Predigt über Kolosser 4,2-6
gehalten am Sonntag, den 28. Mai 2000 (Rogate)
im Gottesdienst mit Pfarrwahl
in der Thomaskiche in Freiburg
28.05.2000
Gleich zweimal waren die Kirchen in der vergangenen Woche in der Zeitung präsent, liebe Gemeinde. Das eine Mal mit klar positivem das andere Mal mit einem eher negativen Vorzeichen. "Alle fünf Jahre eine weniger" das war die Schlagzeile im Lokalteil am Mittwoch. Und was als griffige Formel dahergesagt war, um die Dimension unserer Probleme anschaulich zu machen, das war für andere ein Horrorszenario. Und für eine ganze reihe von Menschen Anlass, mich anzurufen.
Alle fünf Jahre eine weniger gemeint war alle fünf Jahre eine Kirche weniger da kann man allzu leicht in die Versuchung geraten nachzurechnen, wann es dann endgültig keine evangelische Kirche in Freiburg mehr gibt. Diese Sorge ist allerdings gänzlich unbegründet. Und sie ist wohl nirgends weniger gegeben als im Sünden unserer Republik. Diese Gegend so sagte Bischof Huber von der berlinbrandenburgischen Kirche unlänghst bei seinem Besuch in Freiburg diese Gegend sein ein von Gott ganz besonders begnadeter Landstrich. Es gibt keine Anzeichen, dass er diesen Satz heute zurücknehmen müsste. Und die heutige Wahl eines neuen Pfarrers für ihre Thomasgemeinde ist ja auch nicht gerade ein Zeichen des Rückzugs der Kirche aus der Welt.
Nicht abzustreiten ist, dass wir uns auch in der Kirche dabei sind, umzubauen. Bestehendes, Vertrautes, Liebgewordenes zu verändern. Anzupassen an veränderte Gegebenheiten, die beileibe nicht nur finanzieller Natur sind. Gemeindegrenzen sind genauso wenig biblisch begründet oder gottgegeben wie die Zahl kirchlicher Gebäude. Gleiches gilt für die Arbeitsformen, die in der Kirche heute nötig sind. Auch hier sind neue Wege dringend geboten. Was uns manchmal wirklich fehlt, ist ein Funke Gottvertrauen, Glaube, so groß wie ein Senfkorn. Dieser Glaube könnte nicht nur Berge versetzen, wie Jesus sagte, sondern auch Kirchen.
Dann gab es noch die andere Schlagzeile. Weniger reißerisch aufgemacht. Aber von nicht geringerer Bedeutung. Am Donnerstag erschien ein Bericht aus Anlass des 25. Geburtstages der ACK in Freiburg. Wer ihn aufmerksam gelesen hat; oder wer sich sogar zurückerinnert, der oder die konnte erleben, wie der Glaube Berge versetzt. Es ist gerade etwas mehr als 30 Jahre her, dass man in Freiburg an getrennten Orten, aber zur gleichen Zeit Gottesdienst gefeiert und dabei aneinander gedacht hat. Dies war im Jahre 1967 ein Riesenerfolg für die Ökumene vor Ort und auch damals von der Zeitung ausgiebig gewürdigt.
Und heute? Gemeinsam gefeierte Gottesdienste, sogenannte ökumenische Gottesdienste sind vielfach eine Selbstverständlichkeit. Gemeinden tauschen ihre Kirchengebäude etwa aus Platzgründen am Tag der Konfirmation. In Freiburg kein Einzelfall. Ein evangelische Pfarrer wird von der katholischen Gemeinde im Gottesdienst verabschiedet und predigt dort aus diesem Anlass wie jüngst in Breisach. Sage keiner: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Im ökumenischen Gespräch ist inzwischen soviel erreicht, dass es uns eigentlich schwindlig werden müsste. Und dieser Weg aufeinander zu ist von keiner Eiszeit mehr zu stoppen. Die ACK Freiburg war und ist ein Glücksfall für die Kirchen dieser Stadt.
