Predigt über Lukas 18,1-8, gehalten am 13. November 2022 (vorletzter Sonntag im Kirchenjahr) im Regionalgottesdienst in der Regio „Rhein bis Kraichgau“ im Rahmen der Visitation des KB Bretten-Bruchsal in der evangelischen Dankeskirche in Odenheim

13.11.2022

Liebe Gemeinde!

Irgendwann geht alles einmal zu Ende! Diese Bezirksvisitation. In ihrem Rahmen feiern wir ja diesen Gottesdienst. Das Kirchenjahr. Heute ist sein zweitletzter Sonntag. Irgendwann geht auch jedes Menschenleben zu Ende. In den letzten Wochen des Kirchenjahres geht es deshalb immer wieder auch um das Thema Vergänglichkeit und Tod. Und um die große Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Kein Wunder, dass auch der heutige Volkstrauertag in diese eher tristen Tage Mitte November fällt. Aber auch die alljährliche Friedensdekade, in der wir gerade mittendrin sind.

Irgendwann geht alles einmal zu Ende! Irgendwann geht auch – mit allen Konsequenzen - jene Zeitspanne zu Ende, die Gott den Menschen lässt, um die entscheidenden Fragen ihres Lebens zu klären. Dann, wenn Bilanz gezogen wird. Und Recht und Unrecht gegeneinander abgewogen werden. Dann wird sich zeigen, was bleibt.

Es ist eine offene Frage. Und nicht ohne Grund endet der Predigttext darum tatsächlich mit einer Frage, die er selber nicht mehr beantwortet. Aber hören sie selbst!

Jesus sagte ihnen aber ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte aber Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?

Das Ende ist nah, liebe Gemeinde! Für die ersten Christenmenschen war das keine Frage. Irgendwann in den 70er, 80er Jahren des ersten Jahrhunderts, in der Zeit, in der Lukas sein Evangelium niedergeschrieben hat, war das keine offene Frage. „In Kürze“ – so heißt’s im Text – in Kürze wird dieser Jesus wiederkommen. Dann wird gewogen und geschieden. Dann wird sich erweisen, ob ich auf der richtigen Seite stehe.

Das Ende ist nah. Also gilt es keine Zeit zu verlieren. Alles gilt es dranzusetzen, damit es ein gutes Ende nimmt. Für die einzelnen. Und für die Welt.

Das Ende ist nah. Manche Menschen fürchten sich genau davor. In unserer Gegenwart. In dieser krisen- und kriegsgeschüttelten Zeit. Der eine droht mit seinen Atombomben. Andere sind verängstigt und beunruhigt, weil immer neue Krankheiten durch unsere Lebenswelt rasen. Und wir gar nicht mehr schnell genug hinterherkommen, sie aus der Welt zu schaffen. Allein die Opfer der Coronapandemie zählen weltweit nach Millionen.

Und die dritten verweisen – zu Recht! - darauf, dass wir dabei sind, den Kampf gegen den Klimawandel zu verlieren. Wenn wir nicht endlich anfangen, unser Leben, unseren Lebensstil radikal zu ändern.

Das Ende ist nah. Für diese Witwe ist es so. Und – freilich ganz anders - auch für den Richter. Für die Witwe ist es das Ende ihrer Geduld. Es geht ihr um ihr Recht. Und dieses Recht lässt sie sich nicht auf Dauer vorenthalten.

Wir wissen nicht, worum genau sie kämpft. Der Text schweigt dazu. Aber es wird um ihre Lebensgrundlage gehen. Um ein Grundstück, das ihr vorenthalten wird. Um ein Haus, das ein anderer ungerechterweise in Besitz genommen hat. Oder um ein Erbe, das ihr zusteht. Aber niemand kümmert sich darum. Niemand verschafft dieser Frau Recht.

Das Ende ist nah! Auch für den Richter gilt dies. Das Ende seiner Zeit, Unrecht für Recht zu erklären. Den Menschen ihr Recht vorzuenthalten. Und auch nicht danach zu fragen, dass Gott will, dass Menschen Recht geschieht. Dieser Richter ist kein Richter. Er ist ein Lobbyist in eigener Sache. Ihm geht es nicht um Recht und Gerechtigkeit. Er ist parteiisch. Zu seinen Gunsten. Dass das Recht dabei auf der Strecke bleibt, interessiert ihn nicht.

