Predigt über Jesaja 29,17-24 im Gottesdienst am Sonntag, 27. August 2023 (12. Sonntag nach Trinitatis) in der Evang. Kirche in Wies

PREDIGT ÜBER JESAJA 29,17-24IM GOTTESDIENST
AM SONNTAG, 27. AUGUST 2023
(12. SONNTAG NACH TRINITATIS)
IN DER EVANG. KIRCHE IN WIES

27.08.2023

Liebe Gemeinde!

Was brauchen wir heute mehr als Worte, die uns Mut machen. Worte, die sich nicht abfinden damit, dass alles – wie’s scheint – immer nur schlimmer wird. Nichts ist mehr wie es war! Alles wird immer schlimmer! Immer wieder höre ich diesen Satz. Und immer mit einem Hauch von Weltuntergangsstimmung.

Mutmachworte – die sind gefragt. Mehr denn je. Es gibt solche Mutmachworte. Etwa im Predigttext für diesen Sonntag. Dem 12. nach Trinitatis. Da finden sich im 29. Kapitel des Jesajabuches folgende Sätze:

Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.

Das sind sie also: Die Mutmachworte für diesen Sonntag. Und den Rest der Woche auch noch. „Wohlan, es ist noch eine kleine Weile!“ Die große Wende lässt nicht mehr lange auf sich warten. Eine kleine Weile nur noch. Aber meist kommt es erst noch einmal etwas anders.

So wie heute Morgen. Da wollten wir wie in jedem Jahr und schon so oft auf dem Lipple Gottesdienst feiern. Und da macht uns das Wetter einfach einen Strich durch die Rechnung. Wobei ich eine Pause in der großen Hitze durchaus angenehm finde.

Wie so oft kommt auch sonst oft alles anders im Leben. Jeder und jede hier kennt das. Es läuft halt im Leben nicht alles immer so glatt wie wir das gerne hätten. Der Mensch denkt und Gott lenkt, sage ich dann oft. Und in den meisten Fällen ist es auch gar nicht so schlimm. Wir müssen uns nur eingestehen, dass wir eben nicht alles in der Hand haben.

Wie so oft kommt alles anders. Auch der Liebe Gott mag das gedacht haben. Bevor er sein Volk diese Mutmachworte zugerufen hat. Da hat Gott sich alles so schön ausgedacht mit seiner Schöpfung. Mit dem wunderbaren Paradiesgarten. Mit all den Pflanzen und Tieren. Und mittendrin als Hüterin und Hüter Adam und Eva. Mittendrin der Mensch. Und all die, die von diesen Menschen im Paradies abstammen.

Die Wirklichkeit, die Gott dann aber vor Augen hat – sie ist dann allerdings wenig paradiesich. Sie ist eher trostlos. Unfruchtbares Land. Schlimmer noch: Vom Menschen unfruchtbar gemachtes Land. Menschen, die nicht hören und nicht sehen. Schlimmer noch: Menschen, die nicht hören oder sehen wollen, obwohl sie es könnten.

Dazu eine um sich greifende Armut der einen und gleichzeitig ein übermäßiger Wohlstand der anderen. Die soziale Schere klafft auseinander, sagen wir heute ganz nüchtern dazu. Auch dieser Zustand ist nicht vom Himmel gefallen. Auch er ist menschengemacht.

Es muss die Tränen ins Gesicht getrieben haben. Es treibt sie Gott sicher auch heute ins Gesicht. Denn die Situation damals. Vor rund zweieinhalbtausend Jahren. Und heute. So unterschiedlich ist sie gar nicht.

Davon möchte ich mit ihnen jetzt singen. Auf dem Liedblatt finden sie einen neuen Liedtext. Zu singen auf eine alte Melodie. Den Text habe ich dieser Woche ganz neu für heute geschrieben. Für diesen Gottesdienst. Und passend zu diesem Predigttext. Wir singen jetzt die ersten beiden Strophen!

