SWR Kultur "Wort zum Tag" am 21. August 2024

21.08.2024

„Ich hätte gerne eine Seele!“ Der junge Mann, der da unlängst morgens beim Bäcker neben mir seine Bestellung aufgegeben hat, hat sich wohl nichts weiter dabei gedacht. Ganz spontan habe ich zu ihm gesagt: „Aber sie haben doch schon eine!“ Erst hat er mich ganz verständnislos angeschaut! Dann hat er plötzlich herzhaft gelacht. „Ja, aber nicht so eine!“ Und mit einem Mal waren wir mitten im Gespräch. Über das, was unsere innere Seele ausmacht und was es mit der Seele auf sich hat, die er für sein Frühstück mitnehmen wollte. Und die ich genauso köstlich finde wie er. Der Teig, meist aus Dinkelmehl, länglich geformt, mit langer Gärzeit der Hefe, muss Blasen werfen. Am Ende wird der Teig mit Salz und Kümmel bestreut. Wenn die Seelen dann gebacken sind, gleicht keine der anderen. Jede hat ihre eigene Form, wenn sie da auf dem Backblech nebeneinander liegen.

Aber es ist nicht die eigene, unverwechselbare Form, die dem Gebäck seinen Namen gegeben hat. Auch nicht der unverwechselbare kräftige Geschmack. Womöglich stammt die Seele als Gebäck sogar noch aus vorchristlicher Zeit, als man armen Seelen etwas Nahrhaftes zum Überleben geben wollte. Und später haben christliche Backhandwerker diesen Brauch dann gerne weitergeführt und den Begriff für das gebackene Teilchen übernommen.

Das Gespräch über die Seele gehört aber nicht nur an die Brötchentheke. Auf dem Heimweg habe ich weiter nachgedacht. Das kurze Gespräch hat mich zum Kern meines Glaubens geführt. Umgangssprachlich wird der Begriff Seele oft verwendet als Gegensatz zu dem, was von einem Menschen bleibt, wenn der Körper nach dem Tod zu Staub zerfällt. Ich meine aber, dass ich die Bibel auf meiner Seite habe, wenn ich mit Leib und Seele nur als eine Einheit vorstellen kann: „Lobe den Herrn, meine Seele!“ heißt es zum Beispiel in einem Psalm. Hier ist ein Mensch doch als Ganzes im Blick. Nicht nur als Seele, wie sie umgangssprachlich oft verstanden wird.

„Ich hätte gerne eine Seele!“, der Wunsch des jungen Mannes beim Bäcker, er könnte dann - jetzt wörtlich genommen - zum Ausdruck bringen: „Ich wäre gerne eine unverwechselbare, einzigartige Person, gerne mit Ecken und Kanten. Aber auch mit der mir eigenen Würde. Und der Aussicht, dass etwas von mir bleibt.“ Und dann sind wir mittendrin im Nachdenken über Gott und die Welt. Über meine Beziehungen zu den Menschen um mich herum. Und über meine Beziehung zu Gott, dem sich alles Leben verdankt. Deshalb will ich nicht nur meine Seele in Sicherheit bringen. Sondern andere Seelen für diese Sicht aufs Leben begeistern.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.