SWR Kultur "Wort zum Tag" vom 20. August 2024

20.08.2024

„Gott ist Luft für dich? Dann bitte tief einatmen!“ sagt der Theologe Hans-Joachim Höhn am Ende eines Interviews. Dieser Satz hat mich richtig elektrisiert. Wenn ich sage, jemand ist Luft für mich, meine ich doch, dieser Mensch spielt für mich keine Rolle mehr. Dabei ist Luft ja für jeden Menschen lebensnotwendig. „Ich brauche dich wie die Luft zum Atmen!“ Das trifft dann schon eher, was Luft für mich ist.

Hans-Joachim Höhn hat beide Sichtweisen miteinander kombiniert. Wenn Gott für jemanden Luft ist, da hilft nur eines: Diese Luft kräftig einatmen. Sich diesem göttlichen Luftzug aussetzen. Und Gott in diesem Sinn dann wirklich Luft sein lassen. Ein genialer Gedankengang!

Eigentlich ist es kein Wunder, dass jemand Gott mit der Luft in Verbindung bringt! Gleich am Anfang der Bibel findet sich der Bericht von der Erschaffung des Menschen. Aus Erde formt Gott eine menschliche Gestalt.  Wie ich sie schon häufig am Strand aus Sand geformt gesehen habe. Das reinste Kinderspiel.  Aber eine Figur aus Sand – ohne Leben. Im Schöpfungsbericht der Bibel heißt es dann weiter: „Da blies Gott den Atem des Lebens in den Menschen hinein. So wurde er lebendig.“ (1. Mose 2,7)

Zum ersten Mal ist Gott hier Luft für den Menschen. Durch diese göttliche Mund-zu-Mund-Beatmung ist der Erdenkloß dann ein lebendiges Wesen geworden. Wer atmet, lebt. Auch in einem übertragenen Sinn mache ich diese Erfahrung immer wieder:  Ich spüre, dass es da etwas gibt, das Leben in mich bringt, wenn mir die Lust daran auch mal abhandenkommt. ich spüre eine Lebendigkeit, die nicht aus mir selber kommt. In Form von Ideen, die mir zufliegen. In der Bereitschaft, etwas noch einmal zu versuchen, was bisher gescheitert ist. Oder mich auf etwas Neues einzulassen. Das fühlt sich an, wie  von der Luft Gottes zu kosten.

Und wenn Gott einmal wirklich für mich Luft ist, wenn ich Gott irgendwie verloren habe, dann bleibt mir immer noch die Übung, tief durchzuatmen. Und irgendwann womöglich wieder etwas von der Lebendigkeit des Lebens zu spüren. Von der Lebenslust und Lebensluft Gottes. Auch wenn dabei oft eine ordentliche Portion Geduld nötig ist. Dass Gott Luft für mich ist – im einen wie im anderen Sinn - hält mich mit Gott in Beziehung. Ganz so wie Hans-Joachim Höhn es formuliert hat: Gott ist Luft für dich? Dann bitte tief einatmen!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.