Impuls im Rahmen der Bezirkssynode des Kirchenbezirks Südliche Kurpfalz in Hockenheim

24.07.2021

Liebe Mitglieder der Bezirkssynode,
liebe Schwestern und Brüder!

Vorweg gesagt
Über Verluste, Veränderungen und Verheißungen haben Sie sich austauschen wollen an diesem Vormittag. So stand’s schon in der Einladung für diese Synodentagung zu lesen. Und entsprechend waren auch das Arbeitsblatt zur Vorbereitung der einzelnen Gruppen aufgebaut.

Natürlich hat die Corona-Krise uns in den letzten Montane gelehrt: Unsere private Alltagsgestaltung, unser berufliches Handeln und unser ehrenamtliches Engagement sind untrennbar ineinander verwoben. Kirche und Welt waren mit einem Male in unserem Wohn- oder Arbeitszimmer präsent.

Diese Einsicht weitet von vornherein unsere Blickrichtung.  Zum einen ist mein eigenes Kirche-Sein nicht auf mein Gestaltungs- oder Teilhabeverhalten an organisierten Formen kirchlicher Angebote, auf Gremien und Synodentagungen zu reduzieren. Zum anderen ist mein Ort vor Gott nicht nur Kirche, Gemeindehaus und Tagungszentrum. Die Räume unseres Agierens sind nicht mehr voneinander zu trennen. Und dies unter Bedingungen, die uns klar machen: Wir bewegen uns in einem Umfeld der Veränderung vor denen es kein Entrinnen gibt. So oder so, in Kirche und Welt - wir müssen uns darauf einstellen.

Aber wenn das schon so ist, dass wir auch in der Kirche von diesen Veränderungen betroffen sind, dann sollten wir den Stier gewissermaßen gleich bei den Hörnern packen. Und nicht darum herumreden. Abwarten und Tee trinken bzw. einfach nichts zu tun, wäre auf alle Fälle die schlechtere Alternative. Oder um es in der mittlerweile längst zum geflügelten Wort gewordenen Variation eines Satzes von Erich Fried zu sagen:

Wer will, dass die Kirche bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.

Ich soll und möchte heute etwas zu den Veränderungsprozessen sagen, auf die wir als Kirche zugehen. Prozesse, die uns einiges zumuten. Prozesse aber auch, die uns einiges und durchaus auch Weiterführendes und Neues ermöglichen.

Ich will jetzt aber gerade nicht in ein Zahlenwerk oder in konkrete Planungen einführen. Dazu gibt es andere, die das aus berufenerem Mund tun können. Für die Steuerung dieses Prozesses diesen Prozess sind ja nicht zuletzt Cornelia Weber und Matthias Kreplin verantwortlich.

Ich will das, was da auf uns zukommt, geistlich reflektieren. Ich will mit Ihnen dem auf die Spur kommen, was sich darunter und dahinter verbirgt.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, hier ein paar geistliche Schneisen in den Wald organisierter Kirchlichkeit zu schlagen. Ich möchte so vorgehen, dass ich sieben Reiseutensilien benenne – sieben überraschende Reiseutensilien.

Überraschend nenne ich sie deshalb, weil einige davon plötzlich in unserem kirchlichen Reisekoffer auftauchen, die wir selber womöglich gar nicht hineingepackt haben. „Sicherheitswarnung: Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt!“ Auf dem Bahnhof höre ich diesen Satz immer wieder. Und dann jubelt uns doch jemand fremde Reiseutensilien unter.

Überraschend sind diese Utensilien manchmal auch aus einem ganz anderen Grund. Da schleppe ich seit Jahren Dinge in meinem Koffer mit, ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Im Deckel hinter einem Netz oder in einem Fach, das mit einem Reißverschluss verschlossen ist. Und mit einem Mal finde ich diese Utensilien, die neuen und die alten, beginne sie zu drehen und zu wenden, so dass sie hoffentlich neu oder erneut zu glänzen anfangen. Und so bei Ihnen dann auch Neugier und Reiselust wecken.

