Predigt über 2. Mose 33,18-23 im Gottesdienst zur Eröffnung der Stadtsynode (mit Dekanswahl) am Freitag, den 18. Februar 2022 in der Christuskirche in Karlsruhe

18.02.2022

Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen. " (Mose 33,18-23)

Liebe Synodalgemeinde, hier in der Christuskirche und zu Hause an den Rechnern und Bildschirmen!

Karlsruhe zeigt Gesicht! Zusehends kommen die klaren und architektur-ästhetischen Strukturen dieser vom Klassizismus geprägten Stadt wieder zum Vorschein. Die Umleitungen werden weniger. Die Tunnelgräben sind zugeschüttet. Die Baustellen sind weitgehend verschwunden. Selbst ich gewinne allmählich wieder die Orientierung und meine Lust auf die Stadt zurück. Zeitweise war sie mir tatsächlich fast verlorengegangen.

- Zwischen-Intonation -

Gott soll Gesicht zeigen. Mose wünscht sich das zumindest. Den Israeliten ist auf dem Weg durch die Wüste mehr als einmal die Orientierung verlorengegangen. Die Fleischtöpfe Ägyptens – sie sind fürs Erste nur noch Erinnerung. Vom versprochenen Land, in dem Milch und Honig fließen, ist weit und breit nichts zu sehen. Es gilt, die stürmische Gegenwart und die Wüstenzeiten zu gestalten. Es gilt, selber Verantwortung zu übernehmen. Mose steht die Situation klar vor Augen. „Wenn nicht dein Angesicht vorausgeht, macht es keinen Sinn, dass wir weitergehen.“ Mose ahnt, dass ihn diese Aufgabe wohl alleine überfordert.  

Gott soll nicht nur Gesicht zeigen. Er soll seine Herrlichkeit, seine Ehre, seine Kabod vor Mose erscheinen lassen. Mose, so kommt es mir fast vor, will wissen, ob denn Gott willens ist, die Führung zu übernehmen. Ob Gott denn der Größe der Aufgabe gewachsen ist.

- Zwischen-Intonation -

Karlsruhe zeigt Gesicht. Dieses Jahr im September ein buntes und offenes Gesicht. Bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates. Die Orientierung, sie war auch hier teilweise im Dschungel der Pandemie verlorengegangen. Erst verschoben. Dann in Wahrscheinlichkeiten und Varianten präsentiert. Aber immer mit der Absicht, Gottes bunte Familie hier in der Stadt feiern zu lassen. Und die Strahlkraft der vielfachen Weisen, von Gott zu reden und Gott zu loben öffentlich erlebbar zu machen. Die Kirche Jesu Christi soll sich zeigen in einer überzeugenden und gewinnenden Weise, der Größe und Weite Gottes in der Welt einen Ort zu geben.

Jetzt ist Zuversicht angebracht. Und schon jetzt freue ich mich auf die vielen Möglichkeiten, Gottes Ebenbild im Gesicht unserer ökumenischen Gäste wiederzuerkennen.

- Zwischen-Intonation -

Gott zeigt Gesicht. Aber anders als es Mose recht ist. Nicht einfach ein Miteinander auf Augenhöhe, auf Du und Du. Keine Kumpanei zwischen Gott und Mensch, so als wären alle heilsamen Unterscheidungen hinfällig. Schon gar nicht die zwischen Geschöpf und Schöpfer. Gott wählt einen anderen Weg. Und lässt gerade darin seine Größe, seine Heiligkeit, seine Kabod aufscheinen. So, dass diese Gottesbegegnung für Mose erträglich bleibt.

Mose bleibt beschützt und bewahrt im Auge des Gottessturms. Er kann sich sicher sein, dass Gott da ist. Aber erst im Nachhinein. Wenn alles wieder ruhig ist. Und die Größe Gottes sich im Nachhall zu erkennen gibt. Im Nachgang. Und im Nachklang. Gott ist präsent. Selbst dann und da, wenn Gottes Gegenwart nicht klar und unübersehbar vor Augen liegt. Wenn wir sie nur noch daran erkennen, dass sie an uns vorübergegangen ist.

