Wort zum Tag in SWR Kultur (ehemals SWR 2) am 13. Juni 2025

13.06.2025

In einem großen, wassergefüllten Brunnenbecken steht ein Vulkan. Um den Krater herum tanzen fünf bronzene, beinahe lebensgroße Figuren. Eine hat ein Mikrophon in der Hand und singt. Am Fuß des Vulkans steht ein Klavier aus Granit. Der Klavierspieler mit Hufen an den Füßen. Mitten im Wedding in Berlin habe ich diese Skulptur entdeckt. Sie hat mich gleich in ihren Bann gezogen.

Ich hab‘ mich dann kundig gemacht. Seit 1988 gibt es diesen Brunnen. Die Skulptur in seiner Mitte heißt „Tanz auf dem Vulkan“. Entworfen hat sie die Künstlerin Ludmilla Seefried-Matejkova. Die Skulptur im Brunnen zeigt ihren Blick auf die Lage der Menschheit: Sie tanzen und feiern. Und nehmen gar nicht wahr, wie nah sie am Abgrund stehen. Die Figur am Klavier, die die Gruppe so sorglos leben und tanzen lässt, ist ein Satyr – ein menschlich-tierisches Mischwesen aus der griechischen Mythologie. Aus dem Gefolge des Dionysos. Wie ein Verführer wiegt er die Menschen in Sicherheit. Und lässt sie dem Abgrund entgegentaumeln.

Und wohl gemerkt: Der Brunnen ist schon 40 Jahre alt! Heute haben wir uns noch viel näher an den Abgrund herangetanzt. Schade, habe ich gedacht, dass man an einem Kunstwerk nichts verändern kann. Wäre mir das erlaubt, würde ich es gerne weitergestalten. Auf der anderen Seite des Vulkans, dem Klavierspieler gegenüber, würde ich einen Engel platzieren. Er ist dabei, ein Netz über den Krater des Vulkans zu spannen. Die Situation der Menschheit ist nicht einfacher geworden. Aber das Netz würde verhindern, dass die Tanzenden in den Krater hineintaumeln.

Meinen Glauben verstehe ich wie dieses Netz. Er ändert zunächst nichts am Zustand der Welt. Aber er ahnt und hofft: Ich bin gehalten. Wenn ich in die Irre gehe. Wenn ich taumle. Wie von einem unsichtbaren Netz. Darauf verlasse ich mich. Wie die Menschen, die in der Geschichte nach der Sintflut der Zusage Gottes vertrauen: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Ich verstehe das nicht als Beschwichtigung. Sondern als Angebot, in meinem Leben mit diesem Netz zu rechnen. Und mit der Möglichkeit, dass am Ende Gott am Klavier sitzt. Und uns nicht dem Verderben, sondern dem Leben entgegentanzen lässt.

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat i.R., Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, Opa, liest und schreibt gern.