Predigt über Jona 3,1-10, gehalten im Gottesdienst aus Anlass 75 Jahre Evangelische Kirchengemeinde Walldürn am Sonntag, 26. Juni 2022 (2. Sonntag nach Trinitatis) in der evangelischen Kirche in Walldürn

26.06.2022

Liebe Gemeinde!

Als Volk Gottes sind wir bleibend unterwegs. Auf unserem Weg durch die Zeit sind wir auf Herbergen angewiesen. Und auf Menschen, die uns auf kürzeren oder längeren Wegstrecken begleiten. Diese Gemeinschaft der Schwestern und Brüder gibt uns immer wieder Anlass zum Feiern. So auch heute.

Sie feiern heute den 75. Geburtstag der evangelischen Kirchengemeinde Walldürn. Und ich feiere von Herzen gerne mit. 75 Jahre gemeinsamer Weg als evangelische Christinnen und Christen hier vor Ort. Untereinander gemeinsam verbunden. Und in geschwisterlicher Nähe zu denen, die uns in anderen Kirchen verbunden sind. Bei ihnen in Walldürn nicht zuletzt die römisch-katholische Kirche.

Es ist gut, dass es Sie als evangelische Kirchengemeinde nun schon ein Dreivierteljahrhundert gibt. So ist auch hier nach vielen Jahrhunderten, in denen es anders war, die evangelische Stimme unüberhörbar geworden. Dazu möchte auch ich Ihnen von Herzen gratulieren – persönlich, aber auch ausdrücklich seitens unserer evangelischen Landeskirche in Baden.

Ein herzliches Dankeschön gilt allen, die sich hier über all die Jahre in der Evangelischen Kirchengemeinde engagiert haben, als Pfarrer, als Kirchengemeinderätinnen und Kircehengemeinderäte, als Ehrenamtliche. Und natürlich gilt mein besonderer Dank allen, die diesen heutigen Tag vorbereitet und möglich gemacht haben, dem Kirchengemeinderat und vor allem Ihrem von mir sehr geschätzten Pfarrer Karl Kreß, der seit 15 Jahren die Stimme des Evangeliums vor Ort ist.

75 Jahre mögen in 2000 Jahren Geschichte der Kirche nur eine kurze Zeitspanne sein. Aber wer von Ihnen hier um die 75 Jahre alt ist, kann aus eigener Erfahrung sagen: Das ist an einem Menschenleben schon eine ganz ordentliche Spanne!

Aber natürlich ist Walldürn sehr viel älter. Die Römer waren schon hier, davon zeugen Limes und Castell. Die Herren von Dürrn haben sich im Namen der Stadt verewigt. Und seit 1807 gehört Walldürn zu Baden. Eine lange Geschichte einer Stadt – so alt wie die Geschichte der Kirche. Und in dieser 2000jährigen Geschichte bilden die 75 Jahre Evangelische Kirche in Walldürn einen eigenen Lauf in Strom der Ausbreitung der Guten Nachricht von der Menschenfreundlichkeit Gottes – mit allem Auf und Ab, was zu dieser Geschichte dazugehört.

Die Geschichte der Ausbreitung der Guten Nachricht in einer Stadt – eine solche Geschichte hören wir auch in dem für den heutigen 2. Sonntag nach Trinitatis vorgeschlagenen Predigttext, Es ist ein Abschnitt aus dem 3. Kapitel des Jonabuches. Jona - die meisten kennen diese Geschichte – macht sich auf die Flucht, anstatt der Stadt Ninive das Gericht anzusagen. Drei Tage im Bauche des Fisches bringen ihn zur Umkehr. Jetzt stellt sich Jona seinem Auftrag. Genau hier setzt der Predigttext ein:

Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der Herr gesagt hatte.

Als wanderndes Gottesvolk sind wir unterwegs – das habe ich eingangs gesagt. Unterwegs sein, heißt immer wieder neu aufbrechen. Für sie als Kirchengemeinde war und ist das so. Und das wird in unserer Kirche fürs Erste auch so bleiben. Das werden Sie wissen, wo Ihr Pfarrer doch der Vizepräsident der Landessynode ist.

Auch für Jona ist das so. Jona ist kein badischer Pfarrer, der nach seiner Ordination in eine Gemeinde gesandt wird – und einfach auch dahin  geht. Jona entzieht sich seinem Auftrag. Aus Angst, Gott könne es sich gereuen lassen und Ninive kommt davon. Sein erster Aufbruch in die Richtung ganz weit weg von seinem Auftrag endet jäh, als man ihn ins Wasser wirft und ihn nur ein großer Fisch vor dem Ertrinken bewahrt.

Jetzt erhält Jona eine zweite Chance. Gott schickt Jona nicht in den Ruhestand oder entlässt ihn aus dem Kreis der Menschen, die er für seinen Dienst brauchen kann. Jona erhält eine zweite Chance und einen zweiten Auftrag. Und dieses Mal macht er sich tatsächlich auf nach Ninive. Hören wir aus dem Predigttext, wie es weitergeht:

Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß. Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an.

Als Volk Gottes sind wir bleibend unterwegs. Zwischen Ninive einst und Walldürn heute. Sicher: Ninive ist nicht Walldürn. Aber Ninive steht für die Wohnstädte der Menschheit. Ninive ist der Ort der widerspenstigen, gottabgewandten Schöpfung schlechthin. Die drei Tagereisen von denen die Rede ist – sie zeigen, hier entscheidet sich die Zukunft der Menschen überhaupt. 

