Predigt im Gottesdienst zur konstituierenden Sitzung der
Bezirkssynode im Kirchenbezirk Freiburg
am 12. April 2002 in der Zachäusgemeinde in FR-Landwasser
12.04.2002
Liebe Mitsynodale!
Der Predigttext für den übermorgigen Sonntag ist wie so oft in dieser sechs-ten Reihe der Predigttexte einer aus dem Hebräerbrief. Und auch dieser Text ist wieder voll von dieser geprägten, wenn auch nicht immer leicht ver-ständlichen Sprache.
Dennoch sind mir diese Verse in leichtgekürzter Form sehr vertraut. Und ich bin sicher: sie alle haben sie schon gehört; auch wenn sie sich nicht gleich erinnern. Denn nach der Agende schließen sie jeweils die Einführungshand-lungen für hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab. Voller ge-prägter theologischer Versatzstücke ist dieser Text. Voller Wörter aus der biblischen Tradition. Voller manchmal vertrauter, manchmal auch fremd ge-bliebener Bilder. Und er schließt ab mit einer bis heute in den Gottesdiens-ten gebräuchlichen Formel des Lobpreises. Diese beiden Verse, der 20. und der 21. aus dem letzten, dem 13. Kapitel des Hebräerbriefes lautet:
Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus Christus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Wil-len, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen
Liebe Schwestern und Brüder!
wenn man zur Zeit durch Freiburg oder durch Umkirch fährt, fallen einem die Plakate sofort ins Auge. Große, vielversprechende Gesichter. Darunter wenige Worte, die zu begründen versuchen, warum man sich für den einen oder die eine entscheiden soll. Es ist Wahlkampf. Und zur Wahl steht – in Umkirch – ein neuer Bürgermeister. In Freiburg ein Oberbürgermeister oder eine Oberbürgermeisterin.
Die Gesichter offen und freundlich. So als blicke einem der Nachbar über den Zaun freundlich entgegen. Kein Hinweis auf die parteipolitische Zugehö-rigkeit. Keine Polemik. Doch sorgfältig gesetzte Worte. Eine auf einen Satz verkürzte – oder soll man sagen – auf einen Satz konzentrierte werbende programmatische Aussage.
Einer will der Oberbürgermeister sein für alle. Der andere will, dass Freiburg anders bleibt. Die dritte wirbt für sich als offen im Denken und erfahren im Handeln. Und der vierte gar versteht sich als die Alternative zu allen Dreien.
Programmatik – auf einen Satz verkürzt, die gibt es allenthalben auch in der Werbung. Nicht selten kommt es eben doch auf den rechten Slogan an. Auf Formulierungen, die den Nerv treffen. Die – ohne auf’s Detail zu achten – an Vorhandem in uns anknüpfen können. Wenige Worte nur – aber in ihnen leuchtet gewissermaßen ein umfangreicheres, umfassenderes, vielleicht auch tiefsinnigeres Ganzes auf.
Auch unsere Landeskirche hat sich an solchen Formulierungen versucht. Sechs Jahre ist es her, dass wir in Baden das 175jährige Jubiläum der Union gefeiert haben. Und alle offiziellen Verlautbarungen, jeden Briefbogen zier-ten damals die drei Worte „fromm, bunt, frei“. Damit glaubte man, unsere badische Landeskirche zutreffend und wiedererkennbar beschrieben zu ha-ben. Inzwischen sind sie klammheimlich wieder aus dem Verkehr gezogen. Sie haben sich am Markt nicht werbewirksam und gewinnbringend durch-setzen können.
Trotzdem – auch bei uns in der Kirche – ja gerade bei uns in der Kirche gibt es das – die im Kurzform vorgetragene, wirksame sprachliche Reduktion, durch die hindurch auf Größeres, auf bleibend Prägendes und Geprägtes verwiesen wird. Und es gibt es sogar in beträchtlichem Umfang. Und griffi-ger, tieferwurzelnder, unverkennbarer als das vielfache, nichtssagende Wortgeklimper der Werbung.
Warum also nicht zurückgreifen auf den eigenen Bestand. Die Sonntagsna-men etwa gehören dazu. Zumal der vom kommenden Sonntag. Miserisordi-as Domini – die Barmherzigkeit des Herrn. Der deutsche Name ist bei uns noch mehr verwurzelt. Der kommende Sonntag ist der Sonntag vom guten Hirten.
Das Bild vom Hirten ist nach wie vor eines der am meisten wirksamen Bil-der, mit denen wir das Handeln Gottes zugunsten der Menschen zu be-schreiben suchen. Und ich erinnere mich noch gut an das raunende Murren im Gottesdienst anlässlich meiner Einführung als Dekan vor fast genau vier Jahren. Landesbischof Fischer meinte damals, das Bild vom Hirten habe es schwer, weil man heute Hirten oder Schäfer nicht mehr aus eigener Anschauung kenne.
