Predigt über 1. Mose 12,1-4a am Sonntag, den 17. Juli 2022 (5. So.n.Tr.) in der Evang. Friedenskirche in HD- Handschuhsheim

17.07.2022

Lied vom zuversichtlichen Glauben: Str. 1+2
(Melodie: Gott des Himmels und der Erden)

Auf dem Weg in neue Zeiten
bleiben Welt und Kirche jung.
Möge Gottes Geist uns leiten,
uns bezaubern neuer Schwung.
Aufrecht geh ich durch die Zeit -
Glauben meint: Ich bin bereit!

Lass mich unter deinem Segen
meine Schritte fröhlich gehn.
Und auf allen Lebenswegen
mutig in die Zukunft sehn.
Bau ich auch auf Hoffnung nur -
Glauben meint: Bleib in der Spur!

 

Liebe Gemeinde!

Muss er denn immer nur ja sagen? Ja und Amen? Und dann macht er, was man ihm aufträgt! Egal wie schwer die Herausforderung ist. Und wie unsinnig das Aufgetragene erscheint. Gut, es ist Gott, von dem die Botschaften ausgehen. Aber trotzdem: Warum hat er Gott nicht widersprochen? Hat es zumindest versucht? Er hätte ja mit Gott ringen können. Wie Hiob!

Vielleicht ahnen Sie ja schon, um wen es geht. Die Rede ist von Abraham. Dem Stammvater im Glauben, wie er seit seiner Deutung durch Paulus so schön genannt wird. Abraham ist die zentrale Figur im Predigttext für diesen heutigen 5. Sonntag nach Trinitatis. Von den vielen Geschichten, die von Abraham handeln, geht’s heute um die allererste.

Die ersten 11 Kapitel der Bibel drehen sich um die Urgeschichte des Menschen. Sprechen vom Menschen in einem eher abstrakten, kollektiven Sinn. Adam und Eva, Kain und Abel, Noah und die große Flut und zuletzt die Erzählung vom großen Turm zu Babel. Um Gut und Böse geht’s da. Um Gelingen und Verhängnis. Um Zerstörung und Neuanfang. Um Übermut, wenn der Turm mit seiner Spitze an den Himmel ragen soll, und um die Grenzen, die Gott setzt.

Mit dem 12. Kapitel des 1. Mosebuches setzt die Bibel neu ein. Jetzt konkretisiert sich das zuvor in großen Linien gezeichnete Bild vom Menschen. Jetzt geht’s mit einem Mal um ganz konkrete Personen. Um deren Familien, deren Sippen. Ihr Tun und Ergehen. Ihr Scheitern und ihre Neuanfänge. Ihr Umgang mit Gott.

Jetzt beginnt etwas Neues. Jetzt beginnt die Geschichte der Menschheit. Die Geschichte, in die die meine und die Ihre eingebunden, in der sie aufgehoben ist. Und der Prototyp dieses konkreten Menschen ist Abraham.

Hören wir jetzt auf den Anfang. Hören wir, wie alles begann:

Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.

Liebe Gemeinde: „Geh!“, sagt Gott zu Abram, „verlass deine Heimat, deine Familie, deine Freunde. Gib alles auf, was dein Leben ausmacht. Geh einfach los! Brich auf!“ Abraham fragt nicht nach. Fragt nicht danach, warum er alles verlassen, warum er sich auf den Weg machen soll. Stattdessen. „Da zog Abram aus, wie Gott es ihm aufgetragen hatte.“ Kein Widerstand. Keine Rückfrage. Stattdessen Gehorsam. Und Aufbruch! Ich frage mich, ob ich auch gegangen wäre!

Jahre später, zehn Kapitel weiter, 1. Mose 22, wiederholt sich dasselbe Spiel. Gott spricht erneut zu Abram, der dann schon Abraham heißt: „Nimm deinen Sohn Isaak, der, den du lieb hast, und bring ihn mir als Opfer dar!“ Und wieder sagt Abram ja und Amen. Tut, wie ihm geheißen. Im Bericht heißt es ganz lapidar: „Und früh am Morgen brach Abraham auf.“ Und ich bin mir sicher: Ich wäre nicht gegangen! Und die meisten anderen Menschen doch auch nicht.

Was hat es mit diesem Abraham auf sich? Als Vorbild im Gehorsam wird er uns vor Augen gestellt. Als Urbild und geistiger Vater aller, die glauben. JA, sogar als Stammvater gleich von drei Ein-Gott-glaubenden Religionen.

