Predigt über Philipper 4,4-7 gehalten am 18. Dezember 2022 (4. Advent) in der Heiliggeistkirche in Heidelberg

 

18.12.2022

Liebe Gemeinde!

Als ich Christtagsfreude holen ging!“ Diese Geschichte des österreichischen Volksschriftstellers Peter Rosegger war die Weihnachtsgeschichte meiner Kindheit. Sie erzählt von einem zwölfjährigen Jungen, der auf einem einsamen Bauernhof lebt, hoch droben in den Alpen. Früh am Morgen des 24. Dezembers wird er von seinen Eltern geweckt. Er soll noch bei Dunkelheit durch den Schnee zum Dorf unten im Tal hinabsteigen. Dort soll er nötige Dinge einkaufen, die die Familie für das Weihnachtsfest noch benötigt. Semmelmehl und Rindschmalz. Salz und Hefe. Weinbeeren und Zucker. Safran und Neugewürz. Mit all dem kann die Weihnacht gefeiert werden Mit all dem kann sich die gewünschte Christtagsfreude einstellen.

Die Schneetour des Jungen hat es erst einmal in sich. Als beschwerlich und gefährlich hat sie sich entpuppt. Die Laterne zerbricht, und er muss durch die Dunkelheit weiter. Ein kurzzeitiger Weggenosse erweist sich als Dieb.

Dennoch ist die Bilanz der abenteuerlichen Schneewanderung am Ende positiv. Peter Rosegger beschreibt die Gedanken des kleinen Jungen so: „Nicht lange hernach, und ich trabte mit meinen Gütern reich und schwer bepackt durch die breite Dorfgasse dahin. Überall in den Häusern wurde gemetzgert, gebacken, gebraten, gekellert; ich beneidete die Leute nicht; ich bedauerte sie vielmehr, daß sie nicht ich waren, der mit so großem Segen beladen gen Alpel zog. Das wird morgen ein Christtag werden!“

Am Ende kommt der Bub mit allem, was zur Christtagsfreude der Familie nötig ist, wieder heil zu Hause an. Den Heiligabend verschläft er allerdings vor Erschöpfung. Aber der Familie hat er durch seine Tour die Christtagsfreude ins Haus gebracht.

Diese alte Geschichte ist plötzlich aus der Tiefe meines Inneren in mir aufgetaucht. Der Grund dafür war Paulus. Genauer wenige Verse, über die heute in den Kirchen gepredigt werden soll. Um die Freude geht’s da. Und so kurz vor Weihnachten auch um die Christtagsfreude. Wie der 12jährige Peter in der Mitte des 19. Jahrhunderts mache ich mich an diesem 4. Advent mit Ihnen daran, die Christtagsfreude abzuholen. Zuerst eben bei Paulus. Der schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi:

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Christtagsfreude abholen – bei Paulus! Es liegt zunächst durchaus nicht nahe, ausgerechnet bei Paulus die Christtagsfreude des Jahres 2022 abholen zu wollen . Woher soll ausgerechnet er sie haben? Als Paulus sein „Freut euch!“ schriftlich festhält, als er diesen Brief schreibt, vermutlich im Winter 54 auf 55 nach Christus, in Ephesus, manche meinen auch in Rom, sitzt er im Gefängnis und wartet auf seinen Prozess. Ob er das Gefängnis je wieder würde verlassen können, bleibt zu dem Zeitpunkt offen.

Das Gefängnis in Ephesus als Produktionsquelle der Freude? Nein, das Gefängnis sicher nicht. Es ist diese unbändige Erwartungshaltung, die Paulus so schreiben lässt. Dieses „Der Herr ist nahe!“ Die Kraft, die Paulus daraus für sich gewinnt, setzt er um in einen Freuden-Appell. An Eindringlichkeit kaum noch zu überbieten. „Freut euch in dem Herrn! Und noch einmal: Freut euch!“ Nur: Freude lässt sich nicht anordnen. Nicht herbeizwingen und nicht herbeireden.“ „Freut euch doch endlich mal!“ Das geht nicht!“

Oder genauer gesagt: Es geht nur, wenn ich selber so richtig erfüllt bin von dieser Freude. Und gar nicht anders kann, als sie weiterzugeben.

Das, was Paulus mit Freude meint, ist kein rührseliges Gefühl. Freude ist für Paulus Entsprechung. Dem Glanz, den Gott auf diese Welt legt, indem er sich auf die Menschen einlässt, selber Mensch wird – diesem Glanz will ich oder soll ich mit meinem Verhalten entsprechen. Indem ich selber Glanzpunkte des Lebens entdecke und freilege. Für mich selber. Und für andere. Und so ist es nicht gänzlich abwegig, im „Der Herr ist nahe!“ des Paulus auch die Möglichkeit seines baldigen Besuches in Philippi anzukündigen.