Der Richter ahnt das herbeinahende Ende. Und er fürchtet dieses Ende auch. Er spürt: Diese nervige Witwe könnte das Unrechtsgebäude seines Lebens zum Einsturz bringen. Könnte ihn öffentlich denunzieren. Könnte ihm womöglich Gewalt antun. Und andere dazu ermutigen, sich hinter sie zu stellen. Die Liste derer, die er um ihr Recht betrogen hat, ist schließlich lang genug.

Was tun, wenn das Ende nah ist? Der Richter fragt sich das. Und die Witwe. Lukas der Evangelist. Und seine Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Und uns wird diese Frage am Ende auch nicht erspart.  Wenn das Ende nah ist - was also tun?

Der Richter hat’s eigentlich am einfachsten. Er stellt das Recht her. Endlich. Er klärt die offenen Fragen, die der Witwe den Blick in die Zukunft verstellen. Und die sie in ihrer Würde verletzen.

Die Witwe ist – zunächst – auch am Ziel. Sie kann sich fürs Erste wieder dem Leben zuwenden. Das Ende ist erst einmal ferngerückt. Ein Fest wird sie gefeiert haben, da bin ich sicher. Und ihre Freunde werden sie gerühmt haben. Und sie hochleben lassen. Schließlich hat sie nicht nur ihre eigene Situation gerettet. Sie hat auch dem ungerechten Richter die Grenzen aufgezeigt.

Was tun, wenn das Ende nah ist? Nicht umsonst hält Lukas dieses Gleichnis Jesu in seinem Evangelium fest. Denn genau darauf will es ja eine Antwort geben. Natürlich: Er will den Menschen seiner Zeit die Gerechtigkeit Gottes vor Augen führen. Gott ist so ganz anders als dieser ungerechte Richter. Wenn’s ums Recht geht, lässt er sich nicht zweimal bitten.

Das andere Gleichnis kommt mir in den Sinn. Der Mann, der nächtens Besuch bekommt. Und seinen Gästen nichts vorsetzen kann. Weil der Kühlschrank leer ist. Da traut er sich, die Nachbarn aus dem Schlaf zu reißen. Eine merkwürdige Nachbarschaft ist das. Am Ende rücken sie schon etwas heraus. Aber nicht aus Höflichkeit. Und schon gar nicht aus Freundschaft. Sondern um dem Betteln zu nächtlicher Stunde ein Ende zu machen.

Gott ist das genaue Gegenteil dieser merkwürdigen Nachbarn. Und auch dieses Richters. Ihm geht es darum, Menschen nicht ins Leere laufen zu lassen. Sondern sie ins Recht zu setzen. Gegenüber ihren Mitmenschen. Und gegenüber ihm, Gott selber, natürlich auch. Damit am Ende das Recht die Oberhand behält.

Was tun, wenn das Ende nah ist? Das Gleichnis verrät auch etwas über uns Menschen. Mehr noch. Es geht ihm vor allem um uns Menschen. Um die Möglichkeiten, die wir haben. Und das ist gar nicht wenig.

Wir dürfen, ja wir sollen Gott in den Ohren liegen. Wie der bittende Freund seinen Nachbarn bei Nacht. Wie die Witwe gegenüber dem ungerechten Richter. Bitten und Flehen. Quengeln und Klagen. Ja, auch Einfordern und Auflisten, woran es uns mangelt und es Gott dann in die Ohren schreien – das ist nicht ungebührlich. Das ist nichts, wovon wir gegenüber Gott Abstand zu nehmen hätten – im Gegenteil. Wenn allein schon die nervige Klage dieser Witwe einen ungerechten Richter zum Einlenken bringt – wie soll sich Gott dann zurückhalten, wenn Menschen sich mit ihren Bitten an ihn wenden.

Für mich ist das eine ganz entscheidende Korrektur dessen, was wir mit Beten verbinden. Oder zumindest eine entscheidende Ergänzung. Wir müssen nicht politisch oder theologisch korrekt beten. Müssen Lob und Klage, Bitte und Fürbitte in der rechten Balance halten. Nein, unser Beten ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Und es unterliegt vor allem nicht der Zensur anderer. Am Ende ist es Gottes Sache, das jeweils Rechte daraus zu machen.