Aber bis heute ziehen sie auch durch unsere hochindustriealisierte postmo-derne Wirklichkeit. Und sie wirken wir archaische Überbleibsel aus einer an-deren, heileren Welt. Einer Welt, die geprägt ist von fürsorglicher Zuwen-dung und von heilsamer Begrenzung. Geprägt von einem inneren Zusam-menhalt, der allen Widerfahrnissen des Lebens erfolgreich entgegensteht. Eine Welt frohmachender Romantik in einer oft so unheiligen und unbarm-herzigen Wirklichkeit.
Nicht ohne Grund ist das von Gott abgeleitete Bild vom Hirten dann auch das Urmodell des verantwortlichen kirchlichen Amtsträgers gewesen. Der Gemeindehirte. Der Pastor. Derjenige, der sich unter Hintenanstellung aller persönlicher Präferenzen zum Fürsprecher derer macht, die nicht mehr wei-terwissen und denen Unrecht geschieht. Das Bild vom Hirten – lange Zeit war es so etwas wie das akzeptierte Modell verantwortlichen kirchlichen und seelsorgerlichen Handelns.
Als Leitungsmodell stand es aber von Anfang an immer zugleich auch in Konkurrenz. Seit den Tagen, in denen Mose von seinem Schwiegervater den Rat erhalten hatte, andere Menschen mit in die Verantwortung einzubinden – seit der Erfahrung, dass Gott seinen Geist doch wesentlich großzügiger und strukturell sehr wohl sinnvoller über seine Schöpfung ausgießt als es alles Machthaber dieser Erde wahrhaben wollten – seit dieser Zeit hat sich neben dem Modell des Hirten das der gemeinschaftlichen Leitung etabliert. Synoden und Konzile sind seit der Zeit der alten Kirche zum Symbol dafür geworden, dass Gottes Wahrheit sich gemeinschaftlich erringen und schen-ken lässt. Und dass der Geist Gottes nicht einmal Angst davor hat, sich seg-nend auf eine Mehrheitsentscheidung zu legen.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich meine nicht, dass sich Wahrheit und auch Recht und Gerechtigkeit einfach per formalem Mehrheitsentscheid gleichsam produzieren und herstellen lassen. In diesem Sinn sind Synoden immer mehr als Parlamente. Und gute evangelische Theologie hat zwar eine Affinität zu demokratischen Entscheidungsmechanismen. Sie geht aber kei-neswegs in ihr auf.
Allerdings glaube ich sehr wohl, dass gerade in einem synodalen Entschei-dungsprozess Leitung der Kirche aus dem Geist des Evangeliums geschieht. Und gerade in dieser Hinsicht sollten sie als Synodale, als alterfahrene oder als neugewählte, ihre Aufgabe keineswegs gering schätzen. Selbst dann nicht, wenn scheinbar Selbstverständliches oder auch Kleindimensioniertes zur Beratung ansteht. Jede noch so große Wahrheit bricht sich am Ende in den Alltäglichkeiten des Lebens. Nur wenn sie ihr Licht auch in die letzten Risse und Spalten scheinen lässt, ist sie wirklich von Bedeutung.
Die prägende Formel vom Guten Hirten und die heilsame Einsicht in Ent-scheidungsfähigkeit der ganzen Gemeinde – ist das über ein Konkurrenz-verhältnis hinaus nicht auch ein Widerspruch? Ist „alle Macht für alle“ das neue Motto, dass das alte, dass nämlich der Herr mein Hirte ist, überbietet?
Können auch wir „Synode für alle“ auf unsere Protokolle und Briefköpfe schreiben. Uns anbieten als „die Alternative“. „Anders zu sein“ und anders zu denken ist uns ohnedies aufgetragen. Und dass wir gerade als Synode offen denken und erfahren handeln, wer wollte dies ernsthaft bestreiten! Werden uns also demnächst von den Agenturen des Freiburger OB-Wahlkampfs die Kosten für die Fremdnutzung von deren Logos in Rechnung gestellt?
Ich bin sicher – die Slogans der vier haben wir gar nicht nötig – zu groß ist der Vorrat, aus dem wir selber schöpfen können. Allerdings müsste uns die Frage des Verhältnisses synodaler Entscheidungen und dem Leiten im Sinne des Bildes vom Hirten – vom guten Hirten - durchaus beschäftigen.
Problematisch ist tatsächlich die Übertragung des Bildes vom Hirte sein Got-tes auf einzelne kirchliche Amtsträger. Der Webfehler dieses Ansatzes liegt in der Bewertung, besser der einseitigen Überbewertung des pastoralen Amtes – theologisch gesprochen in einer illegitimen Inanspruchnahme der Christologie für die Ämterlehre.