Was also hole ich ab an Christtagsfreude bei Paulus? Ich finde zuerst die befreiende Kraft der Erwartung! Dieses „Der Herr ist nahe!“ Freude ausstrahlend, noch ehe erfüllt ist, was in seiner Fülle erst noch aussteht.

 

EG 19,1: O komm, o komm …

O komm, o komm, du Morgenstern,
lass uns dich schauen, unsern Herrn.
Vertreib das Dunkel unsrer Nacht
durch deines klaren Lichtes Pracht.
Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.
Freut euch und singt Halleluja.

Christtagsfreude abholen – in der Gegenwart! Heute feiern wir den vierten Advent. Genauer gesagt, den vierten Sonntag im Advent! Und ganz so anders als bei Paulus sieht die Welt derzeit nicht aus. Auch wenn wir in Freiheit leben - die äußere Gestimmtheit kommt insgesamt doch sehr verhalten daher. Die Gemütsverfassung vieler Menschen lässt wenig ahnen oder gar spüren von weihnachtlicher Freude. Kein Wunder. Zu viele Themen lasten vielen Menschen auf der Seele.

Allen voran dieser unsägliche Krieg. Voller Verbrechen gegen die Menschlichkeit Tag für Tag. Nacht für Nacht. Wer Menschen das Wasser nimmt. Die Wärme. Die Nahrung. Das Dach über dem Kopf, der hat jedes Maß verloren. Wenn ein Krieg überhaupt jemals ein Maß kennt. Kriege sind eigentlich fast immer maßlos.

Aber mit der großen Welt und deren Krisengestimmtheit hat es ja nicht sein Bewenden! Was treibt Menschen im ganz Persönlichen derzeit um! Materielle Sorgen angesichts steigender Preise. Krankheiten und Kränkungen. Heilung und Heil sind nachgefragt in diesen Tagen. Und sie sind oft ein rares Gut.

Weihnachtliche Freude. Der Appell des Paulus „Freut euch in dem Herrn!“ – er verhallt aber auch in diesen Zeiten nicht. Nicht einmal der Krieg konnte ihn je zum Verstummen bringen. Weil er sich nicht aus der Ansicht der Wirklichkeit speist. Sondern aus der Aussicht dessen, was Menschen zu erwarten haben. Dennoch zu erwarten haben.

Vom „Frieden auf Erden“ singen die Engel in der Nacht bei den Hirten. „Der Herr ist nahe!“, schreibt Paulus. Wieder ist es die Erwartung. Wieder ist es genau das, was eigentlich den Advent ausmacht. Was ihn ausmanchen sollte. Leben in Fülle - im Vorgriff auf die Wirklichkeit. Freude als Angeld auf das, was noch aussteht.

Welche Christtagsfreude finde ich also gerade auch in unseren Tagen? Was kann ich – dennoch! – entdecken zwischen Corona und VRS auf den Kinderstationen, zwischen Krieg und der Sorge um die drohende Klimakatastrophe? Die unbändige Kraft der Hoffnung! Das Nicht-Nachlassen in meinem eigenen Engagement. Und über allem das „Sorget nicht!“ des Paulus. Stattdessen: Lasst euer Sorgen los. Und sei’s nur für kurze Zeit. Legt eure Sorgen ab und feiert. Mit Freude und mit Dankbarkeit.

Den Frieden auf Erden feiert – schon jetzt, ehe ihr ihn habt. Und eine Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden blühen. Und in der die Freude ihren Ort hat – mitten in meinem Leben.

EG 19,2: O komm, du Sohn …

O komm, du Sohn aus Davids Stamm,
du Friedensbringer, Osterlamm.
Von Schuld und Knechtschaft mach uns frei
und von des Bösen Tyrannei.
Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.
Freut euch und singt Halleluja.

Christtagsfreude abholen – beim Kind der Weihnacht selber! Was Paulus schreibt, sein „Freut euch in dem Herrn!“ hat seinen Anhalt, seine Ursache im Leben dieses Herrn. Freude ist die Begleiterin derer, die ihm begegnen. Bei den Hirten, die sich freudig auf den Heimweg machen. Bei den weisen Sterndeutern aus dem Osten, weil der Himmel nicht getrogen hat. Bei den Alten Simon und Hanna, deren Leben sich erfüllt, als sie das Kind sehen.