Du schufst die Erde, gabst das Leben.
Ein schöner Garten war die ganze Welt.
Den Auftrag hast du uns gegeben,
stets zu bewahr’n, was unter Himmelszelt
an deinen guten Schöpfergaben blüht -
als Zeichen deiner Liebe, deiner Güt!

Es muss dir sehr zu Herzen gehen,
zu sehen, wie die Schöpfung seufzt und stöhnt.
Vor aller Augen ist zu sehen,
wie sehr wir uns an böse Tat gewöhnt,
die nicht bewahrt, stattdessen mehr zerstört,
und deinen guten Geist doch nur empört.

Liebe Gemeinde! Der Zustand der Welt geht an Gott nicht spurlos vorüber. Aber Gott ist kein Gott des Jammerns. Kein Gott des Klagens und des Lamentierens. Gott ist ein Gott der Verwandlung. Und ein Gott der Wege weist zur Umkehr. Hört darum, wie der Predigttext weitergeht:

Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.

Nicht nur die Schöpfung wird am Ende neu erstrahlen. Es wird vorbei sein damit, dass die Armen um ihr Recht betteln müssen. Und beschämt dastehen. Mehr noch: Auch die politischen Verhältnisse werden sich wandeln.

Den Tyrannen und ungerechten Herrschern wird das Handwerk gelegt. Vor Gericht wird Recht gesprochen. Lügen haben kurze Beine.

Genau das wünsche ich mir, wenn ich mir die aktuelle politische Situation anschaue. Das Ende der Despoten, die sie Welt mit Krieg überziehen. Und die ihre Feinde, so schlimm die auch sein mögen, mit Gewalt vom Himmel holen.

Kein Wunder, dass diese Despoten – und es gibt nicht nur einen, Gott sei’s geklagt – als erstes immer die Gerichte entmachten. Im Dritten Reich war das so. Und man muss heute nicht weit gehen in Europa und Nordamerika, um zu sehen, welche Regierungen und welche Machthaber ihre Richter selber ernennen oder ernennen wollen. Nur damit ihnen niemand mehr auf die Finger schaut.

Nur ein ganz konkretes Beispiel: Auch in Israel versucht die Regierung derzeit, das höchste Gericht zu entmachten. Gottseidank gibt es eine große Gruppe von Menschen, die sich dagegen zur Wehr setzt. Und die jede Woche zu Hunderttausenden demonstrieren. Eine funktionierende Gerichtsbarkeit, eine unabhängige Justiz – sie bilden die Grundvoraussetzung von Recht und Gerechtigkeit.

Aber auch hier sind vor allem anderen Mutmachworte gefragt. Worte wie die, die der Prophet im Auftrag Gottes an die Menschen richtet. Gott spricht uns solche Mutmachworte zu. Ein ums andere Mal. Davon lasst uns wieder singen – mit der dritten und vierten Strophe des neuen Liedes.

Du heilst, was wir mit Macht verdorben.
Lässt deine Schöpfung nochmals schön erblühn.
Was nicht mehr gut, wird neu erworben.
Das neue Leben macht uns frei und kühn.
Die Schöpfung war nicht einst am Anfang nur.
zeigt sich in Mensch und Umwelt und Natur.

Neu lässt du Zukunft uns gewinnen,
schaffst Recht, wo sich das Unrecht eingenist‘.
Tyrannenherrschaft muss zerrinnen,
weil nur du selber Herr der Herren bist.
Die schwach sind, stellst du aufrecht vor dich hin.
Wo sie verlor’n, da bist du ihr Gewinn.

Die Verwandlung der Welt, so wie Gott sie den Menschen zusagt, das ist ein anspruchsvolles Programm. Und – ganz ehrlich: Es ist ein Vorhaben, das unsere Kräfte am Ende überfordert.

Nein, wir müssen nicht einfach außen vor bleiben. Wir müssen nicht unsere Hände in den Schoß legen und sagen: Gott wird’s schon richten. Aber gelingen – gelingen kann diese große Verwandlung schon eher, wenn auch Gott mit im Spiel ist. Gelingen kann sie vor allem dann, wenn wir Gott Raum lassen, um sich einzumischen in das, was wir uns vornehmen.

