Ansprache im Gottesdienst zum Abschluss der Oasentage im Kloster Hegne am 3. Februar 2023

03.02.2023

Weh denen, die mit ihrem Plan verborgen sein wollen vor dem Herrn und mit ihrem Tun im Finstern bleiben und sprechen: »Wer sieht uns und wer kennt uns?« Wie kehrt ihr alles um! Als ob der Ton dem Töpfer gleich wäre, dass das Werk spräche von seinem Meister: Er hat mich nicht gemacht!, und ein Bildwerk spräche von seinem Bildner: Er versteht nichts!

Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. 

Liebe Schwestern und Brüder!

Nun gehen sie zu Ende, unsere Oasentage!
Wenn es Zeiten in der Wüste waren, dann ist doch die Oase in ihrer Schönheit immer im Blickfeld gewesen.
Wenn wir einer Fata Morgana aufgesessen sind, dann wünsche ich mir, es gäbe ab und an wieder eine solch wohltuende Fata Morgana.
Und wenn das alles wirklich war – und noch ist! -, dann bin ich einfach dankbar. Auch dann, wenn die Karawane seit gestern schon wieder in alle Richtungen weiterzieht.

Die Losung für diesen Tag bringt uns noch einmal – wie gestern - mit Jesaja in Verbindung. Dieses Mal mit dem ersten, dem Proto-Jesaja. Dabei stammen die Kapitel 28-35 aus dem sogenannten Assur-Zyklus. Es sind hochpolitische Kapitel. Und deren Botschaft sagt unmissverständlich: Angesichts der Bedrohung durch Assur hilft es nichts, seine Hoffnungen auf Ägypten zu setzen. Am Ende hilft nur das Vertrauen in Jahwe.

Der Ton des Propheten ist dabei wenig zimperlich. Seine Message klar. Gleich sechsmal setzt er mit einem Weh-Ruf ein. Der Weh-Ruf in unserem Text ist der dritte: Weh denen, die mit ihrem Plan verborgen sein wollen vor dem Herrn – so beginnt der Teil, aus dem die Tageslosung stammt.

Es ist der 19. Vers aus Kapitel 29: « Wie kehrt ihr alles um! Als ob der Ton dem Töpfer gleich wäre, dass das Werk spräche von seinem Meister: Er hat mich nicht gemacht!, und ein Bildwerk spräche von seinem Bildner: Er versteht nichts!

Fast denke ich, der Text hat noch keine Ahnung von KI, von künstlicher Intelligenz, der Software Chat GPT und deren Möglichkeiten, sich Texte formulieren zu lassen. Da steht für mich wirklich am Horizont, dass das Kunstwerk am Ende den Programmierer und den Text-Schöpfer übertrifft. Ansonsten ist die Botschaft der Tageslosung klar. Es hilft nicht weiter, jeden Morgen zu rufen: Wer ist heute der Schöpfer? Diese Frage ist – zumindest theologisch – geklärt!

Aber die Wirklichkeit ist deutlich komplexer. Wir reden davon, dass wir Kirche für die Zukunft gestalten – und müssen’s wohl auch! Aber der, den wir als Herrn der Kirche bekennen, das ist doch ein anderer. Das sind nicht wir selber!

Ich will noch einmal auf den Leitspruch des Gründers des Ordens der barmherzigen Schwestern vom Kreuz zurückkommen.  Gestern haben wir ich ja gehört: „Das Bedürfnis der Zeit ist der Wille Gottes!“ Dieser Satz ist nur beim ersten Hinhören ein demütiger Satz. Denn das Bedürfnis der Zeit muss erst einmal erhoben sein. Und das ist nicht ohne. Schon gar nicht ohne mein, ohne unser aller Aktivsein, ohne unsere aller Nachspüren, was das sein könnte. Mutig und angstfrei mitten unter den Menschen.

Wir haben dem Bedürfnis unserer Runde hier in diesen fünf Tagen mit verschiedenen Zugängen näherkommen wollen. Am Vormittag haben wir’s getan mit einem biblisch geschärften Blick auf unser Denken und auf unser Tun. Und am Nachmittag aus der Fülle der Informationen über die Bedürfnisse und den Gestaltungswillen derer, die vor uns hier in dieser Region Christin oder Christ gewesen sind.

Tag für Tag sind wir eine Tür weiter ins Geheimnis unserer Bedürfnisse vorgedrungen. Mit der Bibel in der einen und dem Bilderbuch der Geschichte in der anderen Hand.  Der Vormittag hat mich gestärkt. Der Nachmittag hat mich demütig gemacht. Mag heute alles anders sein, so sind sich Vergangenheit und Gegenwart doch ähnlicher als wir’s oft wahrhaben wollen.