Wir jammern heute viel, wir hätten zuwenig Geld. Aber wir staunen zu wenig darüber, was ohne großen finanziellen Aufwand alles möglich ist. Und wenn an einem hoffentlich noch fernen Tag in einem Stadtteil evangelische und katholische Christen wieder in einem Gotteshaus Gottesdienst feiern, weil sie sich zwei nicht mehr leisten können, dann ist auch das ein Zeugnis der Einheit der Christen. Dies wird unsere Glaubwürdigkeit womöglich mehr stärken, als schwarze Zahlen in der Gewinn und Verlustrechnung.
Gott hat uns seinen Beistand zugesagt. Seine Nähe. Seine Menschenfreundlichkeit. Und er ist den Israeliten in einem Zelt nahe gewesen, ehe man ihn in festen Häusern dingfest machte.
Wenn die Zeitung von uns Kirchen berichtet, dann sucht sie Sensationen. Klatsch, Tratsch und Krach. Meldungen, die aufhorchen lassen. Die von Interesse und Bedeutung sind. Eine Gemeinde, die macht, was ihr als Aufgabe zugedacht ist; die Menschen einlädt und mit ihnen feiert. Die Traurige tröstet und Suchenden Orientierung bietet, ist zunächst kein Thema für den Lokalteil. Die gelungene Pfarrwahl bestenfalls eine kleine Dreizeilenmeldung.
Ich sage das nicht, um Zeitungsschelte zu betreiben. Ich sage das, weil mich interessiert, was die Zeitung man könnte auch sagen was die Öffentlichkeit an der Kirche, an uns interessiert. Wir sind Kirche in der Welt. Vor den Augen der Welt. Und doch auch mit der Welt und allen Menschen guten Willens.
Der Predigttext für diesen Sonntag Rogate nimmt die Frage der Rolle der Kirche in der Welt auf seine Weise auf. Ein Schüler des Apostels Paulus hat einen Brief nach Kolossä, einer Stadt in Kleinasien. Aber sein eigentlicher Adressat ist die damalige Christenheit insgesamt. Der Brief schreibt den Christen einiges ins darüber Stammbuch, was eigentlich ihres Amtes ist. Was ihnen aufgetragen und wodurch sie von anderen unterscheidbar sein sollten. Was sie nach innen zu tun und wie sie nach außen zu erscheinen haben.
Prüfen wir also miteinander, was aus dieser Ermahnung auch für uns von Bedeutung sein könnte. Hört zunächst auf diesen Textabschnitt aus dem vierten Kapitel des Kolosserbriefes.
Zwei Stoßrichtungen sind es also, in die sich dieser Text Bewegung verursacht: Einmal nach innen. Und das andere Mal nach außen. Das binnenkirchliche Thema, die Regel für den internen kirchlichen Gebrauch, ist der Grund dafür, dass man diese Wort als Predigttext für den heutigen Sonntag ausgwählt hat. Rogate. Betet.
Zwei Arten des Gebetes werden genannt: Die Danksagung, im griechischen die Eucharistia, und die Fürbitte. Die Danksagung aber und das ist wichtig zuerst.
Ich weiß nicht, welchen Stellenwert das Gebet in unserer Kirche, aber auch in unserem Leben hat. Stoßgebete kennen wir vielleicht noch am ehesten. Gebete, die ändern sollen, was unserer Macht entzogen ist. Gebete gewissermaßen im Ernstfall, Von anderen im Normalfall gar nicht wahrgenommen.
Als Pfarrer Widdess noch Pfarrer in der Kreuzgemeinde war, habe ich ihn einmal gefragt, was seiner Erfahrung, seinem Erleben nach der markanteste Unterschied sei zwischen der anglikanischen Kirche, aus der er ja stammt, und unserer hiesigen, badischen Art Kirche zu sein. Seine Antwort hat mir damals sehr zu denken gegeben. Er sagte: "Die anglikanische Kirche ist eine betende Kirche." Die andere, uns betreffende Hälfte des Satzes konnte ich leicht selber ergänzen.
Woran liegt‚s, dass das Gebet in unserer Kirche keinen solchen Stellenwert besitzt? An unserer protestantischen Nüchternheit und Aufgeklärtheit? An unserer Tradition, die das Gebet verbannt hat in das stille Kämmerlein? An der theologisch Auffasung, dass unser ganzes Leben Gebet und Gottesdienst sein soll? An falscher Scham, nicht als Christenmensch enttarnt zu werden?
