Ansprache im Rahmen der Morgenandacht bei der 5. Tagung der 13. Landessynode am 26. Oktober 2022 im Haus der Kirche in Bad Herrenalb

26.10.2022

Liebe Schwestern und Brüder!

Ich gebe zu. Ich war etwas verwirrt. Da war ich eine ganz Woche lang unter einem großen Zelthimmel unterwegs. Gegessen und gesprochen habe ich in der Oase. Unzähligen Menschen bin ich am Brunnen begegnet – in der Hoffnung, von jenem Wasser zu trinken, das meinen Durst nach Lebendigkeit und Liebe wirksam würde stillen können.

Unübersehbar bestimmte die Welt der Nomaden den Rahmen des zentralen Treffpunktes der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen um den Karlsruher Festplatz. Dass dann auch noch die Gartenhalle zum zentralen Tagungsort geworden ist, passte wunderbar zu der altorientalischen Idylle. Dass es nicht wie andernorts zu Protesten wegen einer doch unübersehbaren kulturellen Aneignung zentraler Kennzeichen einer anderen Lebenswelt gekommen ist, scheint im Nachhinein fast ein Wunder. Es lag vermutlich daran, dass die Veranstalter auf Kamele und Ziegen dann doch verzichtet habe, Stattdessen bestimmten Zweibeiner aus aller Welt das Geschehen.

Aber jetzt ganz ernsthaft: Ich habe mich schon gefragt: Können wir von unserem Glauben auch in anderen Bildern reden, ihn anders inszenieren als in den Bildern seiner altorientalischen Entstehungszeit, wo Schafe und Hirten, der Erbauer einer Getreidescheune, wo Kelter und Weinstock einer agrarisch geprägten Gesellschaft die Vorstellungen auch des Gottesglaubens geprägt haben?

Schließlich bildete auch bei der Ökumenischen Vollversammlung eine moderne Großstadt, gerade erst 300 Jahre alt geworden, den geographischen Haftpunkt. Und wenn ich mir die Orte der vorausgegangenen zehn Vollversammlungen vor Augen führe, von Amsterdam bis nach Busan, sind das Metropolen, derer Einwohnerinnen und Einwohner nach Millionen gezählt werden. Keine Rede von Zelt und Brunnen und Oasen. Aber Orte einer Wirklichkeit, die die Lebenswelt der Mehrzahl der Menschen auf diesem Planeten Erde prägt.

In der Tat – es gibt auch andere, weniger idyllische Bilder, um die Lebenswirklichkeit der Menschen zu beschreiben. Die Bibel selber stellt uns diese Bilder zu Verfügung. Ich finde es höchst interessant, dass in ihren prägenden Texten der Bibel dabei der Bildervorrat auch wechselt.

Am Anfang dieses Bilderbogens steht der Garten des Paradieses, grün, von Flüssen bewässert und Sehnsuchtsort bis heute. Für das Ende der Zeit, ja eigentlich auch schon für die Gegenwart, wechselt der Bildervorrat radikal. Entsprechend der Veränderung der Lebenswelt der Menschen.

Die Zukunft der Menschen, die bedrohliche wie die heilsame, wird im Bild der Stadt beschrieben. An der Stadt alles Bösen, dem Moloch, der Hure Babylon arbeiten sich die Texte der Offenbarung ab. Und am Ende – am Ende bestimmt die detaillierte Beschreibung des himmlischen Jerusalems das Zielphoto, wie es in der kirchlichen Projektsprache so gerne heißt. Oder gar das Ziel-Video, denn die wortreich beschrieben Stadt ist voller Lebendigkeit.

Vielleicht hat der Ort der 12. Vollversammlung dann 12 Stadttore, ein Forum, die Ruine des eingestürzten Turmes von Babel und ist von hell strahlenden und von gläsernen Brücken überspannten Flüssen durchzogen. Und dass die Sonne nicht untergeht, ist in der Reizüberflutung durch Tag und Nacht strahlende Lichter schon heute in vielen Zonen dieser Erde ohnedies eher schon bedrohliche, ja krank machende Realität.

Religion, konkret den christlichen Glauben zu verorten in den säkularen urbanen Lebenswelten der Gegenwart – das ist eine der bleibenden Herausforderungen, vor die ich die Kirche gestellt sehe. Nein, dieser Gedanke ist keineswegs neu! Aber wir müssen ihn aus der Versenkung herausholen. Lange, zu lange, haben wir uns auch in der Kirche damit getröstet, dass die Zukunft zwar weniger kirchlich, aber nicht weniger religiös bestimmt sei. Schließlich sei der Mensch von seiner Grundgestimmtheit her unheilbar religiös.

