Wort zum Tag (SWR 2)

12.01.2023

Beim Blick vom Balkon in meinem Tiroler Urlaubsdomizil lassen sich mehrere Kapellen ausmachen. Wenn man spazieren geht, gibt es kaum eine Wegkreuzung ohne ein Kruzifix. Aus Stein das eine. Kunstvoll geschnitzt die weitaus größere Zahl.

Meist findet sich auch ein Hinweis auf deren Entstehungsgeschichte. Die Pest, die das Dorf heimgesucht hat. Ein überstandener Krieg. Aber auch der Neuaufbau des Hofes nach einer Brandkatastrophe. Eine überstandene Krankheit. Die Hochzeit. Immer sind es einschneidende Ereignisse, auf die Menschen mit diesen bis heute sichtbaren Zeichen ihres Gottvertrauens reagiert haben.

Meist liegen diese Ereignisse schon Jahrhunderte oder immerhin doch einige Jahrzehnte zurück. Eine Kapelle mit der Bitte um den Erhalt dieses Planeten angesichts  der Klima-Krise habe ich bisher aber noch nicht gefunden. Auch kein Kruzifix als  Dank für die Bewahrung in drei Jahren, in denen das Corona-Virus gewütet hat.

Aber gefragt habe ich mich: Wie bewahren wir eigentlich die Erinnerung an einschneidende Herausforderungen unserer Lebensgeschichte? Die Bedeutung von Glauben und Religion hat sich längst gewandelt. Auch die Bereitschaft des Menschen, das Wirken Gottes im eigenen Leben überhaupt wahrzunehmen. Wir wissen heute mehr als unsere Vorfahren, wie groß unsere eigene Verantwortung ist, wenn’s um all die Bewältigung der großen und bedrängenden Probleme geht, die uns derzeit in Atem halten. Aber Gott aus diesen Zusammenhängen  ganz außen vor zu lassen, das möchte ich  auch nicht.

In einem Psalm heißt es: „Gott selbst hat ein Gedächtnis seiner Wunder gestiftet.“ (Psalm 11,4). Gott hält also selber selbst die Erinnerung an sein Handeln wach. Aber ich bin sicher: Mein eigenes Erinnern hat Teil an diesem erinnernden Handeln/Erinnerungskultur?  Gottes. Auch wenn ich keine Kapelle und kein Kruzifix stifte. Aber wie denn dann? Ein persönliches Erinnerungstagebuch könnte ich führen. Meine Sorgen oder meinen Dank in einem der Fürbittbücher festhalten, die in vielen Kirchen ausliegen. Und so diese Kirche zu meiner eigenen Bitt- und Dankeskapelle machen. Wenn ich keine Kapelle mit Steinen baue, kann ich‘s zumindest mit Worten tun. Und anderen davon erzählen, dass ich Gründe genug habe, Gott etwas zuzutrauen, gerade in krisenhaften Zeiten. Und Anlass zum Danken noch obendrein.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.