Die Mütter uns Väter unserer Verfassung haben das vor 75 Jahren – und mit den Erfahrungen des großen Krieges im Hintergrund sehr wohl gespürt. Mehr als wir heute. Darum heißt es ganz am Anfang unseres Grundgesetzes: „In Verantwortung vor Gott und den Menschen“ wollen wir uns dieses Grundgesetzt geben.

Da geht’s um ganz weltliche Regelungen. Und das sollen sie auch bleiben. Aber das Wissen, dass wir, was immer wir tun, tun im Angesicht Gottes – das kommt für mich da ganz klar zum Ausdruck. Eben: Wir handeln und verwandeln diese Welt – in Verantwortung vor Gott und den Menschen. Und wir versuchen mitzuhelfen, diese Welt zum Guten zu verwandeln.

Im dritten Teil des Predigttextes hört sich das aus dem Munde Gottes folgendermaßen an:

Darum spricht der Herr, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

Liebe Gemeinde! Das ist doch das Mutmachwort schlechthin: „Die, die irren in ihrem Geist, die werden Verstand annehmen.“ Das ist eigentlich schon genug. Vorausgesetzt, es ist Gott, der ihnen den Verstand erhellt.

Was sind das also für großartige Mutmachworte. Worte, die auch wir nötig haben. Worte aus dem Mund Gottes, die eigentlich immer passen. Sie waren passend im achten Jahrhundert, als Jesaja als Prophet gewirkt hat. Und seine Worte aufgezeichnet wurden. In sein Buch hat man diese Worte hineinggeschoben.

Sie haben gepasst zwei, dreihundert Jahre später, zu der Zeit also, zu der sie entstanden sind. Und sie passen heute genauso. Gerade heute, wo die drei großen K’s unsere Gestimmtheit prägen: K wie Krieg. K wie Klimaerwärmung. K wie Krankheit. Und es ist ja nicht nur die eine Pandemie, in der Menschen es mit dem Thema Krankheit zu tun bekommen.

Was also brauchen wir heute mehr als solche Worte, die uns Mut machen. Kein: Alleine kann ich da sowieso nichts tun! Kein: Die Mächte des Bösen können wir doch sowieso nicht mehr aufhalten. Kein: Das sind die Zeichen der Endzeit, das steht doch schon alles in der Bibel.

In der Bibel steht davon nichts. In der Bibel stehen vor allem anderen: Mutmachworte! Wie im heutigen Predigttext. In der Bibel, da finden wir die Worte Jesu: „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben und volle Genüge habt“. In der Bibel steht: „Der Tod wird nicht mehr sein. Und Leid Schmerz und Geschrei wird nicht mehr sein. Denn das Erste ist vergangen. Siehe, Neues ist geworden!“

Daran halte ich mich. Oder ich versuche es immer neu. Wenn mir alles über den Kopf wachsen will. Daran halte ich mich, wenn ich die Nachrichten wieder einmal fast nicht aushalte. Daran halte ich mich, wenn mir die Weltuntergangspropheten begegnen, die das Lied vom Ende der Welt singen wollen.

Stattdessen: „Es wird ein Ende haben mit all den Tyrannen. Die Menschen werden die Werke meiner Hände sehen. Und die Irrenden werden Verstand annehmen.“ Damit kann ich fürs Erste gut leben. Vor allem dann, wenn ich weiß: Gott ist in unserer Mitte! Und der, in dem Gott Meschen wurde wie du und ich.

Das lässt mich leben. Das lässt mich glauben. Das lässt mich singen. Gerade dann, wenn wieder einmal alles anders kommt als gedacht. Amen.

Und unser Singen soll diese Predigt darum auch abschließen. Wir singen die letzte Strophe.

Die Welt lobt Gott in ihrer Mitte!
Des Menschen Handeln kehrt zum Bessren um.
Voll Glauben setz ich meine Schritte
und reiß mein Lebens-Ruder froh herum.
Die Wahrheit über mich und alle Welt -
sie lässt mich leben. Gottes Liebe hält!

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.