SWR Kultur Wort zum Tag am 4. Oktober 2024
So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt! Der Lärm war ohrenbetäubend. Ein paar hundert Kühe und Kälber drängten auf eine große Wiese. Alle mit Glocken um den Hals. Das Leittier vorne mit einem Blumenkranz geschmückt.
Viehscheid heißt dieses alljährliche Spektakel. Mit Festzelt und Blasmusik. Man kann es im Allgäu im September miterleben. Wie ich vor wenigen Wochen. Die Tiere kommen von ihren Sommerwiesen auf den Bergen zurück ins Tal. Und werden dann voneinander getrennt. Geschieden. Und ihren jeweiligen Eigentümern zurückgegeben.
Ein biblisches Gleichnis ging mir durch den Kopf, während ich gebannt zugeschaut habe. Auch ein Scheid. Der große Viehscheid am Ende. Da beschreibt der Evangelust Matthäus ein großes Trennungsspektakel beschrieben. Dort werden die Tiere nicht nach ihren Besitzern geschieden. Sondern nach der Bewertung ihres Lebens. Die Schafe rechts und die Böcke links. Die Böcke werden ausgeschieden. Zukunft haben nur die Schafe. Dabei handelt das Gleichnis nicht einmal von einem Viehscheid. Sondern von einem Menschenscheid. (Matthäus 25,31-46)
Kriterium, ob ich Zukunft habe, ist im Gleichnis mein Engagement für die Schwächsten. Für die, denen es am Allernötigsten fehlt, um menschenwürdig leben zu können. Entscheidend für die große Scheidung am Ende ist die Frage, zu wem ich gehöre. Zu denen, die Menschen verachtend über andere hinweggehen. Oder zu denen, die es nicht ertragen, wenn andere kleingemacht werden. Und vom Leben abgeschnitten.
Der Menschenscheid ist manchmal sehr leise. Oft sehe ich gar nicht, wie ein Mensch, anderen Menschen Gutes tut. Manchmal ahnt er es nicht einmal selbst. Manchmal ist es dagegen offensichtlich, dass jemand anderen Menschen das Lebensnötige bewusst vorenthält. Dann ist mein Wort des Widerspruchs gefragt. Und mein Eintreten für die Opfer. „Was ihr den Schwachen an Gutem angedeihen lässt, tut ihr mir selber an. Und was ihr euren Mitmenschen vorenthaltet, enthaltet ihr mir vor.“ Der König, der dies im biblischen Gleichnis sagt, ist ein Bild für Gott.
Dennoch ist dieser Menschenscheid eine Vorstellung, die mir Mühe macht. Ich hoffe sehr, dass möglichst viele zu denen gehören, die Leben ermöglichen. Und damit zu denen, die gerettet und nicht ausgeschieden werden. Und ich bin heilfroh, dass es nicht meine Aufgabe ist, die Menschen auseinanderdividieren. Mit dem Viehscheid im Allgäu ist es da einfacher. Die konnte ich deshalb auch genießen. Und hoffentlich nicht zum letzten Mal.