Etwas muss aber doch dran sein, warum wir diesen Abraham, nicht verwerfen. Ihn nicht als ungeeignet dafür ansehen, um uns als Vorbild vor Augen gestellt zu werden. Abraham verzichtet darauf, irgend etwas gegen Gott in die Waagschale zu werfen. Abram, der Vater der Glaubenden – er könnte doch auch glauben im Widerstehen. Dem müssen wir nachsinnen. Und nachgehen. Vorher aber singen wir die dritte Strophe – und denken dabei ruhig etwas an Abraham.

Lied vom zuversichtlichen Glauben: Str. 3

Gegen alle Gier der Mächte
stärken Schwestern, Brüder mich.
Endlos sind sie nicht, die Nächte,
Widerstand verbindet sich.
Böses muss nicht ewig sein -
Glauben meint: Sag mutig nein!

Abram bricht auf. Nicht weil er fliehen muss. Nicht weil ihm Gewalt und Tod drohen. Nicht wie den Abermillionen Flüchtenden unserer Tage. Abram bricht auf, weil der Aufbruch Teil seines Lebens ist. Abram ist ein Nomade.. Er ist nicht sesshaft. Er zieht dahin, wohin die Aussicht aufs eigene Überleben ihn trägt. Dahin, wo es Weidegründe gibt. Dahin wo er selber genügend Nahrung zum Überleben findet.

Doch Abram ist ein Mensch ohne Zukunft. Zumindest beschreibt ihn die Bibel so. Zukunft: für den Nomaden Abram heißt das Weidegründe. Herden. Nachkommen. Nachkommen sind die Voraussetzung des ökonomischen Überlebens. Es gibt keine staatlich garantierte Daseinsfürsorge. Das ist eine Erfindung der Moderne.

Eigentlich macht es für Abram gar keinen Sinn aufzubrechen. Die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Abram hat keinen Businessplan. Wie könnte er!

Da hört er die Stimme, die ihn zum Aufbruch drängt. Dass es Gottes Stimme ist – wie könnte er es wissen. Die einzig richtige Antwort wäre: „Es hat ja doch keinen Sinn!“ Abram müsste sich verweigern. Wäre da nicht die der Reiz, das Nicht-Naheliegende zu tun. Abram hat nichts zu verlieren. Nein, er setzt nicht einfach alles auf eine Karte. Er geht kein unternehmerisches Risiko ein. Abram tut das Widersinnige. Er bricht auf, obwohl er das Ziel nicht kennt.

Das Einzige, was Abram hat – das ist die Zusage des Segen. Das Einzige, was Abram hat, ist dieses Wort. Dieses Wort, das in der Lage ist, Gutes aus sich selbst hervorzubringen. „Es werde Licht. Und es ward Licht. Es werde Segen über dir. Und es ward Segen!“

Allein dieser eine Satz ist es, auf den Abram sich verlässt. Nachkommen, ja, nicht nur einer, nicht nur dieser Isaak. Nein, gleich ein ganzes Volk. Abraham wird er deshalb später genannt. Vater vieler Völker. Ein Segen soll er sein für alle Menschen. Abraham, der erste in einer langen Kette von Menschen, die aufbrechen – nicht weil sie sich blindlings ins Abenteuer stürzen. Nein, weil sie dem Segenswort vertrauen. „Ich will dich segnen. Und du sollst ein Segen sein!“

Hätte Abraham das Risiko des Segens gescheut – er wäre gewiss das viel größere Risiko eingegangen. Glauben meint manchmal tatsächlich, der Aussichten meines Lebens mehr zu trauen als den Ansichten der Gegenwart. Nicht auf die Sicherung des Stauts quo zu setzen, sondern auf die Zusage des Segens. Davon lasst uns singen – mit der vierten Strophe

Lied vom zuversichtlichen Glauben: Str.4

Neues müssen wir erproben.
Alte Wahrheit ist oft blind.
Grenzen werden weggeschoben,
die dem Morgen feindlich sind.
Vor dem Irrtum scheu dich nicht!
Glauben meint: Du findest Licht! 

Abraham ist der Mensch im Wandel. Nicht nur des Wandels der Weideplätze. Nicht nur des Wandels der im Aufbruch liegt. Auch des Wandels im Umgang mit Gott. Abraham hat gelernt, auch im Widerspruch zu glauben. Abraham bleibt kein Ja-Sager. Er hat gelernt, mit Gott zu ringen. Er lernt, mit Gott zu verhandeln.

