Predigt über Psalm 46 - gehalten am 31. Oktober 2022 in der Stadtkirche in Karlsruhe

31.10.2022

Liebe Gemeinde!

Reformation 2022 – fünf Jahre nach dem Fest-Reigen mit all den großen Feierlichkeiten. 505 Jahre nach der Veröffentlichung der berühmten Thesen Martin Luthers gegen den Ablass. Ein Jahr, nach dem wir Luthers Auftritt vor dem Kaiser und dem päpstlichem Gesandten 500 Jahre zuvor in Worms beim Reichstag in Erinnerung gerufen haben. Und immer wieder, damals und heute, rüttelt uns Luthers Schlusssatz auf. Auch wenn wir ihn meist anders zitieren, als Luther damals wirklich formuliert hat. Am Schluss seiner Erwiderung sagt Martin Luther:

LeserIn 1:
„Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilen allein, weil es offenkundig ist, dass sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun. Gott helfe mir, Amen.“

LeserIn 2
(Orgel unterlegt mit „Ein feste Burg“)

Gott ist unsre Zuversicht und Stärke,
eine Hilfe in den großen Nöten,
die uns getroffen haben.
Darum fürchten wir uns nicht,
wenngleich die Welt unterginge
und die Berge mitten ins Meer sänken,
wenngleich das Meer wütete und wallte
und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.

Martin Luther im Originalton. Dazugestellt der Anfang des Psalms, der ihn zu seinem Lied „Ein feste Burg“ inspiriert hat. In seiner – Luthers – Übersetzung: Fest jedenfalls. Nur an einer Stelle habe ich den Text etwas verändert. Psalm 46! Dieser Psalm ist der vorgeschlagene Predigttext für das diesjährige Reformationsfest.

Sätze, fast prophetisch für unsere Gegenwart geschrieben. Vor allem dann, wenn von den „großen Nöten“, die Rede ist, „die uns getroffen haben“. An großen Nöten haben wir derzeit wahrhaftig keinen Mangel. Angesichts dieses böswillig vom Zaun gebrochenen Krieges mitten in Europa. Angesichts der immer noch nicht ausgestandenen Corona-Pandemie, die soviele Menschen ihr Leben gekostet hat. Angesichts der Klimakrise, die wir derzeit so gerne verdrängen. Die aber im Grunde die größte Bedrohung überhaupt darstellt.

In all diesen Krisen bleibt das Bekenntnis möglich: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke. Hier stehe ich und kann, ja muss nichts anderes sagen!“ Das befreit. Das entlastet. Das eröffnet neue Perspektiven.

Hier stehe ich und kann nicht anders. Es ist nicht die Krise, die das letzte Wort hat. Es ist Gott – unsere Zuversicht und Stärke.

Es sind Gottes Worte, die uns Mut machen und uns aushalten lassen. Trotz all dessen, was sich wie ein dunkler Schatten über die Erde legt. Es sind Worte, die Gott Menschen in den Mund legt. Ein ums andere Mal. Auch in diesem Fall.

LeserIn 1:
I have a dream. Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne von früheren Sklaven und die Söhne von früheren Sklavenbesitzern auf den roten Hügeln von Georgia sich am Tisch der Bruderschaft gemeinsam niedersetzen können.

I have a dream Ich habe einen Traum, dass eines Tages „jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt werden. Die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden und alles Fleisch miteinander wird es sehen.” Dies ist unsere Hoffnung. Mit diesem Glauben werden wir gemeinsam arbeiten können, gemeinsam beten können, gemeinsam kämpfen können, gemeinsam in das Gefängnis gehen können, um gemeinsam einen Stand für Freiheit mit dem Wissen zu machen, dass wir eines Tages frei sein werden.

LeserIn 2:
(Orgel unterlegt mit „Ein feste Burg“)

Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben
mit ihren Brünnlein,
da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.
Gott ist bei ihr drinnen,
darum wird sie fest bleiben;
Gott hilft ihr früh am Morgen.
Die Völker müssen verzagen
und die Königreiche fallen,
das Erdreich muss vergehen,
wenn er sich hören lässt.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.

Dieses Mal nicht Martin Luther. Dieses Mal derjenige, der nach ihm benannt wird. Der in Anlehnung an ihn ebenfalls Worte der Furchtlosigkeit zu reden versteht. Und ebenso zum Mitmacher wird.  Es sind die bekannten Worte von Martin Luther King.

Und wieder in Beziehung gesetzt zu Versen aus Psalm 46, dem heutigen Predigttext.

Leben ist auch möglich in Vorwegnahme. In Vorwegnahme dessen, was noch aussteht. Unserer kühnen Hoffnungen. Unserer nicht aus der Welt zu schaffenden Sehnsüchte. Unserer unausrottbaren Träume. Die Stadt Gottes – mit Wohnrecht für alle. Mit dem Wasser des Lebens, das an allen Ecken und Enden zur Verfügung steht.

Leben ist auch möglich in Protest und Widerspruch. Gegen alle lähmende Macht der Resignation. Gegen alle Mächte des Bösen. Gegen die Handlanger des Todes.

Das Machtstreben der einen über all die anderen – es ist an sein Ende gekommen. Die Zersetzung und Zerstörung unserer Lebensräume zugunsten des Profits der wenigen – es ist keine ernsthafte Möglichkeit mehr.  

