Ansprache im Gottesdienst anlässlich der Entwidmung der Friedenskirche am Sonntag, 3. Juli 2022 (3. Sonntag nach Trinitatis) in Karlsdorf

03.07.2022

Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht! So ging die Lesung zu Ende, die wir eben gehört haben. Ein frommer Wunsch, liebe Gemeinde! Wer würde nicht erschrecken, wenn eine Kirche außer Dienst gestellt werden soll. Alltäglich ist das nicht. Selbstverständlich ist es auch nicht. Und niemand von uns weiß, was uns der liebe Gott zu diesem Vorhaben einmal fragen wird.

Trotzdem: Dass Menschen traurig sind an diesem Tag, wer würde das nicht verstehen! Verzagt brauchen wir heute aber dennoch nicht zu sein. Und schon gar nicht mutlos. Wir wissen, dass ein anderer die Kirche in seiner Hand hält. Und dass er die Welt, seine Kirche und auch nicht die Gemeinde hier vor Ort nicht aus der Hand gibt. Und sie nicht ins Nichts fallen lässt.

Das Bild der Arche ist mir für heute in den Sinn gekommen. Und das Ende der Geschichte mit der Arche und der großen Flut haben wir ja eben gehört. Für einen begrenzten Zeitraum war die Arche für Noah und die Seinen, für Menschen und Tiere ein schützender Ort. Solange, bis Gott sie von Neuem in die Freiheit entlassen hat. Die von der großen Flut zerstörte Erde war kein wirtlicher Ort. Beim ersten Mal Die Taube kommt zurück, als Noah sie fliegen lässt. Beim zweiten Mal hat sie einen grünen Zweig im Schnabel. Erst beim dritten Mal kommt sie nicht mehr zurück. Sie hat von Neuem ihren Ort gefunden.

Irgendwie kommt mir das heute ähnlich vor. Sie werden aus der Arche Friedenskirche entlassen. Und Sie müssen sich von Neuem orientieren. Kaum erträglich wird das schon damals, zu Noahs Zeiten, damals gewesen sein. Wenn Gott nicht seinen schützenden Bogen über die Seinen ausgespannt hätte, das Leben wäre ihnen aus den Händen geglitten.

Doch Gott setzt der Resignation mit aller Macht sein Wort entgegen. Gibt den Menschen Hoffnung und Zukunft. Niemals sollen Menschen mehr schutzlos einer bedrohlichen Welt ausgeliefert werden. Niemals sollen Menschen mehr das Gefühl haben, von Gott verlassen zu sein. Nicht nur für Noah galt das. Sondern solange die Erde steht.

Da haben wir keine Wahl. Wir müssen Gott beim Wort nehmen. Wir müssen, ja wir dürfen Gott fragen, wie das sein kann, dass wieder Menschen schutz- und heimatlos durch ihr Land und durch halb Europa fliehen müssen. Wir müssen, ja wir dürfen Gott fragen, warum so viele Menschen seiner Kirche den Rücken kehren, so dass uns die Mittel ausgehen, all unsere Kirchengebäude zu halten.

Vielleicht wird Gott antworten, dass wir trotz allem besser dran sind als Noah. Dass wir noch andere Archen und andere Räume haben, um Gottes Gegenwart zu feiern. Vielleicht werden wir Gott aber auch erklären müssen, was wir heute tun. Und wie es zu diesem Vorhaben hat kommen können.

Aber eines ist gewiss: Der Regenbogen, der sich schützend über uns wölbt, den wird Gott nicht zurückziehen. Und sein Zuspruch, der uns sagt: Ihr bleibt bewahrt. Und ich bleibe euch nah – den wird Gott uns nicht entziehen. Und womöglich wird Gott unsere Phantasie anfachen, um neue Wege zu ersinnen, seine Gegenwart miteinander zu feiern. Und aus einer Friedenskirche aus Stein viele Friedenskirchen entstehen lassen, weltweit und in unseren Herzen, um so seine Segensspur auch weiter durch hier vor Ort, in unserer Kirche und in der ganzen Welt sichtbar machen.

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Nicht erst im Jenseits, sondern schon hier mitten unter uns leuchtet die Wahrheit dieses Satzes Jesu tröstlich auf. Und der Heilige Geist, der uns an alles erinnern und uns alles lehren wird, gibt sein Werk nicht auf. Auch dann nicht, wenn dieser Ort, an dem jetzt noch diese Kirche steht, den Menschen in anderer Weise dient. Und wir Gott an anderen Orten dienen.

Gott wird nicht heimatlos in dieser Welt. Und er gibt uns nicht einer Welt preis, in der wir keine Orte der Gottesbegegnung mehr haben.

Darum wünsche ich Ihnen, dass Sie sich wie Noah auf den Weg machen. Auch in die Kirchenorte, die es in Ihrer Kirchengemeinde weiter geben wird. Gottseidank!

Und ich hoffe, dass Sie diese neuen Wege miteinander gehen können, weil es eben doch stimmt, was wir aus dem Munde Jesu im Johannesevangelium gehört haben: Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Das zu wissen genügt. Es muss genügen. Gerade heute. Amen.

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.