Um nicht falsch verstanden zu werden. Gott ist keine Versicherung, bei der man einfordert, was einem zusteht, weil man schließlich vorher einbezahlt hat. Oft genug stehen Menschen am Ende mit leeren Händen da, auch wenn sie oft genug Gott ihre Bedürftigkeit ins Ohr geschrien haben. „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen.“ Dietrich Bonhoeffer hat das so in Worte gefasst. Auch wenn es oft nicht so kommt, wie wir es gerne hätten – unser Beten ist nicht vergeblich. Es stößt bei Gott auf Widerhall. Es lässt uns am Ende auch das Schweigen Gottes aushalten. Diesen Glauben will das Gleichnis stärken.

Was tun also, wenn das Ende nahe ist? Was heißt das für mich? Und für dich? Was heißt es am Ende dieser Bezirksvisitation? Was heißt es in diesen besonderen Zeiten? Vor allem aber: Was heißt es dann, wenn ich wirklich aufs Ende zugehe?

Dieses Gleichnis ist ein besonderes Gleichnis. Es unterscheidet sich von allen anderen durch seinen Schluss. Kein “Gehe hin und tue desgleichen!“ Kein „So sollt auch ihr!“ Kein „Am Ende wird die Logik des Reiches Gottes siegen!“ Stattdessen eine Frage. Eine bemerkenswerte Frage: Wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?

Das ist mehr als nur ein Restzweifel. Das ist ein tatsächliches Offenhalten. Ein Appell, diesen Glauben zu wagen. Und ein Eingeständnis, dass womöglich nicht alle diesen Weg gehen werden. Nur, die Entscheidung darüber, wen Gott hören wird und wen nicht, die Bewertung, wie rechter Glaube auszusehen hat und ob Gott am Ende sein Recht nicht weitaus großzügiger zum Erstrahlen bringt, als manche das zu wissen vorgeben – diese Entscheidung liegt nicht bei uns.

Wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden? Ja, ich bin sicher, Gott wird diesen Glauben finden! Weil wir finden und sehen, wie schon ein Glaube so klein wie ein Senfkorn die Welt aus den Angeln zu heben vermag.

Was also tun, wenn das Ende nah ist? Beten – das ist die Antwort, die dieses Gleichnis uns heute vorschlägt. Für mein kleines Leben gilt das. Und für die große Welt, die in so schmerzhaften Wehen liegt. Ja, am liebsten würde ich den Frieden in der Ukraine herbeizwingen und herbeibeten. Aber auch wenn er noch auf sich warten lässt – kein Friedensgebet ist vergeblich. Das öffentliche, gemeinsame Gebet nicht. Genauso wenig wie mein eigenes, ganz persönliches Gebet. Da bin ich mir ganz sicher. Und darum schließt sich in jedem Gottesdienst der Predigt das Fürbittengebet an, in dem wir die Welt ins Gebet nehmen. Vor Gott. Und vor unser aller Augen und Herzen.

Aber ich höre dann immer auch einen Satz, eine Ergänzung dieses Ratschlags von Dietrich Bonhoeffer mit. Er schreibt im Jahre 1944: „Unser Christsein wird heute nur in Zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.“

Damit komme ich am Ende dieser Predigt auch noch einmal auf diese Bezirksvisitation zurück. Auch unser „Denken, Reden und Organisieren“ – wir dürfen es eingebunden wissen in die Gewissheit – Gott wird unserem Tun, gerade wenn es vom Gebet getragen ist, seinen Segen nicht vorenthalten. Was Denken, Reden und Organisieren wir nicht alles – vor Ort, in der Regio, im Bezirk und in unserer Landeskirche. EKIBA 2032; Kirche 2050 und Projektion 2060.

Wir sollen und dürfen Kirche gestalten. Mitgestalten. Im Vertrauen auf Gottes Geist und getragen von dem Wissen, dass wir‘s am Ende nicht selber richten müssen. Gott wird Glauben finden. Zur rechten Zeit. Und er wird uns ins Recht setzen. Heute. Und vor allem, wenn das Ende naht. Amen.

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.