Als Gott Sodom zerstören will, wagt er den Widerspruch. „Es könnten 50 Gerechte in der Stadt sein. Willst du sie wirklich zerstören?“ Dann könnten es 45 sein, 40 oder 30 oder 20, am Schluss sogar nur 10. Das Unerhörte geschieht. Gott lässt sich auf den Deal ein. Um der 10 Gerechten willen, soll die Stadt davon kommen. Tragisch, dass sich am Ende nicht einmal die 10 finden. Dass sich der Einsatz scheinbar nicht gelohnt hat. Nicht um Sodoms willen. Aber um seines Glaubens willen.

Glauben heißt nicht einfach blindlings ja sagen. Glauben heißt, das eigene Leben neu sehen zu lernen. Aus einer anderen Perspektive. Aus der Perspektive Gottes. Ohne nur auf Sicherheit zu setzen. Insofern heißt Glauben tatsächlich auch: das Risiko des Aufbruchs zu wagen. Weil der Segen ein Weg-Geleit ist. Kein Immobilienschutz. Keine Absicherung meiner eigenen Unbeweglichkeit. – Wir singen die fünfte und letzte Strophe:

Lied vom zuversichtlichen Glauben: Str. 5

Zauber liegt auf unserem Leben,
Glanz der Liebe, der uns bleibt.
Teilt, was Gott euch hat gegeben,
Hoffnung neue Lieder schreibt:
Nichts muss bleiben wie gewohnt -
Glauben meint: Das Leben lohnt! 

Das Nachdenken über den Glauben Abrahams braucht eine Nachbemerkung. Ansonsten wäre etwas Entscheidendes nicht gesagt. Nicht nur für uns Menschen ist der Aufbruch ein bleibendes Merkmal. Und nicht nur für die Menschen in der Nachfolge Abrahams gilt das. Es gilt auch für Gott selber.

Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs – er ist ein Gott, der sich an eine Nomadensippe bindet. Es ist ein Gott auf dem Weg. Das sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes: Es ist das heilige Zelt. Auch dann noch, als Mose die Nachkommen des Abraham bei der Flucht aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit anstiftet.

Solange bis David den Gott unterwegs sesshaft machen, ihm ein Haus bauen will. Die Antwort Gottes fasziniert mich jedes Mal aufs Neue: „Geh hin und sage zu meinem Knecht David“, so wird Gott aus dem Mund des Propheten Nathan zitiert: „So spricht der Herr: Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne? Habe ich doch in keinem Hause gewohnt bis auf diesen Tag, sondern ich bin umhergezogen in einem Zelt als Wohnung. Stattdessen will ich dir ein Haus bauen. Und dir Nachkommen auf deinem Thron zusichern.

Der Dynastie der Nachkommen Davids sichert Gott seinen Beistand zu. Und der David-Sohn Salomo erhält dann die Erlaubnis zum Bau des Tempels. Mit allen Konsequenzen, die es nach sich zieht, wenn Gott aus dem Zelt umzieht in ein festes Haus. Für unser Gottesbild. Und für unseren Glauben. Für den Glauben auch, der uns in der Nachfolge des Davidsohnes  Jesu aus Nazareth unübersehbare Segensspuren ziehen lässt.

Gut, dass wir Häuser haben wie diese Kirche, in denen uns die Gegenwart Gottes eindrücklich vor Augen gestellt, zugesprochen und zugesungen wird. Gut, dass wir Gotteshäuser haben auf den Wegen unseres Glaubens. Aber dingfest machen können wir Gott nicht. Nicht in unseren Gotteshäusern. Nicht an einem einzigen Ort. Zu finden ist Gott da, wo sein Segen uns erreicht. Und uns zu neuen Aufbrüchen ermutigt.

Aufzubrechen zwischen meinem ja und meinem nein, zwischen Versuch und Irrtum, zwischen Gottesfinsternis und Glauben. Das bleibt mir zugemutet. Da komme ich über das Erbe Abrahams nicht hinaus. Doch Gottes Segen bleibt mir zugesprochen. Und das schützende Geleit seiner Engel bleibt mir zugesagt. Auf allen meinen Wegen. Amen.

Kantorei: Denn er hat seinen Engeln befohlen (Mendelssohn)

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.