Wort zum Tag in SWR 2 am 23. März 2023

23.03.2023

„Ich bin ein Mensch!“ Jedes Mal, wenn ich im Internet ein Ticket bei der Deutschen Bahn buchen möchte, muss ich erst einmal diesen Satz anklicken. Und bestätigen, dass ich ein Mensch bin. Natürlich weiß ich, dass es darum geht zu überprüfen, dass da wirklich der Kunde bucht, der sich eingeloggt hat. Und keine künstliche Intelligenz. . Trotzdem berührt es mich jedes Mal irgendwie seltsam, wenn ich mein Häkchen neben diese Aussage setze: „Ich bin ein Mensch!“

Eigentlich, denke ich mir, müsste man die Bestätigung dieses Satzes auch in anderen Situationen zur Zugangsvoraussetzung machen. Wenn nicht mit einem Kreuzchen, dann doch mit der inneren Zustimmung. Dieser Satz könnte überall helfen, wo Menschen es miteinander zu tun haben. Im beruflichen Alltag etwa, wenn der Chef seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder einmal seine Macht spüren lässt. Es könnte helfen, wenn er sich vorher bewusst macht: „Ich bin auch nur ein Mensch!“ Der Satz könnte da seine Wirkung entfalten, wo jemand nicht auf Augenhöhe mit mir spricht. Mich ungebührlich behandelt: Dann müsste ich eigentlich antworten: „Auch ich bin ein Mensch! Respektiere bitte meine Grenzen.“

Der Satz „Ich bin ein Mensch!“ hilft mir auch, meine Rolle gegenüber Gott recht zu verstehen. Vom Propheten Jesaja kann ich das lernen. In der Bibel wird berichtet, wie er in sein Amt als Prophet Gottes berufen wird. (Jesaja 6,1-8) Im Tempel hat er eine Vision. Er sieht Gott, umgeben von Engeln. Das ist ein derart überwältigender Anblick, dass er vor Angst fast vergeht.  Er ahnt: Hier bin ich eigentlich am falschen Ort. „Weh mir“, ruft er, „ich bin doch nur ein Mensch! Ich bin doch gar nicht würdig, hier auf Gott zu treffen.“ Einer der Engel, so wird berichtet, berührt daraufhin die Lippen Jesajas mit einem glühenden Stück Kohle. Reinigt so also seine Lippen. Legt die Kraft feuriger Worte in seinen Mund. Und am Ende, als Gott fragt: „Wen soll ich beauftragen, den Menschen meine Worte weiterzusagen?“. da antwortet Jesaja sehr selbstbewusst: „Ich bin ein Mensch! Sende mich!“  

Nein, ein Prophet muss ich nicht gleich werden. Aber wenn ich wieder ein Ticket buchen muss, dann warte ich selbstbewusst, bis die Frage erscheint und setze dann ohne zu zögern mein Kreuzchen: „Ja, ich bin ein Mensch! Und deshalb mache ich mich auf den Weg. In die Welt. Und zu denen, die mit mir als unterwegs Menschen sind.“

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.