Es liegt sicher nicht an unserer mangelnden Frömmigkeit. Badische Christinnen und Christen sind nicht von vornherein weniger fromm als englische oder gar afrikanische. Aber wenn man Statistiken anschaut über die Ausbreitung des Christentums, dann fällt auf, dass die charismatischen Gruppen weltweit am stärksten wachsen schneller als die Weltbevölkerung. Und das sind Gruppen, die auch zum Gebet ein völlig anderes Verhältnis haben als wir. In unserer erlebnisorientierten Welt soll das Beten wachrütteln. Und nicht zum Einschlafen verleiten.
Unsere Art Kirche zu sein, hat ihr Recht, sogar ihr gutes Recht. Und mit unserer Eigenart bereichern wir die Vielfalt der Ökumene. Aber trotzdem: Ich vermute, wir haben einfach keine Übung im Beten. Keine hilfreiche Tradition wie die Stundengebete. Kein Erfahrung darin, das, was wir vor Gott aussprechen wollen, tatsächlich auch in Worte zu fassen. Und wir haben tatsächlich eine gewissen Scheu, uns als betende Kirche zu outen. Wir sind lieber eine reflektierende, eine handelnde Kirche, eine die gar nicht so sehr anders sein will als die Welt um sie herum.
Beten öffnet Türen, schreibt der Autor des Kolosserbriefes in der Autorität des Paulus. Nicht irgendwelche Türen, sondern Türen zur Verbreitung der guten Worte Gottes über diese Welt. Türen zur Verbreitung des Geheimnisses Christi, wie der Briefschreiber das nennt.
Beten öffnet Türen, um Worte weiter zusagen. Auf welche Weise, damit beschäftigen sich die beiden anderen Verse des Briefes. Weise sollen wir uns verhalten. Und die Zeit auskaufen. Die Zeit auskaufen meint, die Gunst der Stunde zu nutzen. Zu reden, zu handeln und sicher auch zu beten und nicht alles einfach auf die lange Bank zu schieben.
Was über die Art, die Qualität der Worte da zu lesen ist, das lässt einem fast schmunzeln. Allezeit freundlich sei unsere Rede. Und mit Salz gewürzt. Pointiert zu reden. Unterscheidbar zu reden. Das rechte Wort zu rechten Zeit zu sagen. Darauf kommt es an.
Unsere Worte müssen nicht nur wahr sein. Sie müssen auch angemessen sein. Nicht schonungslos, sondern Zukunft eröffnend. Nicht besserwiserisch, sondern barmherzig. Nicht beliebig und austauschbar, sondern notwendig und notwendend.
Wenn Jesus Christus immer wieder als das Wort Gottes, manchmal sogar als das eine Wort Gottes bezeichnet wird, dann drückt sich darin nicht anderes aus. Gott sprich sich in Christus aus. Er gibt sich zu erkennen als die Kraft, die heilen will und zusammenführen. Als der, der uns nahe bleibt, wenn vieles uns fern rückt. Als der, der mit uns aushält, wenn wir es nicht mehr aushalten.
Beten heißt, mit unseren Worten dem Raum geben, der gute Worte über uns spricht. Mit unseren Worten das vor Gott bringen, was uns die Worte rauben und uns mundtot machen will. Beten heißt, durch unsere Worte hindurch Gottes Worte hörbar machen. Beten heißt nicht: sich zurückziehen aus der Welt. Eher noch tiefer in die Welt eindringen. Beten heißt nicht: alles als gottgegeben hinnehmen. Beten heißt vielmehr, das uns Vorgegebene in Verantwortung vor Gott zu gestalten und mit dem Wunder der Verwandlung zu rechnen.
Zu beten und zu reden ist uns aufgetragen. Zum Feiern sind wir eingeladen und zum Fasten. Eine Kirche, die bei der Sache bleibt, wird wahrgenommen. Eine Kirche, die sagt, was andere verschweigen, wird gehört, und sei‚s zähneknirschend. Eine Kirche, die betet und die öffentlich redet von der Hoffnung, von der sie lebt, macht vielleicht keine Schlagzeilen. Aber sie versetzt Berge und Grenzen. Und sie hilft mit, die Welt zu gestalten und ihr ein neues Gesicht zu verleihen.
