Gott Teil an der Fülle,
die er verspricht, wenn einst fällt unsrer Sterblichkeit Hülle.
Gott schafft dir Recht. Gut wird, was eben noch schlecht,
himmlisch der Erde Idylle.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.