Predigt über Genesis 28,10-22, gehalten am 18. September 2022, anlässlich der Einweihung des neuen Gemeindehauses in Großeicholzheim

18.09.2022

Liebe Gemeinde!

Kein Zweifel! Jakob muss auf seiner Flucht auch hier bei Ihnen übernachtet haben! Denn dass Sie hier und heute ein neues Gemeindehaus einweihen können, das ist allemal ein Wunder. In einer Zeit, in der viele Gemeinden überlegen, was sie mit ihrem Gemeindehaus in Zukunft machen – in einer Zeit, in der andere Gemeinden sich von ihrem Gemeindehaus trenne müssen, da feiern Sie die Einweihung eines neuen Gemeindehauses.

Das kann nur daran liegen, dass Jakob auf dem Weg nach Haran auch hier übernachtet haben muss. Und wie in Bethel hat er dann wohl auch hier veranlasst, dass als bleibendes Zeichen seiner Gottesbegegnung an dieser Stätte ein Haus gebaut wird. Ein Haus für alle! 

Gut, wir alle wissen, dass es nicht so war. Aber wie bei Jakob gab auch bei Ihnen ein Traum den Ausschlag dafür, hier ein Haus zu bauen. Ein neues Gemeindehaus. Vor fünf Jahren, bei einer Ältestenrüste im Kloster Kirchberg, haben sie diesen Traum zum ersten Mal geträumt. Es trifft sich gut, dass ich heute in einer Woche im Kloster Kirchberg einen Gottesdienst zu halten habe. Dort werde ich schauen, ob Sie dort zumindest einen Stein zur Erinnerung an Ihren Traum vom neuen Gemeindehaus errichtet haben.

Heute bleibt mir aber zuallererst die schöne Aufgabe, Ihnen zur Einweihung Ihres neuen Gemeindehauses von Herzen zu gratulieren. Ich tue das ganz persönlich. Aber natürlich gratuliere ich Ihnen auch im Namen unserer Landeskirche. Und ich weiß mich dabei mit Herrn OKR Wollinsky, unserem Finanzreferenten und Ihrem Gebietsreferenten verbunden.

Die Lesung, die wir eben gehört haben, ist heute auch der Predigttext. Und so ganz schlecht passt er ja nicht zu diesem heutigen Festanlass. Das habe ich eben ja schon anzudeuten versucht.

Jakob ist auf der Flucht vor seinem Zwillingsbruder Esau. Er hatte ihn zuvor gehörig und mit unlauteren Mitteln  um sein Erbe betrogen. Und um den Segen des Vaters dazu. Der Segen, daran war die Zusage geknüpft, dass Gott es ihm gelingen lassen wird. Seine Herden sollten Weide finden und sich mehren. In der Familie würde er in Nachfolge des Vaters an erster Stelle stehen.

Jakob muss nun um sein Leben fürchten Esau, sein Zwillingsbruder, will sich an ihm rächen. Jakob hat keine Wahl. Er flieht. In unwirtlicher Umgebung, auf kargem Boden verbringt er seine erste Nacht. Sein Schlaf ist unruhig. Er träumt. Er träumt, dass die Kraft des Segens hält. Er träumt, dass Gott ihn nicht fallen lässt.  Von Engeln träumt er, die auf einer Leiter, die Himmel und Erde miteinander verbindet, herauf- und hinuntersteigen.

Es ist kein Alptraum. Wahrhaftig nicht. Jakob, der Betrüger, er kommt davon. Er wird sogar noch belohnt. Nachkommen werden ihm verheißen. Und Landbesitz. Mit anderen Worten. Gott verspricht Jakob Zukunft. Keine vage Zusage ist das. Vielmehr die feste Gewissheit. Trotz seines Betruges. Trotz seiner Flucht – am Ende wird alles gut!

Es ist keiner der Träume, die man am kommenden Morgen schon wieder vergessen hat. Der Traum hat sich in Jakobs Seele eingebrannt. Von diesem Traum lebt er. Jakob weiß: Diese Nacht ist eine besondere Nacht. Diese Nacht hat sein Leben neu ausgerichtet. Hat ihm eine bleibende Ausrichtung gegeben. Von der Erfahrung dieser Nacht würde Jakob künftig leben können.

Jakob markiert diesen Ort. Er will ihn nie mehr verlieren. Er richtet einen Stein auf. Und er gibt dem Ort einen neuen Namen.  Beth-El nennt er ihn. Auf deutsch: Haus Gottes. Ein Haus für alle. Für alle, die mit Gott rechnen. „Hier ist wahrhaftig Gottes Haus – und ich wusste es nicht! Mehr noch: Hier ist die Pforte des Himmels!“

Martin Luther spricht mit ganz ähnlichen Worten von seiner umwerfenden Gotteserfahrung. Seiner Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes. Er schreibt – ein Jahr vor seinem Tod:

„Ich konnte den gerechten, die Sünder strafenden Gott nicht lieben, im Gegenteil, ich hasste ihn sogar. Ich wagte nicht zu hoffen, dass ich Gott durch meine Genugtuung versöhnen könnte. Ich dürstete glühend zu wissen, was Paulus wolle.