Offene Türen sind uns verheißen. Wir haben die Wahl, alles beim Alten zu lassen. Oder auf neuen Wegen das Leben zu wagen in der Zeit, die vor uns liegt. Und der Friede Gottes, der unsere Vernunft übersteigt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Alle fünf Jahre eine weniger gemeint war alle fünf Jahre eine Kirche weniger da kann man allzu leicht in die Versuchung geraten nachzurechnen, wann es dann endgültig keine evangelische Kirche in Freiburg mehr gibt. Diese Sorge ist allerdings gänzlich unbegründet. Und sie ist wohl nirgends weniger gegeben als im Sünden unserer Republik. Diese Gegend so sagte Bischof Huber von der berlinbrandenburgischen Kirche unlänghst bei seinem Besuch in Freiburg diese Gegend sein ein von Gott ganz besonders begnadeter Landstrich. Es gibt keine Anzeichen, dass er diesen Satz heute zurücknehmen müsste. Und die heutige Wahl eines neuen Pfarrers für ihre Thomasgemeinde ist ja auch nicht gerade ein Zeichen des Rückzugs der Kirche aus der Welt.
Nicht abzustreiten ist, dass wir uns auch in der Kirche dabei sind, umzubauen. Bestehendes, Vertrautes, Liebgewordenes zu verändern. Anzupassen an veränderte Gegebenheiten, die beileibe nicht nur finanzieller Natur sind. Gemeindegrenzen sind genauso wenig biblisch begründet oder gottgegeben wie die Zahl kirchlicher Gebäude. Gleiches gilt für die Arbeitsformen, die in der Kirche heute nötig sind. Auch hier sind neue Wege dringend geboten. Was uns manchmal wirklich fehlt, ist ein Funke Gottvertrauen, Glaube, so groß wie ein Senfkorn. Dieser Glaube könnte nicht nur Berge versetzen, wie Jesus sagte, sondern auch Kirchen.
Dann gab es noch die andere Schlagzeile. Weniger reißerisch aufgemacht. Aber von nicht geringerer Bedeutung. Am Donnerstag erschien ein Bericht aus Anlass des 25. Geburtstages der ACK in Freiburg. Wer ihn aufmerksam gelesen hat; oder wer sich sogar zurückerinnert, der oder die konnte erleben, wie der Glaube Berge versetzt. Es ist gerade etwas mehr als 30 Jahre her, dass man in Freiburg an getrennten Orten, aber zur gleichen Zeit Gottesdienst gefeiert und dabei aneinander gedacht hat. Dies war im Jahre 1967 ein Riesenerfolg für die Ökumene vor Ort und auch damals von der Zeitung ausgiebig gewürdigt.
Und heute? Gemeinsam gefeierte Gottesdienste, sogenannte ökumenische Gottesdienste sind vielfach eine Selbstverständlichkeit. Gemeinden tauschen ihre Kirchengebäude etwa aus Platzgründen am Tag der Konfirmation. In Freiburg kein Einzelfall. Ein evangelische Pfarrer wird von der katholischen Gemeinde im Gottesdienst verabschiedet und predigt dort aus diesem Anlass wie jüngst in Breisach. Sage keiner: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Im ökumenischen Gespräch ist inzwischen soviel erreicht, dass es uns eigentlich schwindlig werden müsste. Und dieser Weg aufeinander zu ist von keiner Eiszeit mehr zu stoppen. Die ACK Freiburg war und ist ein Glücksfall für die Kirchen dieser Stadt.
Wir jammern heute viel, wir hätten zuwenig Geld. Aber wir staunen zu wenig darüber, was ohne großen finanziellen Aufwand alles möglich ist. Und wenn an einem hoffentlich noch fernen Tag in einem Stadtteil evangelische und katholische Christen wieder in einem Gotteshaus Gottesdienst feiern, weil sie sich zwei nicht mehr leisten können, dann ist auch das ein Zeugnis der Einheit der Christen. Dies wird unsere Glaubwürdigkeit womöglich mehr stärken, als schwarze Zahlen in der Gewinn und Verlustrechnung.