Die sieben überraschenden Reiseutensilien

Umbruch
Siehe, ich schaffe ein Neues, seht ihrs denn nicht? (Jesaja 43)

Ich will mit dem am meisten umstrittenen Begriff beginnen. Mit dem des Umbruchs. „Kirche im Umbruch“ war der Arbeitstitel dieses Prozesses. Und auch der Titel eines Impulspapier des Evangelischen Oberkirchenrats. Inzwischen ist dieser Titel längst wieder kassiert worden. Zu kritisch waren wohl auch die Rückmeldungen verschiedenster Seiten gerade auf dieses Wort Umbruch. Zuviel „Bruch“ stecke in diesem Wort, hieß es. Bruch meine, dass da etwas kaputt gemacht werde. Kurz gesagt: Zuviel Abbruch stecke im Umbruch.

Ich habe mich immer wieder als heimlicher Sympathisant dieses Begriffes „Umbruch“ geoutet und mich für seine weitere Nutzung eingesetzt – bislang leider vergeblich. Zum einen ist dieser Begriff ehrlich. Da ist doch in der Tat etwas in Veränderung. Und da geht am Ende womöglich auch etwas zu Bruch. Aber gewiss nicht die Kirche. Eher vertraute und nicht selten auch lieb gewordene Formen von Kirchlichkeit, die aus anderen Zeiten stammen. Aber es geht um Um-bruch und eben gerade nicht einfach um Abbruch.

Im Druckereigewerbe ist der Umbruch der spannendste Punkt bei der Entstehung eines Buches oder eine Zeitungsseite. Er findet genau da statt, wo aus den Textteilen, den Bildern und Graphiken die ganze Seite fertig gemacht wird. Man spricht da auch vom Ganzseiten-Umbruch. Bei der Textverarbeitung Ihres Schreibprogramms gibt es diese Funktion im Übrigen auch.

Gerade deshalb finde ich den Begriff „Umbruch“ einen, in dem viel an Verheißung steckt. Aus den vielen kleinen Fragmenten unseres Kirche-Seins entsteht eine neue Seite im 2000 Jahre alten Buch gelebten Kirche-Seins. Da wird eine neue Seite umgebrochen.

Wie diese Seite aussieht, das ist doch eigentlich ganz spannend. Und ich habe Lust, sie umzubrechen und anzufangen.

 

Transformation
Siehe, ich verrate euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden. (1 Kor 15)

Das ist der neue heimliche Lieblingsbegriff unter all den Wörtern, die den Weg hin zu einer neuen Kirchlichkeit beschreiben sollen. Da wird nicht abgebroch. Da wird nicht umgebrochen. Da wird etwas transformiert. Da wird etwas von einem Zustand in einen anderen versetzt. Hinüber verformt – transformiert, um beim Wortsinn zu bleiben.

Ob das bei der Kirche auch so einfach geht? Die Theologinnen und Theologen des 16. Jahrhunderts, die Gründungsväter und Mütter unserer evangelischen Kirchen, waren da deutlich vorsichtiger. Sie haben nicht transformiert, sondern reformiert. Ja natürlich muss sich etwas ändern in der Kirche. Und es wird sich etwas ändern. „Trans“ hat da schon sein Recht. Aber „Re“ meint, dass die Kirche dahin zurückkehrt, da neu anfängt, wo sie ihren Ausgangspunkt genommen hat.

Es lohnt sich also, über das Wesen, über die Gestalt, über unsere Bilder von Kirche gemeinsam nachzudenken. Dabei werden wir schnell feststellen, dass die Um-Formation von Kirche einen Dauerprozess darstellt – egal ob wir von Reformation oder Transformation sprechen.