Kaiser und Könige, Bischöfe und Orden, Bürger und Zünfte – sie alle haben hier Geschichte gestaltet. Und waren sich dessen womöglich wohl längt nicht immer bewusst.

Macht und Besitzgier haben in den Ablauf von Entscheidungen eingegriffen. Mit Gott auf den Lippen wurden die Türme in Angriff genommen, derer Spitze bis zum Himmel reichen sollten.

Und zwischen Himmel und Erde – die Kirche. Verstrickt und verborgen. Gebrochen und geduldig. Spielball der Mächtigen und doch zugleich Türöffner ins Himmelreich.

Uns könnte es doch gelassener machen! Zu sehen, dass da immer Neues aufwächst. Selbst wenn das Alte allzu übermächtig erscheint. Und was wir ändern, was wir um- und abbauen wollen – es hat nicht nur seine Zeit gehabt. Es ist womöglich und nicht selten das Material, aus dem die Zukunft wächst.

Ein Gleichnis dafür haben wir in dieser Kapelle vor Augen. Das Kreuz, das keines sein will und doch gerade darin eines ist. Es stammt vom Künstler Josef Bücheler (*1936) aus Rottweil. Eine „Karfreitagsarbeit“ hat er es selber genannt. Er greift das Tau, das T in Altar und Ambo auf und entwickelt es eigenständig weiter – als Zeichen, das unsere gewohnten Abläufe stören soll.

„Entstanden ist es aus weggeworfenen Materialien (Erde, Asche, Papier, Schnur, Kleister, Farbe, Haselrute...). Jesus Christus, der Mensch – wie weggeworfen, zerstört, aufgebrochen, „keine menschliche Gestalt mehr“, in Staub und Dreck getreten. Nur noch Hülle, wie eine Larve – zurückgelassen; die Gestalt des Körpers noch erkennbar.“ Und gerade darin die Botschaft des Ostermorgens aufgreifend und weitergebend: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten!“

Ihn zu finden, mitten in der Welt, verdeckt und verborgen - das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Aufgenommen ist diese Verborgenheit Christi im Tabernakel. Nur schemenhaft ist durch das Licht brechende Glas der Kelch zu erkennen. Wie das dennoch geht – wie ich den Auferstandenen finde in seiner Verborgenheit – das bleibt Geheimnis des Glaubens.

Kreuz und Tabernakel, aber auch Ambo und Altar – sie sind Spiegelbild und Orientierungshilfe. Kunstwerke, die sich nicht anmaßen könnten, Gott in seiner Kunstfertigkeit und Lebensoffenheit anzugehen.

Das angedeutete Kreuz – es ist zuerst und zuletzt nichts anderes als Hülle. Deutungsoffen und vielsagend. Larve des Schmetterlings. Kunstvoll recycelter Abfall. Mehr zu sehen, als vordergründig vorhanden ist – darauf kommt es an. Dies zu tun im Angesicht Gottes, auf dem Hintergrund meines Zweifelns und Suchens - das meint Glaube.

Hinter dem undurchdringlich gebrochen scheinenden Glas dennoch das Geheimnis des Glaubens zu erahnen. Und in protestantisch gefärbter Tradition auch in die Hostie als Hinweis darauf wahrnehmend, dass Christus mir nahe ist in der Schwester und im Bruder und meiner Gemeinschaft mit ihnen – das eröffnet neue Weiten des Gottvertrauens.

Wie gut, dass dem Weh-Wort im Assur-Buch des Jesaja das Deute-Wort folgt. Es erschließt uns die Werke des Künstlers. Und es taucht unser Leben in ein neues Licht: Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. 

Die Oase – also keine Fata Morgana.
Der Kollege und die Kollegin: Kamel und Lasttier Gottes wie ich.
Die Kirche, gerade auch mitten in allen Veränderungsprozessen: Nicht länger Gemeinschaft der Murrenden und Meuternden, die uns für den Wolf oder die Wölfin halten. Vielmehr Gemeinschaft der Heiligen.

Das glaube ich, denn es ist noch nicht erschienen, was wir am Ende sein werden.

Darauf warte ich. Weil nicht wir es sind, die die Welt umkehren. Sondern Gott! Letzte lässt er erste sein. Niedrige erhebt er aus dem Staub. Und Tote macht er lebendig.

Und irgendwann werden’s wir alle erkennen: Nicht einfach nur Oase ist unser Leben. Und schon gar nicht Fata Morgana. Sondern immer schon der erste Schritt mitten hinein in das gelobte Land. Amen. 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.