Geistliches Wort zu Lukas 8,4-15 (Sonntag Sexagesimae)  

07.02.2021

Was waren das für Zeiten, in denen sich der Lauf der Welt mit einfachen Geschichten deuten und erklären ließ! Kein Streit darum, wer wann geimpft wird. Kein Herunterfahren des Lebens einer Gesellschaft. Keine Beschränkung von Zahl und Zeit der Begegnungen mit meinen Mitmenschen. Keine auf dem ganzen Globus auftretende Viruserkrankung. Stattdessen: Einfache Geschichten, dem alltäglichen Leben entnommen. Landwirtschaft und Handwerk, Familie und Nachbarschaft – das war die Welt, in der sich das Leben abspielt. Der Blick stets in die kleine Welt vor Ort gerichtet. Die Lebensdauer überschaubar, dem Tod ausweichen – das ging sowieso nicht. Ein schützendes Dach über dem Kopf. Etwas zu essen auf dem Tisch – darauf war alles Handeln ausgerichtet.

Jesus hat solche Geschichten zuhauf erzählt. Die Mutter all dieser Geschichten, die für viele andere stehen kann, ist die für diesen Sonntag Sexagesimae ausgewählte. Am Ende steht sie - wen wundert’s -  dennoch für viel mehr als eine Geschichte aus guten alten, einfacheren Zeiten. Plötzlich finden wir unsere Zeit in ihr wieder.

Um einen Menschen, der Samen übers Land auswirft, geht es. Und darum, dass dieser Samen nicht überall in derselben Weise Wirkung erzielt. Weil die, die zuhören, anscheinend nicht einmal diese einfache Geschichte in ihrem Sinn begreifen, liefert Jesus die Deutung dann gleich auch noch mit. Und diese Deutung vom „vierfachen Ackerfeld“ ist dann auch diejenige, die ich seit Kindheitstagen mit dieser Erzählung vom Sämann verbinde, und - da bin ich sicher - viele andere Menschen auch.

Aber mit dieser wohlvertrauten Deutung soll’s nicht sein Bewenden haben. Ich will einen zweiten Anlauf des Verstehens wagen. Zunächst: Eigentümlich, ja befremdlich verschwenderisch geht dieser Bauer mit dem kostbaren Saatgut um. Warum wirft er es auf Böden, von denen er doch aus eigener Erfahrung weiß, dass daraus nichts Gutes werden kann? Weil Leben sich immer so abspielt! Versuch und Irrtum! Großherzig und ohne ständige Angst, etwas verkehrt zu machen! Nein, ich lebe nicht ständig nur nach strengen Regeln und strategischen Zielvorgaben. Viel lieber setze ich auf Großzügigkeit und Vertrauen. Und wenn ich das schon so mache – wieviel mehr dann Gott!

Ein zweites: Der Samen fällt auf unterschiedlichen Boden. Und auch der, aus dem am Ende nichts wird, fängt erst einmal an zu keimen. Nein, eine üppige Ernte erbringen diese Felder nicht. Aber sie erweisen sich als Lern-Felder. Sie lehren, wie es nicht geht. Oder wie es anders gehen könnte. Mit einer frühen Ernte vielleicht - Grünkern ist unreif geernteter Dinkel. Indem das fehlende Wasser zugefügt wird. Oder womöglich mit anderem Saatgut. Nein, mein ursprünglicher Weg muss nicht der Weisheit letzter Schluss ein. Es gibt fast immer noch Alternativen. Ich setze da lieber auf Offenheit und Lernfähigkeit. Wenn ich es damit immer wieder neu wage – wieviel mehr dann Gott!

Dann weiter: Erfolg ist nicht einfach planbar. Und er kommt nicht überall mit derselben Quote. Das eine Mal siegt die Kargheit. Das andere Mal gibt’s den Ertrag im Überfluss. Und der übertrifft den Verlust womöglich um ein Vielfaches: „Hundertfach trägt der gute Boden Frucht“ – so erzählt Jesus in seiner Geschichte. Nein, ich muss nicht ständig nur die ausgeschilderten Wege gehen. Den schönsten Blick finde ich unverhofft nach dem mühsamen Weg durchs Dickicht. Die Deutung, die die Tradition des Lukas Jesus in den Mund legt, muss ja nicht die einzige sein. Jesus hat schließlich selber unerwartete Deutungen geliebt. Aber wenn meine Erwartungen schon ein ums andere Mal übertroffen werden – wieviel mehr wird Gott uns das immer wieder gelingen lassen!

Zuletzt: Was für Saat und Ernte gilt, wird sich auch sonst im Leben als hilfreich erweisen. Vieles kommt noch einmal ganz anders als erwartet. Auch in dem, was mir als Aufgabe vor die Füße gelegt ist. Auch im Umgang mit der Pandemie. Womöglich auch beim Entwickeln und beim Verteilen der Impfstoffe. Im Nachhinein weiß man immer, wie man es hätte besser machen können. Der Bauer im Gleichnis macht es beim nächsten Mal sicher auch anders und besser. Das Leben läuft nur selten nach Plan. Dann ist es gut, wenn ich angesichts der vielfach verschlossenen Türen plötzlich die zuvor übersehenen Seiteneingänge entdecke. Immer wieder höre ich: „Das will ich hinterher gar nicht mehr vermissen!“ Auch auf dem kargen Boden kann ich Pflänzlein wachsen sehen! Nicht ohne Grund setzte ich deshalb auf Hoffnung. Wenn mir das schon ab und an gelingt - um wieviel mehr dann doch Gott!

Wie dieser Sämann will ich’s darum halten, gerade in Zeiten wie diesen. Und großzügig auf all das setzen, was Gott nicht außer Kraft gesetzt hat: das Wissen, dass Menschen es gut mit mir meinen. Und den Glauben, dass Gott noch viel mehr im Sinn hat – mit mir und mit dieser Welt. Vierfach! Vielfach! Unermesslich! 

Gebet
Du setzt auf uns Menschen, Gott! Du bist selber Mensch geworden!
Neues lässt du aufbrechen, wo wir die Hoffnung längst aufgegeben haben.
Du lässt uns Früchte bringen - und wir wissen selber nicht wie.
Gegen alle Vernunft manchmal, aber getragen von unserem Glauben.
Mit allen Möglichkeiten unseres Verstandes, aber viel mehr noch durch deinen Segen.Wenn du deine Hoffnung in uns setzt - immer wieder und immer wieder neu –
wie sollten wir uns mit weniger zufrieden geben
als mit der hundertfachen Frucht des Lebens aus deiner Fülle. Amen.

Lied
Gott, weil er groß ist,
gibt am liebsten große Gaben,
ach, dass wir Armen
nur so kleine Herzen haben.

(Kanon für 4 Stimmen, EG 411 - Text: Johann Scheffler 1657 – Melodie: Johannes Petzold 1946)

 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.