- Zwischen-Intonation -

Karlsruhe zeigt Gesicht. Vielfältig. In Institutionen und Zivilgesellschaft. Im Stadtteil und in Bündnissen und Vereinen. In weltlicher Architektur und in kirchlichen Gebäuden. In Gemeinden und Synoden. In Menschen, die Verantwortung übernehmen. Beruflich und ehrenamtlich. In der Stadt und in der Kirche. Im selbstbewussten evangelischen Kirche-Sein mitten im Kreis der großen ökumenischen Familie. Die evangelische Kirche in Karlsruhe zeigt Gesicht. Gerade auch heute Abend.

Die Pandemie hat dieses Kirchesein verändert. Sie hat ihm zugesetzt. Aber sie hat ihm mitnichten den Garaus gemacht. Im Gegenteil. Es gibt keinen Lockdown Gottes in seiner Welt. Profil haben wir gewonnen. Neue Wege der Gottesbegegnung ersonnen. Dass diese Stadtsynode heute Abend tagt, weitgehend digital, eröffnet mit einem Gottesdienst, den Sie freiweg nach Hause gestreamt bekommen – das zeigt: Wir wollen Kirche sein und Kirche gestalten. Auch auf neuen Wegen.

- Zwischen-Intonation -

Mose kann Gottes Gesicht nicht sehen. Aber Gott wendet sich von ihm dennoch nicht ab. Gott mutet ihm Engstellen und Begrenzungen zu. Lässt ihn in einer Felsspalte Unterschlupf finden. Hält seine Hand über ihn. Um ihn zu schützen und zu bewahren.

Nicht zu ertragen ist Gottes Gegenwart, wären wir ihr schutzlos ausgesetzt. Unerträglich wären wir uns selber, blieben wir im Angesicht Gottes unserem eigenen Anblick schutzlos ausgesetzt. Einfach nur Mensch zu sein. Mensch unter Menschen. Das ist der Ort, an dem ich mich um Gottes Willen wiederfinde. Der Ort, an dem Gottes Wirklichkeit und Herrlichkeit mich umgibt. Aber so, dass mein Menschsein in ihr nicht schutzlos aufgeht.

- Zwischen-Intonation -

Karlsruhe zeigt Gesicht. In vielen Gesichtern, die diese Stadt prägen. In Menschen voller Mut. In Menschen, die das Leiden vor ihren Augen nicht klaglos zur Kenntnis nehmen. In Menschen, die Hunger und Gewalt der vielen nicht unbeteiligt ertragen. In Schwestern und Brüdern voller Sehnsucht danach, Gott zu begegnen. In Initiativen für den Frieden in der Ukraine. Und für ein mutiges Widerstehen, wo Menschen den Staat lächerlich machen willen.

Gottes Herrlichkeit ist zu groß, als dass er sie für sich behalten und uns an ihr nicht Anteil geben würde. Unter der Hand Gottes verborgen zeigt sich Kirche hier vor Ort und weltweit in ihrer ganzen Vielfalt. Jedes Kirchengebäude und jede Kindertagesstätte, jeder Einsatz, ob ehrenamtlich oder hauptamtlich, birgt eine Spur der Größe und der Strahlkraft Gottes – mitten in den Grotten und Verliesen. Am heimischen Mittagstisch und im Gemeindehaus.

- Zwischen-Intonation -

Gott zeigt Gesicht. In dem einen, der in einer Felsgrotte vor Bethlehem das Licht der Welt erblickt, um Wege in eine neue Welt zu bahnen. In Mose und all denen, die Verantwortung übernehmen, um mit ihren Mitmenschen in die Freiheit aufzubrechen. Und bis mitten hinein in unsere Tage zieht Gottes Herrlichkeit ein ums andere Mal an uns vorüber. In all denen, die bereit sind, Leitungsämter zu übernehmen. Als Mitglieder im Stadtkirchenrat und in der Stadtsynode. Als Pfarrerin oder als Dekan. Als Kantor oder als Diakonin. Als Sozialarbeiterin in der Diakonie oder als Mitarbeiter in der Verwaltung.

So tief kann keine Felsspalte sein, als dass wir die leuchtenden Spuren der Herrlichkeit Gottes übersehen könnten. Das lässt uns feiern. Das lässt uns beraten und in diese Synode aufbrechen. Amen.

 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.