Daran habe ich denken müssen, als mir vor einiger Zeit ein junger Mann gegenüber stand mit einem T-Shirt, auf dem in großen Buchstaben zu lesen stand: Religion ist heilbar! Wir hatten übrigens ein wunderbares Gespräch. Daran habe ich denken müssen, als ich in der Physiotherapiepraxis Auge in Auge mit einer großen Buddha-Statue behandelt wurde. Ich habe die Physiotherapeutin darauf angesprochen. Ihre Antworte: „Ja soll ich denn einen Sterbenden am Kreuz hier aufstellen, wenn die Menschen gesund werden und sich wohlfühlen sollen!“

Manchmal denke ich: Ich lebe eher im Umfeld Babylons als in dem des neuen Jerusalem. In der Stadt ohne Gott, wie ein Buchtitel aus dem Jahr 1965 das kurz und bündig beschrieben hat - auch wenn weitgehend immer noch Kirchtürme das Bild unserer Dörfer und Städte bestimmen. Insofern kann es uns nicht egal sein, welche Gebäude wir auf rot und welche wir auf grün setzen.

Der zur Wohnung oder zum Atelier umgewidmete Turm einer Kirche predigt schließlich immer noch. Und dass das Dorf oder die Stadt ohne Gott sei, das ist nach wie vor keine zutreffende Beschreibung unserer Lebensräume – Gott sei Dank!

Und so gibt es heute an Stelle der Oase den Wärmewinter. Statt der Brunnen Orte mit fließendem Trinkwasser und angegliedertem Essenstreff.

Und denen ohne eigene Wohnung können wir mit dem Kältebus, der Decken bringt und heißen Tee oder mit dem Übernachtungshaus Hilfe zur Überbrückung anbieten. Gottseidank sorgt vor allem die Diakonie auf ihre Weise dafür, dass die Stadt fürs Erste keine Stadt ohne Gott bleiben muss.

All das bestimmt auch unser Nachdenken und unser Entscheiden als Synode. Keinen Ort soll es geben, der als Ort ohne Gott weiße Flecken auf der Landkarte kirchlichen Handels entstehen lässt. Religion soll nicht krank machen, sondern unser Leben zu dem werden lassen, was es nach Gottes Willen sein soll. Und mag das Bild des Gekreuzigten zwar keine Wohlfühlatmosphäre entstehen lassen – aber unseren Glauben stärken, dass Gott Recht und Gerechtigkeit für diese Welt im Sinn hat.

Mit ihrer Schlussbotschaft hat die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe unübersehbar und und unüberhörbar die Nomadenidylle verlassen und Tacheles geredet. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein – und Rassismus auch nicht. Krieg, Tod, Krankheit und Hunger bedrohen die ganze Schöpfung. Der Klimanotstand ruft zur Umkehr und zur Versöhnung mit der ganzen Schöpfung.

Was sich im Bild des Pilgerwegs erneut eher als kirchliche Sonderaktivität beschreiben lässt – es ist in Wahrheit ein mühsamer Kampf durch den Dschungel unserer Welt – aber eben ein Weg, an dem ein ums andere Mal Gott selber unser Kräfte stärkt und uns Orientierung schenkt.

Ganz am Ende heißt es dann: „Zusammen haben wir den Stimmen gelauscht, die in unserer heutigen Welt oftmals marginalisiert werden: Frauen, jungen Erwachsenen, Menschen mit Behinderungen und indigenen Völkern. (…) Wir sehnen uns nach einer umfassenderen Bewegung, nach Versöhnung und Einheit für alle Menschen, ja, den ganzen Kosmos.“

Und weiter: „Wir verpflichten uns, mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten. Und während wir uns über die Früchte unserer Arbeit hier in Karlsruhe Gedanken machen, laden wir alle Menschen ein, mit uns auf den Pilgerweg zu kommen.“

Darauf also kommt‘s an in der Gegenwart und im neuen Jerusalem: Nicht exklusiv die Wahrheit für sich zu beanspruchen. Sondern zusammen mit allen Menschen guten Willens die Orte dieser Welt zu Vororten des himmlischen Jerusalem zu machen.

Daran arbeiten wir! Weltweit! Und in diesen Tagen als 13. Landessynode hier in Bad Herrenalb. Mit eigenem Engagement. Doch wie anders als vor allem mit Gottes Hilfe. Weil die Liebe Christi uns drängt. Amen.

 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.