Ein Aufruf zum gemeinsamen Handeln steht am Ende der Vollversammlung hier in Karlsruhe vor wenigen Wochen. Karlsruhe schreibt Geschichte, weil die Christenheit der Welt sich hier trifft. Eigentlich ein Wunder. Wie noch weitaus größer wäre dieses Wunder, wenn die Christenheit auch von Karlsruhe herkommend umkehrt und aufbricht. Unter der Überschrift „Ein gemeinsamer Weg“ haben die Delegierten sich folgende Worte zu eigen gemacht:

LeserIn 1:
Trotz unserer großen Vielfalt haben wir auf unserer Vollversammlung noch einmal neu gelernt, dass wir uns gemeinsam auf einen Pilgerweg der Gerechtigkeit, der Versöhnung und der Einheit begeben müssen.

Auf unserer Tagung hier in Deutschland, erfahren wir, was ein Krieg kostet, und erfahren etwas über mögliche Versöhnung;

wir hören zusammen das Wort Gottes und verstehen unsere gemeinsame Berufung;

wir hören einander zu und sprechen miteinander, wir rücken näher zusammen;

wir wehklagen gemeinsam und öffnen uns für den Schmerz und das Leid der anderen;

wir arbeiten zusammen und einigen uns auf gemeinsames Handeln;

wir feiern gemeinsam und freuen uns über die Freude und die Hoffnungen der anderen;

wir beten gemeinsam, entdecken die Vielfalt unserer Glaubenstraditionen und spüren den Schmerz, den unsere Spaltungen verursachen.

LeserIn 2:
'(Orgel unterlegt mit „Ein feste Burg“)

Kommt her und schauet die Werke des Herrn,
der auf Erden Unfassbares vollbringt:
der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt,
der Bogen zerbricht,
Spieße zerschlägt
und Wagen mit Feuer verbrennt.
Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!
Ich will mich erheben unter den Völkern,
ich will mich erheben auf Erden.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.

Was für eine Vision! Was für Bilder einer Welt, in der Gott nicht länger außen vor bleibt. Wieder der Blick auf den Krieg. Gott macht dem Krieg ein Ende. Zieht alle Waffensysteme aus dem Verkehr. Erklärt alle Schutzschirme für überflüssig.

Weil Gott selber zum Schutz der Völker wird. Und uns selber auf all den Wegen vorausgeht, zu denen die Delegierten der Vollversammlung die Menschen einlädt.

Aber da bleibt mir der 46. Psalm mit einem Mal doch im Hals stecken. Der Herr Zebaoth ist unser Schutz! Was heißt das, wenn mir auf meiner Insel in der Südesee das Wasser buchstäblich schon bis zu den Knien steht.

Der den Kriegen ein Ende macht! Was heißt das, wenn ich im Keller meines Hauses im Bombenhagel sitze? Irgendwo in der Ukraine? Irgendwo in Syrien.

Der die Wagen mit Feuer verbrennt! Was heißt das, wenn wir immer mehr solcher Kriegswagen produzieren und verkaufen?

Der Herr Zebaoth ist mit uns! Zunächst: Was für ein ambivalentes Bild! Ausgeliehen aus der Welt der von militärischen Vorstellungen geprägten Bilder. Denn der Herr Zebaoth, das ist ja niemand anderes als der Herr der Heerscharen. Da haben wir die Bilder unseres irdischen Machtgebarens gleich noch an und in den Himmel projiziert.

Aber dennoch: Dass Gott mit uns ist – es ist der Schlüssel, all diese Fragen auszuhalten.

Gott, der mit uns ist – das ist ein Gott, der sich klein macht. Der herabkommt aus seiner himmlischen Abgeschiedenheit und Heimstatt findet mitten unter den Menschen.

Gott mit uns auf dem Weg, das ist Gott, der nicht danach fragt, ob jemand schwarz oder weiß, Frau oder Mann, mächtig oder ohnmächtig, oben oder unten ist.

Jesus aus Nazareth hat seine Bibel gekannt. Und er wird darum auch diesen 46. Psalm mehr als einmal gebetet und gelesen haben. Lange vor der Reformation. Und ohne Martin Luther Kings Rede von seinem Traum gekannt zu haben. 

Es ist Gott, wie Jesus ihn versteht, wie er ihn kennt und unter die Leute bringt. Ein ums andere Mal. Es ist Gott, wie wir ihn selber wahrnehmen, wie er durchscheinend wird, in dem wie Jesus sich den Menschen zuwendet. 

Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin! Um nichts anderes ging es den Müttern und Vätern der Reformation. Es ging ihnen darum, Gott zum Zug kommen zu lassen. Gerade dann, wenn alle Umstände dagegen zu sprechen scheinen.

Gott ist in der Welt. Gott ist mit uns. Gott kommt uns nah. Daran erinnert uns dieser Gedenktag der Reformation! Diese Einsicht möchte ich unter die Leute bringen.  Das lässt mich durchhalten – ja nicht nur das, es lässt mich auch feiern. Das Reformationsgedenken. Und Gottes Gegenwart selber. In seinem Christus. Und in all dessen Schwestern und Brüdern. Amen.

 

 

 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.