Wort zum Tag in SWR Kultur am 16. September 2025
Auch in diesem Sommer haben wir wieder in einer Kirche gewohnt. Zwei Wochen lang. Meine Frau und ich machen das jeden Sommer. Schon über viele Jahre. Auf der Insel Hiddensee. Westlich von Rügen. Es ist nur ein kleines Kirchlein. Aber es ist jedes Mal von Neuem etwas Besonderes, in diesem Haus zu sein. Und unter seinem reetgedeckten Kirchendach zu wohnen. Unten, im Erdgeschoss, ist der Kirchenraum. Und wenn man die kleine steile Treppe hochgeht, steht man in einem Zimmer. Mit Tisch und Stühlen. Bett und Küchenzeile.
Kaum haben wir morgens die Eingangstür der Kirche geöffnet, kommen auch schon die ersten Besucher. Sie kaufen Ansichtskarten im Vorraum. Oder setzen sich einfach auf einen der Stühle im Kirchenraum. Genießen die Stille. Oder beten. Andere singen aber auch. Ganz Mutige setzen sich an die Orgel und spielen ein paar Akkorde. Oder sogar eine Choralmelodie. Meist ahnen sie nicht, dass Ihnen oben jemand zuhört. Manche bringen ein Instrument mit und üben. Flöte. Geige. Gitarre. Als es draußen einmal geschüttet und gestürmt hat, haben wir ein paar Jugendliche in der Kirche übernachten lassen. Und wenn jemand das Bedürfnis nach einem Menschen hat, der einfach nur einmal zuhört, dann ist das meine Aufgabe als Kirchenbewohner auf Zeit.
Dieses Kirchlein ist viel mehr als nur ein Ort für Gottesdienste. Für Vortragsabende. Konzerte. Für kulturelle Veranstaltungen. Es ist ein Lebensort. Im wahrsten Sinn des Wortes. Ein geschützter Ort, an dem die Menschen, die kommen, für sich sein können. Und mit Gott. Kein Wunder, dass dieses Kirchlein auch einen entsprechenden Namen hat: Auf Plattdeutsch: Uns Tauflucht – unsere Zuflucht heißt es. Unsere Zuflucht auch für meine Frau und mich, die wir unter dem schützenden Dach wohnen und leben dürfen.
„Herr, du bist unsere Zuflucht für und für“, lese ich in einem alten Lied, einem Psalm der Bibel. Ein Haus, ein Kirchlein, das so viele Lebensmöglichkeiten bietet, ist also wahrhaftig mehr als irgendein Haus. Es ist Gotteshaus. Weil es sich als Ort erweist, an dem es mir leichter fällt als anderswo, Gott zu spüren. Seine Menschenfreundlichkeit zu erleben. Einen Schutzraum für die Seele zu finden. Und wenn man Glück hat, auch für den Leib. Fürs Kochen. Essen. Schlafen. Lesen. So wie uns das in diesem Sommer wieder vergönnt war. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Ihrem Leben auch immer wieder einen Raum der Zuflucht finden. Einen Ort, an dem es Ihnen leicht fällt, Gott zu spüren..