Predigt über Philipper 2,5-11 am Sonntag, 24. März 2024 (Palmsonntag) in der Martinskirche in Gruibingen
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für diesen Palmsonntag stammt aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi. Vor gut zwei Wochen war ich in Griechenland. Ich habe dort eine Reisegruppe „auf den Spuren des Apostels Paulus“ begleitet. An Philippi waren wir ganz dran, konnten aber am Ende nicht hin. Die Straße war leider unpassierbar. Genau an die Gemeinde in Philippi schreibt Paulus den Brief, dem der heutige Predigttext entstammt.
Aber dennoch: Wir waren in etlichen anderen Orten, in denen Paulus auch gewesen ist und dort Gemeinden gegründet hat. In Thessaloniki, in Beröra, in Korinth und Athen. Und die Welt, in der Paulus damals unterwegs war, konnten wir uns am Ende ganz gut vorstellen. Städte waren das allesamt, denn Paulus hat sich vor allem an Menschen gewandt, die in Städten gelebt haben.
Die Stadt Philippi trägt ihren Namen nach König Philipp II., dem Vater von Alexander dem Großen. Am gut erhaltenen, prächtigen Grab von König Philipp haben wir auf unserer Reise ebenfalls Halt gemacht. In Philippi gibt es, wie in den anderen Städten auch, eine Akropolis, ein Forum, eine Sporthalle und eine Markthalle. Man konnte baden und einkaufen. Und das religiöse Angebot mit dem dicht gefüllten Himmel von römischen und griechischen Gottheiten war nicht weniger bunt als heute bei uns.
In Philippi gründet Paulus die erste Gemeinde auf europäischem Boden. Die erste europäische Christin, deren Namen wir kennen, ist Lydia, eine Unternehmerin, die mit Stoffen gehandelt hat. Als Störer der öffentlichen Ordnung werden Paulus und sein Begleiter am Ende allerdings erstmal verhaftet und kommen am Ende – wie durch ein Wunder - wieder frei!
Die Gemeinde in Philippi stabilisiert sind. Denn fünf Jahre später schreibt Paulus einen Brief an diese Gemeinde. Diese Gemeinde ist ja so etwas wie seine Lieblingsgemeinde gewesen. Paulus sitzt erneut im Gefängnis, vermutlich in Ephesus, vielleicht auch in einer Art Hausarrest. Schließlich kann er Besuch empfangen - und eben auch Briefe schreiben.
In diesem Brief spricht er auch das Zusammenleben innerhalb der Gemeinde an. Er entwirft so etwas wie eine Ethik des rechten Zusammenlebens, eine Art Stichwortsammlung für den rechten Umgang miteinander.
Mittendrin in diesem Brief zitiert Paulus ein Lied. Dieses Lied ist also so etwas wie das älteste Kirchenlied das wir kennen. Es stammt nicht von ihm selber. Aber es ist ihm so wichtig, dass er die Menschen in Philippi an diesen Liedtext erinnert. Viele hier kennen den Text auch, vermutlich in der vertrauten Sprache der Übersetzung Martin Luthers. Ich lese ihn in der Übersetzung der Basis-Bibel:
Denkt im Umgang miteinander immer daran,
was in der Gemeinschaft mit Christus Jesus gilt:
Er war von göttlicher Gestalt.
Aber er hielt nicht daran fest,
Gott gleich zu sein –
so wie ein Dieb an seiner Beute.
Er legte die göttliche Gestalt ab
und nahm die eines Knechtes an.
Er wurde in allem den Menschen gleich.
In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.
Er erniedrigte sich selbst
und war gehorsam bis in den Tod –
ja, bis in den Tod am Kreuz.
Deshalb hat Gott ihn hoch erhöht:
Er hat ihm den Namen verliehen,
der hoch über allen Namen steht.
Denn vor dem Namen von Jesus
soll sich jedes Knie beugen –
im Himmel, auf der Erde und unter der Erde.
Und jede Zunge soll bekennen:
»Jesus Christus ist der Herr!«
Das geschieht zur Ehre Gottes, des Vaters.
Wir feiern in diesem Jahr ja die Erinnerung an die Geschichte des Evangelischen Gesangbuchs. Vor 500 Jahren sind die ersten Gesangbücher im Druck erscheinen. Das Lied aus dem Predigttext ist 2000 Jahre alt. Wieviel älter ist das! Und was für eine Geschichte! Eigentlich müssten wir dieses Lied singen, habe ich mir gedacht. Weil es immer besser ist, ein Lied zu singen als zu erklären. Darum singen wir den Predigttext heute auch nach. Mit neuem Worten. Und einer alten Melodie („Morgenglanz der Ewigkeit“):
Leben nicht für mich allein.
Schwestern, Brüder uns gegeben!
Christus soll uns Vorbild sein,
uns in die Gemeinschaft weben,
in der, buntem Teppich gleich,
wächst sein Reich.
Paulus gibt der Gemeinde in Philippi nicht ohne Grund dieses Lied weiter. Ja, es mag ihm sicher gefallen haben. Aber Paulus zitiert es nicht einfach nur, weil es einen schönen Text, vielleicht auch eine schöne Melodie hatte. Paulus will mit diesem Lied seine Aufforderung begründen, in Liebe und gegenseitiger Achtung und Wertschätzung miteinander umzugehen. Weil auch Christus so mit uns und mit der Welt überhaupt umgegangen ist.
