Impuls am Beginn des Prälaturtages am Mittwoch, 20. Juli 2022 in Schloss Bauschlott

20.07.2022

Heute lasse ich mich einfach vom Sommer inspirieren. Das darf in diesen Tagen auch einmal sein. Insbesondere vor den bevorstehenden Urlaubswochen, die wir in diesem Jahr wohl noch nötiger haben als in anderen Jahren. Die Pandemie, die derzeit eher wieder zunimmt als abklingt, dieser unsägliche Krieg, bei dem sich nirgendwo am Horizont ein Friedensschluss oder zumindest ein Ende der Kampfhandlungen abzeichnet. Und die so erfolgreich verdrängte Klimakrise, die gerade so unübersehbar sogar körperlich spürbar auf sich aufmerksam macht. Nicht nur in der Südsee. Nein, hier bei uns!

Darum also höchste Zeit für ein paar Wochen mit reduziertem Tempo und wohltuenden Unterbrechungen. Wohltuend für Leib und Seele. Über den Urlaub als spirituelle Erfahrung möchte ich mit Ihnen, mit euch nachdenken. Den Urlaub als geistliche Übung. Als Gleichnis für den Einstieg in eine andere Art Leben.

Sieben Kennzeichen, um unsere Urlaubstage in diesem Sinn zu verstehen, habe ich identifizieren können. Ich lade Sie bzw. euch ein, mir auf diesem Deutungsweg zu folgen.

 

Das erste Kennzeichen
habe ich überschrieben mit: Aufbruch zum Pilgern. Der Urlaub, vor allem die Reise, das Wegfahren, ist die moderne, säkulare Form des Pilgerns. Man muss dazu nicht gleich auf den Camino de Santiago gehen. Urlauben heißt – vielleicht auch etwas säkular gedeutet - Pilgern. Ich unterbreche meine üblichen Rhythmen, definiere einen besonderen Zeitraum, schneide ihn aus dem Üblichen und aus dem Gewohnten heraus.

Ich mache mich auf, mache mich auf einen Weg, ohne mein Haus Huckepack mitzunehmen – Immobilien machen schon dem Wortsinn nach immobil. Nur mit ausgewähltem Gepäck, am besten ehr mit „weniger als mit „mehr“. Treffe eine Auswahl aus der Fülle der gebotenen Möglichkeiten.

Am besten passt zum Pilgern natürlich das Zelt, wo doch schon der Gott der Erzväter und Erzmütter mit einem Zelt zufrieden gewesen ist. Aber auch die Ferienwohnung ist allemal kleiner als die Wohnung zu Hause. Und im Hotel reduziere ich mich immerhin meistens auf ein Zimmer.

Ich breche auf, nur mit dem Nötigsten, mit dem Risiko, dass Wichtiges fehlt, fehlen darf. In der Regel habe ich ein Ziel, einen mir im Urlaub heilig werden Ort. Ich lebe in eine klare Richtung hin orientiert. Und irgendwann bin ich dann auch da. Zum ersten Mal – mit der Neugier des Welterfahrenen. Oder zum wiederholten Male, weil mir dieser Ort längst heilig geworden ist.

Jetzt kann ich meine Seele baumeln lassen. Jetzt wechselt mein Leben in einen anderen Modus, den des bzw. der Pilgernden.

Das zweite Kennzeichen
ist das der Pflege meines eremitischen Anteils. Nein, nicht jeder Urlaub endet in der Eremitenklause. Aber zumindest nach dem kleinen Rückzug, nach dem sehne ich mich schon. Froh bin ich, manche Menschen jetzt erst einmal loszuhaben. Und ich hoffe, dass mir der Teufel nicht den einen oder die andere im Urlaub zufällig über den Weg führt.

Urlaub, das ist aber schon immer auch ein wenig Rückzug aus der vertrauten Welt. Das ist Unterbrechung der sonst vorherrschenden Beziehungsnetze. Nein, ich muss mich im Urlaub gerade nicht mit den Menschen treffen, die mir die Zerbrechlichkeit meiner heimischen Welt in Erinnerung rufen. Im Urlaub sind die Schnüre, die mich manchmal wie eine Marionette leben lassen, fürs Erste abgeschnitten. Höchstens die Träume halten mich fürs Erste noch im heimischen Wirrwarr fest.

