Geistlicher Impuls am Beginn der Sitzung des  Vorstands der Landesbibelgesellschaft Baden am 28. März 2022

28.03.2022

Was anderes könnte derzeit im Mittelpunkt meines Nachdenkens und auch meines Redens stehen als dieser unsägliche Krieg – fast vor unserer Haustür!

Den 40. Tag hat er jetzt beinahe erreicht. Und ich werde daran erinnert: 40 Tage – die stehen in der Bibel für die Zeit der Besinnung und auch des Rückzugs in die Wüste. Und in innere, seelische Wüstenzeiten versetzt fühle ich mich derzeit durchaus ein gutes Stück. Ich frage mich: Was macht dieser Krieg in der diesjährigen Passionszeit mit mir?

Ich will meine Frage dahingehend präzisieren, dass ich sie auf dem Hintergrund der diesjährigen Aktion „Sieben Wochen ohne“ schärfe. Ums „Üben!“ geht’s in diesem Jahr. Was also muss ich selber – ganz persönlich - angesichts dieses Krieges üben – neu üben oder aus dem Zustand des Vergessens und Verdrängens herausholen?

Ich gebe zu: Ich wage mich mit diesen Übungs-Anforderungen – weiß ich doch selber sehr wohl, dass ich mich hier in einer Dilemma-Situation befinde Ich nehme wahr, dass derzeit in meiner Umgebung neue „Bündnisse“ entstehen und manch alte brüchig werden. Und Menschen aneinander irre zu werden drohen. Ich will mitnichten beanspruchen, die Wahrheit für mich gepachtet zu haben. Es ist ein sehr persönliches Zeugnis, kein Beitrag für die politische Debatte.

Sieben Übe-Impulse sind mir eingefallen. Sehr vorsichtig und in Frageform formuliert. Sie sind ein Zeichen meiner eigenen Betroffenheit und meines persönlichen Herausgefordertseins. Gerade deshalb will ich aber auch nicht schweigen.

1. Ich möchte üben, die Weltlage wacher in den Blick zu nehmen und mich an Kriege nicht zu gewöhnen. Der Krieg in der Ukraine ist nicht der erste und einzige seit dem Ende des letzten großes Krieges. Auch nicht der einzige, der derzeit auf diesem Planeten tobt. Afghanistan und Irak, Libyen und Jemen, Somalia und Nigeria – all diese Kriege sind nicht weniger schrecklich und gewalttätig wie der, der nicht nur mich derzeit in Atem hält. Ich erinnere mich – Amsterdam 1948: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“ Dieser Satz gilt ganz grundsätzlich. Auch im Blick auf die Kriege, die mir womöglich nicht so wehtun und meine Seele nicht gleichermaßen verdunkeln,  weil sie weiter weg geführt werden.

2. Ich möchte üben zu prüfen und am Ende womöglich auch durchzuhalten, was wir als Kirche in den letzten Jahrzehnten an Positionen erarbeitet haben. Es gibt derzeit viele, die ein ums andere Mal darauf verweisen, immer schon gewarnt haben – und sie suggerieren, dass der Versuch „meiner“ EKIBA, eine Kirche des gerechten Friedens zu werden, zumindest leichtsinnig und fahrlässig, ja aus heutiger Sicht womöglich ein Irrtum gewesen sei. Ich sehe das nicht so. Sicher, wir müssen unsere Positionen immer neu auf den Prüfstand stellen. Aber wenn wir unsere biblisch abgeleiteten und theologisch begründeten friedensethischen Positionen gleich in der ersten ernsten Bewährungsprobe drangeben, waren sie die Debatte und die Entscheidungen dann wert?

3. Ich möchte üben, meine Sprache zu kontrollieren und meine Worte sorgsam zu setzen. Das fällt mir derzeit am meisten auf. Die öffentliche Sprache verändert, ja „militarisiert“ sich in rasender Geschwindigkeit. Der Kriegsmodus und der Kriegsgestus setzen sich immer mehr durch – in den Nachrichten ebenso wie in den Talkrunden. Freund-Fein-Schemata, Gut-und-Böse-Einteilungen, Bekenntnissätze, würdelose sprachliche Entgleisungen im Blick auf Andersdenke – hier möchte ich künftig Widerspruch einlegen. Sprache und Haltungen stehen in enger Korrespondenz.