Wir sind Teil dieses Formationsprozesses am Ende des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts. Wenn wir mutig handeln, werden die, die nach uns Kirche sind, staunend und mit Dankbarkeit auf uns zurückblicken.

Präsenzen
Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. (Matth 18)

Präsenz - das ist ein Begriff, der so richtig Karriere gemacht hat in den letzten Monaten. Vor einigen Jahren ging‘s noch – in Anlehnung an Uta Pohl-Patalong – um kirchliche Orte. Um Gemeindehäuser, Klinikkapellen und Bildungszentren.

Die Rede von den kirchlichen Orten – die war noch ganz stark vom Gebäude und von Räumen geprägt – dahinter stand ein eher statisches Bild.

Präsenz ist da als Bild dynamischer. Da geschieht etwas. Da bewegt sich etwas. Und manchmal gibt es für diese Form gelebten Glaubens gar keinen festgemauerten oder holzgezimmerten Ort. Weil Menschen sich auf die Reise machen. Weil sie Kirche sind und weil sie feiern bei Gelegenheit, um den Ausdruck von Michael Nüchtern aufzugreifen.

Kirchliche Präsenzen sind Gelegenheiten, an denen Kirche sichtbar und erlebbar, an denen sie meist auch öffentlich wird. Letztlich ist es nicht die Kirche, die da präsent ist, sondern Gott. Unsere Aufgabe besteht darin, solche Gelegenheiten aufzuspüren, sie wahrzunehmen, sie zu fördern.

Es ist also eine Art kirchliches Detektivprogramm in geistlicher Absicht. Ich vermute., am Ende könnte das ein höchst spannendes Experiment sein.

Sozialraum
Ich bin vielen vieles geworden, den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, den Schwachen ein Schwacher. (1 Kor 12)

Dieser Begriff ist an sich schon etwas älter und – theoretisch – aus der Soziologie und – praktisch – aus der Sozialen Arbeit in die Kirche herübergeschwappt. Auch er spielt derzeit eine wichtige Rolle. Er legt den Raum fest, innerhalb dessen wir uns in unserer kirchlichen Arbeit sichtbar und erlebbar machen sollen.

Der Sache nach orientiert sich Kirche aber eigentlich schon immer am Sozialraum. Parochien, die Räume unserer Pfarrgemeinden, aber auch die Regionen, benachbarte Gemeinden oder Gemeinden innerhalb eines Quartiers – sie sind meist nichts anderes als das Abbild eines Sozialraums. Das Problem ist: Die Sozialräume verändern sich viel schneller als die Gemeindegrenzen. Wir hecheln das also immer deutlich hinterher.

Ich möchte den Sozialraum gerne als Beziehungsraum verstanden wissen. Und da kirchliche Arbeit im Kern ja Beziehungsarbeit ist, ist sie per se schon ein Sozialraum.

Spannend könnte es ein, den sozialen Milieus stärkere Aufmerksamkeit zu schenken. Aber da stecken wir ohnedies schon mitten in Lernprozessen drin. Und im Lernen stellt sich die Freude über den Erkenntnisgewinn ja eigentlich fast von selber ein.

Netzwerke
So sind wir, die vielen, ein Leib in Christus. (1 Kor 12)

Mit diesem Begriff verhält es sich ganz ähnlich. Er kommt im Gewand einer Neuentdeckung daher. Und hat schon uralte christliche Tradition. Das kommt womöglich daher, dass bei den ersten Jesus-Anhängern eine ganze Reihe Fischer dabei waren.

„Jeder knüpft am eignen Netz“ haben wir schon 1975 gesungen. Am Ende heißt es dann: „Wir knüpfen aneinander an, wir knüpfen aufeinander zu.“ Christinsein und Christsein – das geht gar nicht anders. Am Leib Christi wirken alle Glieder eben zusammen – um das etwas andere Bild des Paulus aufzunehmen, dem mit seinem Leib-Bild irgendwie mehr Erfolg beschieden gewesen ist.