Gerade da, wo mich niemand kennt, und wo ich die sonst üblichen Etiketten und Verhaltensmuster außer Kraft setzen kann, da erlebe ich etwas von der heiligen Freiheit des Eremiten, der ja mitnichten ein armer Tropf, sondern ein von den irdischen Dingen weitgehend entlasteter und befreiter Zeitgenosse – oder auch eine Zeitgenossin – ist.

 Das dritte Kennzeichen
eines Urlaubs im Sinne einer Pilgerreise ist fast schon wieder das glatte Gegenteil des zweiten. Natürlich begegnen mir im Urlaub auch Menschen. Und ich habe da manchmal auch geradezu Lust auf Menschen. Auf neue, mir bisher nicht vertraute Menschen. Mit neuen, spannenden Lebensgeschichten. Da bildet sich bisweilen eine Pilgergruppe auf Zeit.

Eine vorweggenommene heilige und himmlische Gemeinschaft ist das bisweilen. Himmlisch vor allem auch schon deshalb, weil ich das Irdische dieser Menschen gar nicht wirklich kenne. Und ehrlich gesagt, gar nicht wirklich kennenlernen möchte. Sonst ist der Zauber schnell verflogen. Himmlisch aber auch, weil ich mir die Menschen so wenig ausgesucht habe, wie ich sie mir für den Himmel aussuchen kann. Sie fliegen einem einfach zu. Beim Spülen auf dem Campingplatz. Oder in der Schlange an der Kasse im Supermarkt. Im Badehäuschen vor den viel zu wenigen Duschen.

Himmlisch bleibt es einstweilen, mit Menschen ein Glas Wein zu trinken, mit denen ich keine Rollen- und Beziehungsklärung vornehmen, keine Deals vereinbaren und keine Pläne schmieden muss als den, morgen Abend wieder ein Glas Wein miteinander zu trinken. Oder vorher auch gemeinsam ein Museum zu besuchen oder eine kleine Wanderung zu machen. Aber das ist dann womöglich schon wieder zu viel. Weil es kompliziert werden könnte. Und ich ab und an auch am himmlischen Tisch nur mit mir und den mir Lieben sitzen möchte.

Das vierte Kennzeichen
dieses spirituellen Zugangs zum Urlaub ist der reinigende Reiz des mir Fremden. Um nicht falsch verstanden zu werden. Ich habe im Urlaub immer erst Mühe mit dem mir Fremden. Sehne mich nach dem Tag, an dem ich weiß, wo Waschhäuschen, Swimmingpool und Supermarkt liegen. Wie die High-Tech-Dusche funktioniert, wo die ruhigen Liegeplätze am Strand sind. Und wo ich die Espresso-Bar finde.

Aber zugleich verspüre ich eine Lust am Fremden. Ich gehe nicht immer dieselben Wege. Treffe nicht auf die immer gleich dreinschauenden Gesichter, manche fast immer mürrisch dreinschauend. Vermeide die Zeitgenossen voller Sprechdrang, wenn ich mir‘s doch ruhiger wünsche. Und mich irritieren die notorisch Schweigenden, wenn mir nach Smal Talk zumute ist.

Die Häuser, die so ganz anders aussehen. Die Sprache, die ich nicht in Ansätzen verstehe. Der Bus, der mich in die falsche Richtung bringt, all das sind irgendwie auch reizvolle Einsichten in eine mir unbekannte Welt.

Dem Eintauchen in das Meer der Fremdheit ist allemal eine spirituelle Dimension eigen. Ich kreise nicht mehr um mich und meine vertrauten kleinen Welten Ich ahne etwas von der bleibenden heiligen Fremdheit der Welt Gottes Und ich fühle meinen Horizont geweitet, um noch ganz anderes sehen und entdecken zu können. – alles das, was mir ansonsten verschlossen bleibt.

Das fünfte Element
ist mir für mich in unserem Zusammenhang unverzichtbar. Ich hab’s nicht so mit den Bergen. Mein Urlaubselement ist das Wasser. Zumindest ein Fluss. Noch lieber ein See. Am liebsten das Meer. Auch wenn ich’s zum großen Schwimmer und zum semiprofessionellen Taucher nie gebracht habe – das Gefühl, einzutauchen in das Wasser, gar in das große Meereswasser, das sich auch auf einem Globus zu erkennen gibt - Pazifik, Atlantik, Mittelmeer, Ostsee - , damit ist für mich eine gewaltige spirituelle Erfahrung verbunden.

