SWR Kultur Wort zum Tag am 3. Oktober 2024

03.10.2024

Wie gut, dass der 3. Oktober ein Feiertag ist! Alles etwas geruhsamer um mich herum. Eine kleine Unterbrechung des üblichen Tagaus. Tagein – mitten in der Woche. Aber halt – da war doch was! Der 3. Oktober ist ja nicht ohne Grund ein Feiertag. Aber irgendwie rutscht er mir auch weg. So viel anderes hat sich in den Vordergrund gedrängt seit jenem Tag, an dem aus zwei deutschen Staaten einer geworden ist. Vor 34. Jahren. Ein gewaltiges Projekt, das immer noch nicht abgeschlossen ist.

Ich kann die Krisen aus dem Stehgreif gar nicht alle aufzählen. Die Corona-Pandemie. Die beiden Kriege, der in der Ukraine und der in Israel-Palästina. Der Streit um den Umgang mit den Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, beschäftigt viele. Ganz zu schweigen von der Klimakrise, deren Folgen wir immer näher zu spüren bekommen.

Worum soll’s heute also gehen? Um ein Fest? Um Erinnerung? Wenn ich an die großen Gefühle denke, damals, an jenem 3. Oktober 1990, da denke ich: Schade! Euphorie und Glücksgefühle lassen sich leider nicht auf Dauer stellen. Aber wir können lernen, uns immer wieder an sie zu erinnern.

Feiertage haben den Sinn, der Erinnerung Raum zu geben. Eine Kultur der Erinnerung zu pflegen. In der jüdisch-christlichen Tradition gibt es das schon sehr lange. Erinnerung geschieht dadurch, dass die Ereignisse, an die erinnert werden soll, in der Vorstellung wiederholt werden. Bis dahin, dass sogar die alten Gefühle wieder entstehen können. An Passah wird an die Befreiung aus der Sklaverei erinnert. An Karfreitag an den Tod Jesu. An Ostern an die Auferstehung Jesu. Der 3. Oktober ist kein kirchlicher Feiertag. Auch wenn sich die Kirchen damals sehr in den Protest gegen die alte Herrschaft eingebracht haben. Der 3. Oktober will die ganze Gesellschaft zu einer Erinnerungsgemeinschaft verbinden. Wir müssten dazu die Bauchgefühle von damals in unseren Kopf hinüberretten. Und staunen, was sich damals ereignet hat. Ein wahres Wunder. Eine politische Umwälzung ohne Blutvergießen.

Die aktuellen politischen Entwicklungen und die Wahlergebnisse zeigen deutlich: Der damals begonnen Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Er wirkt immer noch nach.

Aber damals haben wir erlebt: Wunder sind möglich. Auch im Bereich der Politik. Und wenn ein paar der Glücksgefühle von damals in mir auftauchen, können Sie auch meine aktuellen Hoffnungen stärken. Gerade die auf Frieden.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.