Wort zum Tag in SWR Kultur (ehemals SWR 2) am 28. April 2025
„Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich vermisse nichts!“ Dieser Satz meiner Physiotherapeutin bezog sich auf die Kirche. Im ersten Moment hat er mir fast die Schuhe ausgezogen. Da hätte mich so eine Bemerkung eigentlich nicht überraschen dürfen. Untersuchungen zur Kirche gibt es schließlich zuhauf. Sie kommen alle zu ähnlichen Ergebnissen. Aber dieses Mal war es eben ein Originalton. Von einer sympathischen Frau, mit der ich schon mehrmals über meinen Beruf gesprochen hatte. Und natürlich auch über die Kirche. Dieses Mal hat sie mich gefragt, wo es in ihrem Wohngebiet eigentlich eine Kirche gibt. Ich konnte ihr gleich mehrere nennen. Aber die sind ihr bisher noch gar nicht aufgefallen. Sie sagt: „Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt in einer Kirche gewesen bin!“ Und dann, quasi als Krönung: „Wenn ich ehrlich bin: Ich vermisse auch nichts!“
Nach meinem ersten Schock hat uns ihre ehrliche Bemerkung ein offenes Gespräch beschert. Ich habe verstanden: Es haben sich bei ihr in den letzten Jahren einfach keine Berührungspunkte zur Kirche mehr ergeben. Keine Beerdigung. Keine kirchliche Trauung im Freundeskreis. Ein Trauritual aber schon. Das habe ihr gefallen. „Warum?“, frage ich? „Ja, das ist doch ein großer Schritt!“, sagt sie. „Mehr als nur zusammenzuziehen. Da muss doch ein Segen her!“ Jetzt waren wir aber mittendrin. Sie vermisst nichts. Aber es muss doch Segen her! Jetzt stand ich wieder mit beiden Füßen fest in meinen Schuhen drin.
Wie kritisch oder distanziert Menschen auch zu Kirche und Religion stehen: Beim Thema Segen gibt’s meistens uneingeschränkte Zustimmung und große Neugier. Segen braucht der Mensch! Sonst würde er wohl doch etwas vermissen. Kirche nein. Oder nicht unbedingt. Aber Segen ja! Dieser Satz stimmt mich zuversichtlich. Denn ich drehe ihn am liebsten um. Wo’s um Segen geht – wo Segen nachgefragt wird, da ist für mich Gott im Spiel. Da ist für mich Kirche. Verborgen vielleicht. Etwas windschief womöglich. Manchmal eher als Ruine. Aber am Grundriss immer noch erkennbar. Denn der Segen ist für mich das Grundgerüst der Kirche. Ob in der vertrauten geprägten Form wie in fast jedem Gottesdienst. Oder ganz frei und auf eine konkrete Situation hin formuliert. Also nicht: „Kirche nein. Segen ja!“ Sondern „Segen ja! – und du bist mittendrin. Mitten in der Kirche und mitten in der Welt!“ Einen gesegneten Tag wünscht ihnen heute!