Gott hat uns seinen Beistand zugesagt. Seine Nähe. Seine Menschenfreundlichkeit. Und er ist den Israeliten in einem Zelt nahe gewesen, ehe man ihn in festen Häusern dingfest machte.
Wenn die Zeitung von uns Kirchen berichtet, dann sucht sie Sensationen. Klatsch, Tratsch und Krach. Meldungen, die aufhorchen lassen. Die von Interesse und Bedeutung sind. Eine Gemeinde, die macht, was ihr als Aufgabe zugedacht ist; die Menschen einlädt und mit ihnen feiert. Die Traurige tröstet und Suchenden Orientierung bietet, ist zunächst kein Thema für den Lokalteil. Die gelungene Pfarrwahl bestenfalls eine kleine Dreizeilenmeldung.
Ich sage das nicht, um Zeitungsschelte zu betreiben. Ich sage das, weil mich interessiert, was die Zeitung man könnte auch sagen was die Öffentlichkeit an der Kirche, an uns interessiert. Wir sind Kirche in der Welt. Vor den Augen der Welt. Und doch auch mit der Welt und allen Menschen guten Willens.
Der Predigttext für diesen Sonntag Rogate nimmt die Frage der Rolle der Kirche in der Welt auf seine Weise auf. Ein Schüler des Apostels Paulus hat einen Brief nach Kolossä, einer Stadt in Kleinasien. Aber sein eigentlicher Adressat ist die damalige Christenheit insgesamt. Der Brief schreibt den Christen einiges ins darüber Stammbuch, was eigentlich ihres Amtes ist. Was ihnen aufgetragen und wodurch sie von anderen unterscheidbar sein sollten. Was sie nach innen zu tun und wie sie nach außen zu erscheinen haben.
Prüfen wir also miteinander, was aus dieser Ermahnung auch für uns von Bedeutung sein könnte. Hört zunächst auf diesen Textabschnitt aus dem vierten Kapitel des Kolosserbriefes.
- Textverlesung
Zwei Stoßrichtungen sind es also, in die sich dieser Text Bewegung verursacht: Einmal nach innen. Und das andere Mal nach außen. Das binnenkirchliche Thema, die Regel für den internen kirchlichen Gebrauch, ist der Grund dafür, dass man diese Wort als Predigttext für den heutigen Sonntag ausgwählt hat. Rogate. Betet.
Zwei Arten des Gebetes werden genannt: Die Danksagung, im griechischen die Eucharistia, und die Fürbitte. Die Danksagung aber und das ist wichtig zuerst.
Ich weiß nicht, welchen Stellenwert das Gebet in unserer Kirche, aber auch in unserem Leben hat. Stoßgebete kennen wir vielleicht noch am ehesten. Gebete, die ändern sollen, was unserer Macht entzogen ist. Gebete gewissermaßen im Ernstfall, Von anderen im Normalfall gar nicht wahrgenommen.
Als Pfarrer Widdess noch Pfarrer in der Kreuzgemeinde war, habe ich ihn einmal gefragt, was seiner Erfahrung, seinem Erleben nach der markanteste Unterschied sei zwischen der anglikanischen Kirche, aus der er ja stammt, und unserer hiesigen, badischen Art Kirche zu sein. Seine Antwort hat mir damals sehr zu denken gegeben. Er sagte: "Die anglikanische Kirche ist eine betende Kirche." Die andere, uns betreffende Hälfte des Satzes konnte ich leicht selber ergänzen.
Woran liegt‚s, dass das Gebet in unserer Kirche keinen solchen Stellenwert besitzt? An unserer protestantischen Nüchternheit und Aufgeklärtheit? An unserer Tradition, die das Gebet verbannt hat in das stille Kämmerlein? An der theologisch Auffasung, dass unser ganzes Leben Gebet und Gottesdienst sein soll? An falscher Scham, nicht als Christenmensch enttarnt zu werden?
Es liegt sicher nicht an unserer mangelnden Frömmigkeit. Badische Christinnen und Christen sind nicht von vornherein weniger fromm als englische oder gar afrikanische. Aber wenn man Statistiken anschaut über die Ausbreitung des Christentums, dann fällt auf, dass die charismatischen Gruppen weltweit am stärksten wachsen schneller als die Weltbevölkerung. Und das sind Gruppen, die auch zum Gebet ein völlig anderes Verhältnis haben als wir. In unserer erlebnisorientierten Welt soll das Beten wachrütteln. Und nicht zum Einschlafen verleiten.