Bei denen, die zur Freude nicht finden können, bleibt häufig nur blankes Entsetzen. Bleibt Furcht und Entsetzen. Dieses Kind zwingt zur Entscheidung! Krieg oder Frieden. Hass oder Liebe. Wehklagen oder eben: Freude!

Was können wir abholen an Christtagsfreude – gerade auch im Advent des Jahres 2022? „Der Herr ist nahe!“ Das ist Zeitansage, die quer liegt zu unserem sonstigen Zeitverständnis. Denn zugleich feiern wir, dass dieser Herr längst als der Gegenwärtige handelt. Der kommende, der erwartete Herr, auf den wir warten in diesen Tagen des Advents – er ist längst gegenwärtig mitten unter uns.

Freut euch!“ – wenn nicht darüber, worüber dann? Über die Verhältnisse, in denen wir hier leben. In Frieden. Und mit einem System der sozialen Daseinsfürsorge – nach wie vor. Zwei Grad weniger Raumtemperatur aus Solidarität können diese Freude doch nicht zum Verstummen bringen.

„Freut euch!“ – darüber, dass wir die Möglichkeit haben umzukehren und neu anzufangen! Und dass unsere Borniertheiten nicht das Letzte sind, was es über uns zu sagen gibt. Stattdessen gilt: Wir haben Zukunft! Bei Gott und auf dieser Erde!

„Freut euch!“ – wenn ihr jetzt das Fest der Gemeinschaft feiert am Tisch dieses Kindes, dessen Ankunft wir erwarten und herbeisehnen im Advent.

Christtagsfreude lasst uns abholen am Tisch der Gemeinschaft. Was der kleine zwölfjährige Peter von seiner Mutter erwartet – wenn sie nur zur Verfügung hat, was er aus dem Tal zu ihr bringt - das wird noch übertroffen, wenn Brot und die gepresste Frucht der Traube die Erde zum Himmel werden lassen. „Freut euch darüber!“

Der kleine Peter hat diese Christtagsfreude allein von seiner Mutter erwartet. Der große Peter Rosegger hat schon geahnt: unsere Freude und unser Einsatz gehören irgendwie zusammen. Freude, die erkauft wird auf dem Rücken der anderen, ist keine Freude. Er schreibt in einem seiner Gedichte:

Ein bisschen mehr Freude und weniger Streit,
ein bisschen mehr Güte und weniger Neid,
ein bisschen mehr Liebe und weniger Hass,
ein bisschen mehr Wahrheit, das wär doch was!

Paulus geht darüber noch weit hinaus. Mit einem „bisschen mehr Freude“, mit ein bisschen Frieden gibt er sich nicht zufrieden. Sein Appell, sein „Freut euch doch um Himmels willen!“ geht aufs Ganze.

Die Freude des Paulus ist nicht dosierbar. Sie gründet in der Erwartung einer Zukunft, die die Gegenwart heilsam unterbricht - und übertrifft. Sie lebt von der Gewissheit, dass mit diesem Kind der Weihnacht tatsächlich eine Zeitenwende anbricht. Freilich eine ganz andere als die, die Einzug gehalten hat mit diesem unsäglichen Krieg. Eine, die beginnt mit dem Gesang der Engel vom Frieden auf Erden.

Christtagsfreude – wir können sie abholen, wenn wir jetzt miteinander das Mahl der Freude feiern. Freude als Ausdruck dessen, das die Zukunft Gottes beginnt – mitten in unserer belasteten Gegenwart!

Ein Mahl der Freude und ein Mahl der Stärkung feiern wir. Weil wir all das nicht aufgeben dürfen, was derzeit, wie es scheint, nur in kleiner Münze ausbezahlt wird: Freude und Frieden. Hoffnung und Zukunft. Gerechtigkeit und Solidarität. Wahrheit und Liebe.

Darauf warten wir im Advent. Und auf noch viel mehr. Auf den warten wir, von dem wir erhoffen, dass wirklich wird, was wir einstweilen noch herbeiwünschen und herbeisehnen – und manchmal doch auch herbeibeten. Wo die Freude uns zu kühn erscheint, hat allemal schon die Vorfreude ihr Recht. Und wandelt sich zur Christtagsfreude. Unter der Hand. Vor unser aller Augen und in unser aller Herzen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. Amen.

EG 20,3: O komm, o Herr …

O komm, o Herr, bleib bis ans End,
bis dass uns nichts mehr von dir trennt,
bis dich, wie es dein Wort verheißt,
der Freien Lied ohn Ende preist.
Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.
Freut euch und singt Halleluja.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.