Und Jona macht, was seines Amtes ist. Er predigt. Allerdings nicht eine bessere Zukunft im Angesicht Gottes. Ein Hoffnungsprediger ist er wahrhaftig nicht. Eher ein Untergangsprophet. Jona kündigt Ninive das Ende an. Wie könnte da noch ein Ausweg möglich sein! 40 Tage, die noch bleiben. Dann wird Ninive untergehen.

Wir kennen die Bilder von Städten, deren Lebendigkeit und Schönheit verloren gegangen, die zerstört worden sind. Zwei Jahre bevor ihre Kirchengemeinde gegründet worden ist, war dieser große, schreckliche zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Die Älteren unter Ihnen werden sich gewiss noch erinnern. Wir kennen die Bilder zerstörter Städte auch aus den allabendlichen Nachrichten. 40 Tage noch: Dann wird auch Ninive so aussehen.

Doch als Gottesvolk sind wir bleibend unterwegs. Auch zwischen drohendem Untergang und möglicher Rettung. Ninive tut das Menschenmögliche, um dieses drohende Unheil abzuwenden. Und die Menschen kehren auf ihrem Weg um. Sie tun Buße in Sack und Asche. Das, was sie sich erhoffen – und wovor Jona sich fürchtet, das tritt ein. Hören wir, wie die Geschichte weitergeht.

Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe etwas zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und heftig zu Gott rufen. Und ein jeder kehre um von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände! Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.

Die Menschen von Ninive sind als Volk Gottes miteinander unterwegs. Und die politische Führung geht allen voran. Ja, auch der König redet sich nicht heraus. Er übernimmt Verantwortung. Nimmt das Projekt Umkehr zu Gott in die Hand. Ruft zur Buße auf. Ordnet ein Fasten an. Fordert zum Gebet auf.

Die Menschen von Ninive – auf Befehl des Königs tun sie alles Menschenmögliche, um das angekündigte Unheil abzuwenden. Sie tun auch das Tiermögliche. Denn auf Befehl des Königs sollen auch die Tiere Buße tun. Auch die Tiere sollen in Sack und Asche gehen. Die ganze Schöpfung auf dem Weg der Umkehr zu Gott. Was für eine Mut machende Vorstellung!

Als Volk Gottes sind wir bleibend unterwegs. Und können auf unseren Wegen auch umkehren. Jederzeit. Was uns schon beim Hören Eindruck macht – es macht auch Gott Eindruck. „Wer weiß“, fragen sich die Menschen darum, „wer weiß, ob nicht auch Gott umkehrt, wenn wir umkehren!“ Erstaunlich, was wir hier lesen und hören: Tatsächlich: Auch Gott kann umkehren. Auch Gott kann seine Pläne über Bord werfen. Und einen neuen Aufbruch wagen.

Darum jetzt auch der letzte, der schönste Abschnitt unseres Predigttextes:

Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und er tat’s nicht.

Nicht nur das Volk Gottes ist bleibend unterwegs. Gott selber auch. Unterwegs durch die Zeit. Unterwegs von Mensch zu Mensch. Unterwegs von Ninive nach Walldürn. Von Jerusalem nach Karlsruhe.

Mehr als 5.000 Menschen aus über einhundert Ländern werden sich in wenigen Wochen auf den Weg zu uns machen. Zur Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat seinen Sitz in Genf. Mehr als 350 Kirchen haben sich im Jahre 1948 unter seinem Dach zusammengeschlossen. Unsere Kirche ist eine der Kirchen, die dem Ökumenischen Rat der Kirchen angehören. Nur alle acht Jahre gibt es eine Vollversammlung aller Mitgliedskirchen. Anfang September findet die 11. Vollversammlung hier in unserer Landeskirche in Karlsruhe statt. Das Volk Gottes ist bleibend unterwegs.

Unterwegs sind sie hier als Evangelische Kirchengemeinde in Walldürn und allen Orten und Ortsteilen, die dazugehören. Unterwegs sind wir als evangelische Kirche im großen Vielklang der Kirchen des weltweiten Leibes Christi, der großen sichtbaren Ökumene.

Das Volk Gottes ist bleibend unterwegs durch die Zeit. Wir alle haben dasselbe Ziel vor Augen. Aber wir alle sind unterschiedlich ausgerüstet. Mit unterschiedlichen Erfahrungen. Mit unterschiedlichen Gaben.  Mit je unterschiedlichen Kraftquellen, die sich nähren in der einen Ernte der guten Gaben Gottes.

Als Protestantinnen und Protestanten haben wir kein Blutwunder wie die römisch-katholischen Geschwister. Wir waren nicht drei Tage im Bauche des Fisches wie Jona. Wir singen andere Lieder als die Schwestern und Brüder, die zur orthodoxen Glaubensfamilie gehören. Unser Wunder ist das Christuswunder. Allein aus Glauben. Allein aus Gnaden. Allein durch das Wort. Das haben wir den Müttern und Vätern der Reformation zu verdanken. In diesem Glauben sind wir unterwegs mitten im Volk Gottes. Hier in Walldürn seit 75 Jahren.

Grund zum Feiern ist das allemal. Aber auch Grund zur Dankbarkeit. Und zum Staunen. Heute wie vor 75 Jahren. Wie gut und lieblich, dass wir als Schwestern und Brüder nicht nur beieinander sitzen, wie’s im Psalm heißt. Sondern auch als Volk miteinander unterwegs sind. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.