Unsere Art Kirche zu sein, hat ihr Recht, sogar ihr gutes Recht. Und mit unserer Eigenart bereichern wir die Vielfalt der Ökumene. Aber trotzdem: Ich vermute, wir haben einfach keine Übung im Beten. Keine hilfreiche Tradition wie die Stundengebete. Kein Erfahrung darin, das, was wir vor Gott aussprechen wollen, tatsächlich auch in Worte zu fassen. Und wir haben tatsächlich eine gewissen Scheu, uns als betende Kirche zu outen. Wir sind lieber eine reflektierende, eine handelnde Kirche, eine die gar nicht so sehr anders sein will als die Welt um sie herum.
Beten öffnet Türen, schreibt der Autor des Kolosserbriefes in der Autorität des Paulus. Nicht irgendwelche Türen, sondern Türen zur Verbreitung der guten Worte Gottes über diese Welt. Türen zur Verbreitung des Geheimnisses Christi, wie der Briefschreiber das nennt.
Beten öffnet Türen, um Worte weiter zusagen. Auf welche Weise, damit beschäftigen sich die beiden anderen Verse des Briefes. Weise sollen wir uns verhalten. Und die Zeit auskaufen. Die Zeit auskaufen meint, die Gunst der Stunde zu nutzen. Zu reden, zu handeln und sicher auch zu beten und nicht alles einfach auf die lange Bank zu schieben.
Was über die Art, die Qualität der Worte da zu lesen ist, das lässt einem fast schmunzeln. Allezeit freundlich sei unsere Rede. Und mit Salz gewürzt. Pointiert zu reden. Unterscheidbar zu reden. Das rechte Wort zu rechten Zeit zu sagen. Darauf kommt es an.
Unsere Worte müssen nicht nur wahr sein. Sie müssen auch angemessen sein. Nicht schonungslos, sondern Zukunft eröffnend. Nicht besserwiserisch, sondern barmherzig. Nicht beliebig und austauschbar, sondern notwendig und notwendend.
Wenn Jesus Christus immer wieder als das Wort Gottes, manchmal sogar als das eine Wort Gottes bezeichnet wird, dann drückt sich darin nicht anderes aus. Gott sprich sich in Christus aus. Er gibt sich zu erkennen als die Kraft, die heilen will und zusammenführen. Als der, der uns nahe bleibt, wenn vieles uns fern rückt. Als der, der mit uns aushält, wenn wir es nicht mehr aushalten.
Beten heißt, mit unseren Worten dem Raum geben, der gute Worte über uns spricht. Mit unseren Worten das vor Gott bringen, was uns die Worte rauben und uns mundtot machen will. Beten heißt, durch unsere Worte hindurch Gottes Worte hörbar machen. Beten heißt nicht: sich zurückziehen aus der Welt. Eher noch tiefer in die Welt eindringen. Beten heißt nicht: alles als gottgegeben hinnehmen. Beten heißt vielmehr, das uns Vorgegebene in Verantwortung vor Gott zu gestalten und mit dem Wunder der Verwandlung zu rechnen.
Zu beten und zu reden ist uns aufgetragen. Zum Feiern sind wir eingeladen und zum Fasten. Eine Kirche, die bei der Sache bleibt, wird wahrgenommen. Eine Kirche, die sagt, was andere verschweigen, wird gehört, und sei‚s zähneknirschend. Eine Kirche, die betet und die öffentlich redet von der Hoffnung, von der sie lebt, macht vielleicht keine Schlagzeilen. Aber sie versetzt Berge und Grenzen. Und sie hilft mit, die Welt zu gestalten und ihr ein neues Gesicht zu verleihen.
Offene Türen sind uns verheißen. Wir haben die Wahl, alles beim Alten zu lassen. Oder auf neuen Wegen das Leben zu wagen in der Zeit, die vor uns liegt. Und der Friede Gottes, der unsere Vernunft übersteigt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.