Die kleine Stichwortsammlung des rechten Umgangs beginnt mit dem Hinweis auf den Machtverzicht. Christus geht nicht durch die Welt wie einer der griechischen Götter – schön und strahlend. Gewinnbringen und erfolgreich. Nein, er hält an seiner Gottheit nicht fest wie ein Räuber an seiner Beute. Er lebt wie einer, wie eine von uns. Menschlich, nahbar, zugewandt – lebt menschlich. Und stiftet zur Menschlichkeit an.
„So“, schreibt Paulus nach Philippi, „so sollte es bei euch auch sein! Einer achte die andere wie sich selber. Mehr noch, eigentlich so, dass er oder sie im Zweifelsfall den Vorzug erhält. Eine Spur zuviel, geht Ihnen womöglich durch den Kopf. Aber wohin das Gegenteil führt, können wir ja auch sehen. Wenn jeder sich selbst der Nächste ist, und jede erst einmal auf den eigenen Vorteil schaut. Und wir unsere Gesellschaft oft als Ego-Gesellschaft erleben.
Himmlisch‘ Abgeschiedenheit
möchte‘ er nicht für sich behalten
Christus gibt sich in die Zeit,
will die Welt ganz neu gestalten.
Freundlich und den Menschen nah
ist er da.
Aber das Lied legt noch einen drauf. Und es benennt ein zweites Stichwort, das der Solidarität. Es belässt es dabei aber nicht beim solidarischen Eintreten der einen für die andere. Es beschreibt, wo ausgelebte Solidarität womöglich endet. Im Tod. Wie bei dem, der auf sein göttlich-Sein verzichtet. Und der sich so tief und bewusst auf sein Mensch-Sein einlässt, sich entäußert, wie Luther übersetzt - also bis ans Äußerste geht -, dass er auch dessen radikalste Konsequenz erleidet. Und im Eintreten für andere das Leben drangibt. Stirbt. Stellvertretung würde ich darum als drittes Stichwort bei Paulus festhalten wollen.
Paulus würde jetzt die Auferstehung ins Spiel bringen. Aber wie gesagt, es ist nicht sein Lied. Und die, die dieses Lied geschrieben haben, reden stattdessen von der Erhöhung. Der, der sich in seinem Menschsein erniedrigt hat, wird bei Gott ins Recht gesetzt. Kommt am Ende wieder oben an. Wird erhöht. Himmlische Wiedergutmachung könnte Paulus als Stichwort festgehalten haben wollen. Vielleicht sogar noch mehr. Himmlische Besser-Machung- Auch wenn’s dieses Wort gar nicht gibt.
Menschsein radikal gelebt!
Christus will dem Guten dienen.
Orte, wo das Böse bebt,
scheut er nicht, ist dort erschienen.
Weicht der letzten Grenze nicht.
Folgt dem Licht.
Neben die Erhöhung tritt ein weiteres Bild. Der erhöhte Christus bekommt auch einen neuen Namen. Einen Namen, der über alle Namen ist. Der Name ist nicht nur ein Erkennungszeichen. Er ist auch Programm. Bei Jesus sind das eine ganze Reihe von Titeln. Der beklannteste ist der Christus. Der Gesalbte. Ein Titel aus der jüdischen Tradition. Das Lied nennt den Titel Kyrios, Herr. So wurden die römischen Kaiser tituliert. Und wie bei den Kaisern haben die Menschen dem Träger dieses Titels die nötige Ehre zu verweisen.
Diese Ehre kommt, so das Lied, mehr als allen anderen doch Gott zu. Und dem, den Gott ins Recht setzt. Und aus dem Tod ins Leben holt. Ehre, wem Ehre gebührt, heißt es so schön. Das Lied legt den Menschen ans Herz, diese Ehre Gott angedeihen zu lassen. Und am Ende doch auch einander. Vielleicht wäre Wertschätzung hier das angemessene Stichwort. Denn eigentlich schreibt Paulus ein paar Regeln für ein gedeihliches Miteinander auf. Und dass der Versuch, nach dem Vorbild Christ zu leben, Menschen auch verändert, das macht sich am Zuspruch eines neuen Namens bei der Taufe fest. Früher, indem der bisherige Name ersetzt wurde. Heute, wie heute bei Immanuel, indem ihm sein Name noch einmal ganz bewusst zugesprochen worden ist. Und man anstatt von Wertschätzung sogar von Wertschöpfung sprechen könnte.
Gott bleibt seinen Menschen nah,
würdigt sie mit schönen Namen.
Was wir hofften, längst geschah.
Christus setzt ganz neu den Rahmen,
macht den Horizont uns weit
Neue Zeit!
Auf ein altes Lied haben wir gehört. Ein Lied, älter noch als die Briefe des Paulus. Und zugleich so jung, dass wir’s heute immer noch singen. Und seine Botschaft in unser Leben zu ziehen versuchen. Weil sie die Welt in neuen Farben erstrahlen lässt.
Der Palmsonntag ist dafür ein guter Tag. Ein Tag, an dem die Menschen ihre Hoffnung auf eine neue Zeit auf die Straße getragen haben. Ein Tag voller Erwartung. „Gelobt sei der da kommt!“ haben die Menschen damals gesungen. „Gelobt sei der, der längst da ist!“, möchte ich hinzufügen. Gottes Gegenwart mitten in unserm Leben. Gottes Nähe in jedem Menschen. Gottes Zukunft in dem, der ist, der war und der da kommt. Immer wieder neu. Amen.