Wort zum Tag in SWR Kultur (ehemals SWR 2) am 16. Oktober 2025

16.10.2025

Das hat mich dann doch ganz kalt erwischt! Mit einer 15köpfigen Reisegruppe habe ich die Ausgrabungsstätten in Pergamon besichtigt.  Der einheimische Reiseführer sagt: „An der Stelle, an der Sie jetzt stehen, stand der antike Zeus-Altar.“ Und dann plötzlich in meine Richtung: „Ich denke, jetzt müssen Sie etwas sagen. Sie sind doch Pfarrer!“ Gänzlich unvorbereitet, an einer Stelle, an der einst einem antiken Gott gehuldigt wurde, den ich auch nur aus den Sagen des klassischen Altertums kenne. Und von dem ich nur bisher vom Pergamonfries in Berlin zumindest eine Ahnung hatte. Und jetzt plötzlich die Erwartung einer Spontanpredigt. An diesem Ort.

Was mir noch eingefallen ist: An einem Zeus-Altar wurde überhaupt nicht gepredigt. Da wurden Opferfeiern abgehalten, um den höchsten griechischen Gott milde zu stimmen.  Ich habe kurz nachgedacht. Und habe dann ich über die Vielfalt der Religionen gesprochen. Über die Buntheit der Formen, mit Gott in Verbindung zu kommen. Und natürlich auch darüber, dass wir heute zum Glück versuchen, mit Menschen anderer Religionen ins Gespräch zu kommen. Damit Religionen Konflikte entschärfen. Und sie nicht zur Quelle von neuerlichen Auseinandersetzungen werden.

Im Nachhinein habe ich mir gewünscht, ich hätte mehr Zeit zum Überlegen gehabt. Gerne hätte ich auch nämlich noch davon gesprochen, wie froh ich bin, dass es in meiner religiösen Prägung keinen Himmel gibt, der nur ein Spiegelbild der vielfachen Beziehungsmuster auf der Erde ist. Neben Zeus und seiner Hera gibt es in der griechischen Götterwelt so viele Götter und Halbgötter, dass einem schwindlig werden kann. Alle mit jeweils eigenen Zuständigkeitsbereichen. Dazu jede Menge Konflikte und Intrigen. Mir genügt der eine Gott, der „andere Götter neben sich“ nicht nötig hat. Und dessen Ebenbild der Mensch ist. Einen Gott, den es nicht in fernen himmlischen Sphären hält, weil es ihn zu den Menschen hinzieht. Wie gut, dass es auch in andere Religionen Menschen gibt, denen ihre Mitmenschen und die Natur und der Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit wichtig sind. Auch wenn sie sich in vielem von meinem Glauben unterscheiden. Den Austausch mit ihnen halte ich für wichtig. Um sich gegenseitig besser zu verstehen. In einer Haltung des Respekts. Aber auch getragen von meinem eigenen Glauben. Aber vor einem Zeus-Altar muss ich hoffentlich nicht mehr so schnell reden!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat i.R., Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, Opa, liest und schreibt gern.