Innehalten - in himmlischer Unordnung (Beitrag am 24.12.2025 für den pulsnetz-Adventskalender und die EKIBA-Website)

24.12.2024

Innehalten – in himmlischer Unordnung

Vielleicht bauen Sie auch jedes Jahr ihre Weihnachtskrippe auf – oder Sie bewundern sie in einer Kirche. Bis zum 2. Februar bleiben die ja in der Regel stehen. Bei uns war das so: Angefangen haben wir, als die Kinder noch klein waren. Das Starterkit – das waren Maria und Josef (vielleicht ist er ja doch der Vater) und das Kind in der Krippe. Im Jahr darauf kamen Ochs und Esel dazu. Im dritten Jahr wurde der anfangs improvisierte Stall aus Holzbausteinen durch einen richtigen ersetzt. Dann gings Schlag auf Schlag. Hirten wurden dazugekauft. Und Engel. Kleine für den Stall. Und natürlich Gabriel! Der war größer und hatte auch einen Stab mit einem Stern. Weitere Tiere durften später auch noch in den Stall, längst brannte dort auch schon ein Teelicht als Wärme- und Lichtquelle. Die letzte große Anschaffung waren dann die drei Könige. Sie und der Stall wurden schon Anfang Dezember aufgestellt. Und die drei vornehmen Männer aus dem Morgenland (im Osten geht halt am Morgen die Sonne auf) rückten täglich ein Stückchen näher an den Ort des Geschehens. Und Ochs und Esel sind schon da, wenn sich am 24. - also heute! – Maria und Joseph im Stall einquartieren. Immer größer wurde die beanspruchte Fläche. Und immer komplexer das Aufbauprogramm.

Ich musste an unser Krippenensemble denken, als ich vor wenigen Tagen zufällig auf einen Artikel über das physikalische Phänomen der Entropie gestoßen bin. Der zweite Satz der Thermodynamik (muss man nicht kennen) besagt nämlich, dass in geschlossenen Systemen die Unordnung immer mehr zunimmt. Das lässt sich an unserem Krippenensemble wunderbar ablesen. Jedes Jahr sieht es inzwischen anders aus. Kein Mensch und kein Tier hat seinen Platz mehr sicher. Von außen betrachtet scheint die Anordnung jedes Jahr undurchsichtiger. Physikalisch betrachtet (und beziehungsdynamisch sowieso!) nimmt die Unordnung also auch an Weihnachten zu. Das ist einfach der Lauf der Dinge – angefangen bei einem Molekül bis zum Weltall. Aber es geht im System keine Energie verloren, sie wird nur umgewandelt (erster Satz der Thermodynamik). Dies gilt auch für die weihnachtliche Krippenensemble-Energie. Die Unordnung im Blick auf die Weihnacht nimmt zu. Aber es schadet der Weihnacht nicht!

Daraus folgt: Es macht wenig Sinn, Weihnachten einem System zu unterwerfen, Ordnung in unsere weihnachtlichen Abläufe zu bringen. Sinn macht es dagegen, einfach innezuhalten. Alles weihnachtlich auf mich wirken zu lassen. Ohne in den Lauf der Dinge allzu steuernd einzugreifen. Die weihnachtliche Energie geht nicht verloren. Und die zunehmende weihnachtliche Unordnung vermeidet allzu viele Störungen im System. Theologisch gesprochen heißt das: Dass Gott Mensch wird - und dazu noch in einem Kind - erhöht (im Sinne der Entropie) die Unordnung im Himmel und auf der Erde ganz gewaltig. Gott und Mensch werden aus ihren bisher geschlossenen System herausgerissen. Doch die Folge dieser irdisch-himmlischen Unordnung ist die Möglichkeit, allem einen Drive, einen Richtungswechsel hin zum Besseren zu geben. Die weihnachtliche Unordnung ist ein Geschenk des Himmels. Vielleicht denken Sie heute daran, wenn manches nicht so läuft wie geplant und erhofft. Frohe Weihnachten – wo und wie und mit wem auch immer!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat i.R., Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, Opa, liest und schreibt gern.