Aber solche Netze zu knüpfen und zu stärken, bindet uns ganz stark zurück an die Christinnen und Christen der ersten Stunde. Keine schlechte Gesellschaft, denke ich!

Ressourcen
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist. (Lukas 20)

Um diesen Begriff kommen wir derzeit nicht herum. Überall wird inzwischen von Ressourcen geredet. Von deren Rückgang. Und vom Gewinnen und vom Steuern dieser Ressourcen. Und am Ende geht‘s fast immer um das liebe Geld. Es wird weniger. Es muss neu verteilt werden.

Ressourcen kommt nicht nur vom französischen Wort für Quelle. Dahinter steht das lateinisch Wort resurgere – und das heißt auf deutsch einfach „wieder aufstehen“. Da kommt etwas wieder ins Fließen. Die Ressourcen sorgen also dafür, dass in etwas anderes wieder Bewegung kommt.

Das kann mit Geld allein ja kaum gehen. Da braucht‘s doch auch anderes. Geistliche Ressourcen. Da braucht‘s die Ressource des Heiligen Geistes. Und die des Ostermorgens, an dem einer auferstanden ist. Und jetzt ist er für uns die Ressource des Lebens schlechthin.

Zielfoto
Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.  (2. Petrus 3)

Seit den Kirchenkompassprojekten geistert dieser Begriff durch unsere Kirche. Der Begriff des Zielfotos. Ganz profan kommt er daher. Und ist doch höchst theologisch aufgeladen. Es geht darum, die Welt so zu beschreiben, wie sie erst zukünftig sein wird. Es geht um kirchliche Zukunftsforschung. Es geht um die Rede von zukünftigen Dingen. Es geht – ein wenig jedenfalls – sogar um die letzten Dinge, um die Eschatologie.

Was ist das Zielfoto meines Lebens? Was ist das Zielfoto für meine Kirche? Und: Wer ist der Fotograf oder die Fotografin? Wir kommen ohne solche Zielfotos nicht aus. Aber am Ende bleiben sie Stückwerk.

Was uns bleibt, ist, dem Zielfoto Gottes auf die Spur zu kommen. Wir müssen danach Ausschau halten, wo wir die Puzzlestücke dieses Zielfotos finden. Ein paar Puzzleteile fallen mit ein: Unsere Gottesebenbildlichkeit. Unsere Sehnsucht und unser Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Und dann ruhig auch noch ein paar Klassiker: Nächstenliebe. Und Feindesliebe. Barmherzigkeit als Zuwendung, die sich nicht rechnet. Die Torheit, die Narreteien dieser Welt als Weisheit bei Gott.

Wir haben also durchaus eine Fülle von Material, mit dem wir uns auf den Weg machen können. Überraschend wird sein, welche Bilder da neu entstehen. Bestimmt gibt es nicht nur ein Zielfoto. Sondern ein ganzes Fotoalbum. Gewissermaßen als Beiheft zum Quellenband kirchlichen Handelns und kirchlicher Selbstvergewisserung: der Bibel!

Zuletzt gesagt
Damit soll’s sein Bewenden haben. Ja, es stimmt. Die Kirche ist im Umbruch. Aber nicht erst 2021. Und auch nicht erst seit 1821, dem Gründungsjahr unserer badischen Kirche. Der Umbruch ist eines der unveränderlichen Kennzeichen der Kirche. Darum, so meine ich, können wir uns zuversichtlich auf den Weg in diese neue Phase der Re- und Transformationen machen.

Wir sind für die Form zuständig. Das, womit sich diese Form füllt, wird uns geschenkt. Gottesgabe und Menschenbeitrag gewissermaßen! Eine Arbeitsteilung zu unseren Gunsten. Ich freue mich, wenn wir miteinander verbunden in dieser Kirche unterwegs bleiben. Gott wird’s an seinem Segen nicht fehlen lassen.

 

 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.