4. Ich möchte üben, nicht nur der Macht der Waffen zu vertrauen. Werden wir Waffen liefern? Welche Waffen? Nur zur Abwehr? Angriffstaugliche Waffen? Die Debatte um diesen Krieg ist längst eine, in der das Bekenntnis zur „friedenserhaltenden“ Kraft der Waffen klären soll, wo ich stehe. Mehr Waffen in einem Kriegsgebiet erhöhen nicht automatisch die Sicherheit und bringen die Welt dem Frieden nicht zwangsläufig näher. Sie können einen Konflikt auch eskalieren. Ich gebe zu: Es kommt hier sehr wohl auf die Perspektive und auf den Grad und die Weise der Betroffenheit an. Von daher habe ich hier gut reden. Aber gerade weil meine Perspektive hier eine andere ist - müssten sich daraus nicht auch Konsequenzen für meinen Einsatz für den Frieden ableiten lassen?

5. Ich möchte üben, den Umgang mit den Ressourcen der Natur nicht vorschnell hintenan zu stellen. Vor einem Jahr noch schien sich endlich die Einsicht durchgesetzt zu haben: Unser Umgang mit dem Klimawandel entscheidet über die Zukunft dieses Planeten. Hier bin ich ganz sicher: Diese Erkenntnis ist heute immer noch richtig und wichtig. Aber unsere politischen Handlungen gehen in eine andere Richtung. Nur ein Beispiel: Anstatt aus der Verteuerung fossiler Energien einen Kraftakt zugunsten umweltfreundlicher Alternativen abzuleiten, wird zuallererst das Benzin subventioniert. Und in der gewählten Kompromiss-Form auch das Benzin für Fahrten, die nicht nötig sind. Und für Menschen, die durch die höheren Bezinkosten nicht wirklich betroffen sind. Mir kommt es vor, als opferten wir der Aufrechterhaltung des Wachstumsparadigmas weiterführende umweltpolitische Optionen. Ich frage mich: Gehen wir auf diese Weise nicht das Risiko ein, dass die Schäden, die so entstehen, das einer Reduktion der  fossilen Energien am Ende um vieles übertreffen können.

6. Ich möchte üben, das Gerechtigkeitsthema nicht aus dem Blick zu verlieren. 100 Milliarden Sondervermögen für die militärische Sicherung! Ich will und kann das sicherheits- und militärpolitisch gar nicht bewerten. Aber mir kommt sehr vieles Dringliche in den Sinn, wofür in den letzten Jahren keine oder nicht ausreichend Mittel zur Verfügung gestanden sind und kein Sondervermögen eingerichtet wurde, obwohl auch hier längst ein grundsätzlicher Wechsel angestanden wäre. Hierauf den Blick zu verlieren, schafft und stabilisiert Ungerechtigkeiten. Und es erhöht das Risiko, dass infolge sozialer Verwerfungen politische Kräfte an Einfluss gewinnen, für die der Friede ohnedies kein prioritäres Ziel darstellt.

7. Ich möchte üben, den biblischen Friedensbildern noch mehr zu vertrauen und auf die Macht des Gebets zu setzen. Jesus hat die, die Frieden stiften, seliggepriesen. Das hat ihn, sehr vorsichtig formuliert,  in Konfliktlagen gestürzt. Dieser Ansatz wird auch bei uns eher als naive Position bewertet. Das Vertrauen in Wagen und Rosse, in politische Bündnisse mit Gruppen, denen es mehr um Macht als ums Recht geht, werden gerade im Ersten Testament sehr kritisch bewertet. Sie waren auch schon damals hochriskant. Ich wünsche mir, dass wir - ohne Blauäugigkeit! - diese Sicht nicht leichtfertig drangeben. Ich möchte mich einbringen in alles kirchliche Bemühen, mit unserer Stimme und dem vielfachen Engagement in der Welt unterscheidend wahrnehmbar zu bleiben – als vermittelnde Kraft, als Ort, an dem Menschen in Verfolgung Schutz und in seelischer Bedrängnis Zuspruch finden, als solche, denen die Bewahrung der Schöpfung ans Herz gelegt ist, und als unermüdlich für den Frieden Tätige – auch im Widerspruch gegen das scheinbar Näherliegende. Das Gebet, das persönliche wie auch öffentliche Friedensgebete, sind dafür nicht der schlechteste Weg.

„Üben – sieben Wochen ohne Stillstand“ – das möchte ich mir im eben beschriebenen Sinn zuallererst selber auch auferlegen. Gerade bei diesem Thema. Und vermutlich über die sieben Wochen hinaus. Im Vertrauen, dass auf meinem kleinen bescheidenen Üben ein Segen liegt. Nicht nur für mich!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.