Eintauchen und Taufen – das ist für mich untrennbar miteinander verbunden. Ja, die Erfahrung des Wassers – sie vermittelt mir etwas von der gewaltigen Erfahrung der erwachsen Getauften in den ersten Jahrhunderten der Christenheit, in der nur spärlich mit Kerzen erleuchteten Kathedrale, mitten in der Osternacht. Und in diesem gleichnishaften Sinn macht mir dann auch die Wiederholung des sonst Unwiederholbaren keine Mühe. Da kann ich nicht genug davon haben.

Wie neugeboren entsteige ich dem Nass. Heruntergekühlt. Frisch gewaschen. Neu ins Leben auf- und eingetaucht. Der Kontakt mit dem heiligen Element Wasser, dem alles Leben entspringt, er lässt mich von der Schöpfung kosten. Und er hilft, dass ich mich irgendwann auch wie neugeboren auf den Weg mache.

Das sechste Kennzeichen
ist für Menschen wie wir hier eigentlich das nächstliegende. Der Urlaub hat einen heiligen Rhythmus. Und das ist ein ganz anderer als der, dem ich sonst unterliege. Zu diesem heiligen Rhythmus braucht es keinen Kalender. Nur das Gespür, was jetzt dran, was jetzt angesagt ist.

Urlaub, geistlich verstanden, das muss eine kalenderfreie Zone sein. Jeder Tag ist sabbatlich eingefärbt. Jeder Tag hat seine eigene Liturgie. Für mich ist es zum Beispiel das Wachwerden ohne Wecker. Und später die zweite Tasse Kaffee, die ich mir ansonsten nicht gönne. Meist noch verbunden mit der Lektüre in einem spannenden Buch.

Überhaupt: Nichts packt mich so wie das Lesen. Und ich kann mich dem sorgenfrei und über Stunden gebannt und gefesselt hingeben. Denn ich verpasse keinen Termin. Die Tagesstruktur ist elastisch. Und selbst der Blick in Losung und Bibel ist frei von der Austestung, ob er für eine Andacht oder eine Predigt verwertbar wäre. Leben um seiner selbst willen. Wenn das keine geistliche Erfahrung ist, was dann!

Bleibt das siebte Kennzeichen:
Das vorweggenommene Eintauchen in die Ewigkeit! Die Welt des Vorletzten ächzt und stöhnt. Dazu brauchen wir nicht einmal den Bruder Paulus zu konsultieren. Dazu ist schon die sensible Eigenwahrnehmung ausreichend.

Alles einmal hinter sich lassen - fast alles, auf jeden Fall – nur einfach da zu sein. In der Gegenwart als heiliger Zeit. Ohne schon den nächsten Tag planen zu müssen. Ohne Selfiestress vor historischem Hintergrund. Ohne den Zwang, mit drei Objektiven die Welt im digitalen Speicherchip festzuhalten. Darauf käm,‘s doch einmal an im Urlaub. Keine Arzttertmine, kein Rücken, der schmerzt, weil ich ja keine schweren Lastentragen muss, auch bildlich gesprochen.

In den Tag hinein leben und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen - das könnte mir sehr wohl zeigen, dass Gott gut, wenn auch kein Mann ist.

Urlaub im Diesseitigen - als Vorgeschmack des Jenseitigen. Innerhalb der Grenzen meiner überschaubaren Urlaubswelt - als Vorgeschmack des Unbegrenzten. Eingebunden in die Zeiten, die ich kennen muss, um für andere verlässlich zu bleiben – als Vorgeschmack der Ewigkeit.

*****

So betrachtet, sind es grandiose Tage, auf die wir zugehen. Der Ausstieg auf Zeit – mit einem Mal entpuppt er sich als Einstieg in einen ungeahnten Perspektivwechsel. Lässt mich schon die hier auf Erden vom Himmlischen kosten. Lässt mich im schnöden Aneinanderreihen der Tage mit einem Mal eine andere Welt erleben. Und ohne, dass ich damit rechne, entpuppt sich das im Internet gebuchte Urlaubs-Schnäppchen als vorweggenommener Happen der Ewigkeit.

Das wünsch ich Euch, Ihnen und mir – dass etwas davon wahr wird. Und dass wir Mitte, Ende August oder Anfang September doch als irgendwie Neugewordene in unsere vertrauten Welten zurückkehren. Weil aus den Ferien - wirklich feriae sanctae – heilige Fest- und Feiertage geworden sind.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.