Da erbarmte sich Gott meiner. Und ich fing an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche zu verstehen, durch welche der Gerechte als durch Gottes Gabe lebt, nämlich aus dem Glauben. Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein. So ist mir diese Stelle des Paulus in der Tat die Pforte des Paradieses gewesen.“

Darum geht es im Leben. In jedem Leben: Es geht darum, die Pforte des Paradieses zu finden. Die jeweils eigene Pforte. Den Ort, an dem die Erfahrung der Gegenwart Gottes mein Leben auf eine neue Grundlage stellt. So, dass ich danach den Ort markiere, an dem ich meine Pforte zum Paradies gefunden habe. So dass ich diesem Ort danach einen Namen gebe, um ihn nie mehr zu verlieren.

Für sie als Gemeinde gibt es solche Pforten zum Paradies ja nicht zum ersten Mal. Es gab sie etwa als ihre Mütter und Väter im Glauben diese Kirche haben bauen können. Oder damals, als die Pfarrstelle errichtet wurde. Genau genommen reiht sich in Ihrer Geschichte als Gemeinde eine Pforte neben die andere. Auch wenn wir viele davon oft einfach übersehen.

Hier können wir von Jakob lernen. Er war sich der Besonderheit des Augenblicks bewusst. Er hat den Ort markiert. Er hat an ihm das Haus Gottes errichtet. Jedes Menschenleben lässt sich eigentlich als eine Aneinanderreihung solcher Steine, solch markierter Orte des Gedenkens beschreiben. Und wenn Sie ein wenig darüber nachdenken, werden sie auch ihre Pforten des Himmels finden. Und den Bretter verschlag zur Hölle nicht selten ganz in der Nähe. 

Noch einmal möchte ich Martin Luther zitieren. Er hat einmal gesagt: „Wo der liebe Gott ein Haus baut, da baut der Teufel eins daneben!“ Das ist das andere. Wir sind im Leben nicht einfach gefeit davor, den falschen Eingang zu benutzen. Jakob hätte auch auf seine eigenen Kräfte setzen, sich sein Gelingen, trotz allem Bösen, als eigenes Verdienst zuschreiben können. Erst am Ende seiner Flucht, kurz vor dem Wiedersehen mit Esau, wird klar – Jakob hat die rechte Pforte gewählt. Damals, als er nächtens mit Gott ringt. Und am Ende Gott erneut seinen Segen abringt: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“

Nicht mehr mit Hilfe der List seiner Mutter Rebekka. Sondern aus eigener Einsicht. Aus eigenem Willen. Und wieder bahnt sich diese Erkenntnis nach einer langen Nacht des Ringens mit Gott an. Nicht mehr im Schlaf. Sondern in der direkten Auseinandersetzung.

Und wenn Jakob doch in Großeicholzheim vorbeigekommen wäre. Wenn er hier geträumt hätte. Was hätte er Ihnen mit auf den Weg gegeben? Zum einen: Ein Gemeindehaus ist nicht einfach ein Haus Gottes. Es ist zunächst und vor allem ein Haus der Menschen. Und ein Haus für die Menschen. Hier können Sie Gemeinde leben. Hier können sich Menschen treffen. Hier bekommt die Gemeinde Hände und Füße. Hier bekommt sie auch Atem und Stimme.

Aber ein Gemeindehaus ist kein Vereinsheim. Es ist ein Haus, das die Gemeinde Gottes sichtbar und vernehmbar macht. Wenn die Kirche das Haus für den Sonntag ist, ist das Gemeindehaus das Haus für den Werktag. Ein Gottesdienst ist ja mehr als das, was Sie als Gemeinde jeden Sonn- und Feiertagvormittag miteinander feiern. Unser ganzes Leben soll ja ein Gottesdienst sein. Darum ist dieses Gemeindehaus, das alte wie das neue, am Ende also doch auch ein Haus Gottes – nur noch einmal ganz anders.

Ein Haus auf der Grenze ist es – auf der Grenze zwischen Sonntag und Werktag. Auf der Grenze zwischen einem Haus der Menschen und einem Haus Gottes. Auf der Grenze aber auch zwischen Kirche und Welt. Schließlich stehen die Pforten des Himmels allen Menschen offen! Und darum haben auch bei der Finanzierung das Leader-Programm, die Evangelisches Landeskirche und sie als Gemeinde hier vor Ort beispielgebend zusammengewirkt.

Jakob wäre mit Kopfschmerzen aufgewacht, hätte er auch noch von Gemeindehäusern und deren Finanzierung träumen müssen – das haben sie als Kirchenälteste und als Gemeinde zusammen mit dem Evangelischen Oberkirchenrat dann schon selber übernommen. Aber zu denken gibt Jakob uns am Ende trotzdem – auch im Blick auf Ihr neues Gemeindehaus. Am Ende ist es als Gebäude aus Stein selber so etwas wie das Zeichen der Erinnerung, ein Hinweis auf die Gegenwart Gottes in unserer Welt. Eine Heimstatt des Leibes Christi in Gestalt Ihrer Gemeinde!

Sie gehen also ab heute ein klein wenig in Jakobs Fußstapfen durch die Welt. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie immer wieder neu auch am neuen Ort in Jakobs Erkenntnis und Ausruf einstimmen können: „Siehe hier ist die Pforte des Himmels. Und wir wussten es nicht.“ Ein Merkzeichen der Gegenwart Gottes im Alltag – das haben Sie hier errichtet. Und genau darum auch ein Haus mit offenen Fenstern und Türen für alle. Amen. 

 

 

 

 

 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.