Unbestritten, ja sogar zentral, dass sich das Hirtesein Gottes widerspiegelt in der Bedeutung Christi für die Kirche. Zurecht wird uns dies der Wochen-spruch für die kommende Woche in Erinnerung rufen, in dem der Christus des Johannes-Evangeliums von sich sagt: Ich bin der gute Hirte.
Aber die Platzhalter des Hirten Christus sind nicht die Pfarrer. Auch nicht Pfarrerinnen und Pfarrer. Es ist die Gemeinde in der Vielzahl der ihr von Gott geschenkten Gaben. Darum gibt es keine evangelischen Laien, auch wenn uns das zunehmend eingeredet wird. Und auch keine evangelischen Priester. Hier steht ein zentrales Gut des evangelischen Glaubens zur Disposition. Und nicht ohne Grund ist die Frage nach den kirchlichen Ämtern die große ökumenisch strittige Frage geblieben.
Das Hirtin- und Hirtesein der Pfarrerinnen und Pfarrer ist ein mögliche Ent-sprechung zum Hirtesein des guten Hirten. Aber keine exklusive. Alle haben Anteil daran. Wir alle sind in die Pflicht genommen. Gemeindediakone und Sekretärinnen. Organisten und Chorleiterinnen. Hausmeister und Sekretä-rinnen. Religionslehrerinnen und Sozialarbeiter. Um nur einige unserer Be-rufsbilder zu nennen. Und dann eben auch sie alle als Synodale. Dass unse-re Einführungsagende keine eigene Form für die Einführung von Synodalen kennt, halte ich deswegen durchaus für ein beklagenswertes Defizit. Hier besteht ohne Zweifel Nachholbedarf!
Synodaler Dienst ist Hirtinnendienst und Hirtendienst. Darin liegt seine Verantwortung. Darin liegt seine Hoffnung und seine Ermutigung. Darin liegt aber auch die Gewissheit, dass wir nicht ohne Gottes Geist sein werden in dem, was wir beraten und bedenken. In dem, was wir entschei-den und beschließen. In dem, wofür wir unsere Stimmen erheben für dieje-nigen, die mundtot gemacht werden von ihren Mitmenschen. Und in dem man ihnen beides vorenthält. Leben unter gesicherten Verhältnissen und unter einem Dach über dem Kopf. Menschenwürdige Arbeit und ein Frieden in Gerechtigkeit. Jeder Blick in die Zeitung müsste uns Synodale täglich neu zu einem mutigen und wegweisenden Wort verlocken. Synodaler Dienst ist Hirtinnendienst und Hirtendienst, habe ich eben gesagt. Und Hirtendienst heißt Wegweisung geben und Schutz gewähren. Durch Zeichen der Hoff-nung. Und Worte des Friedens. Synodaler Dienst ist Hirtinnendienst und Hirtendienst.
Tüchtig zum Guten habe Gott uns gemacht – so hörten wir’s eingangs im Predigttext für übermorgen. Tüchtig zum Guten zu tun seinen Willen. Und ich bin sicher, dass Gott seine Möglichkeiten nutzt, wenn er in uns schafft, was ihm gefällt durch Jesus Christus, um noch einmal die Sprache des Heb-räerbriefes aufzunehmen. Unsichtbar ist dieser Christus als Mitynodaler un-ter uns wirksam. Durch Gottes Möglichkeiten in uns sei ihm Ehre von Ewig-keit zu Ewigkeit. Amen.
Der Predigttext für den übermorgigen Sonntag ist wie so oft in dieser sechs-ten Reihe der Predigttexte einer aus dem Hebräerbrief. Und auch dieser Text ist wieder voll von dieser geprägten, wenn auch nicht immer leicht ver-ständlichen Sprache.
Dennoch sind mir diese Verse in leichtgekürzter Form sehr vertraut. Und ich bin sicher: sie alle haben sie schon gehört; auch wenn sie sich nicht gleich erinnern. Denn nach der Agende schließen sie jeweils die Einführungshand-lungen für hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab. Voller ge-prägter theologischer Versatzstücke ist dieser Text. Voller Wörter aus der biblischen Tradition. Voller manchmal vertrauter, manchmal auch fremd ge-bliebener Bilder. Und er schließt ab mit einer bis heute in den Gottesdiens-ten gebräuchlichen Formel des Lobpreises. Diese beiden Verse, der 20. und der 21. aus dem letzten, dem 13. Kapitel des Hebräerbriefes lautet:
Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus Christus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Wil-len, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen
Liebe Schwestern und Brüder!
wenn man zur Zeit durch Freiburg oder durch Umkirch fährt, fallen einem die Plakate sofort ins Auge. Große, vielversprechende Gesichter. Darunter wenige Worte, die zu begründen versuchen, warum man sich für den einen oder die eine entscheiden soll. Es ist Wahlkampf. Und zur Wahl steht – in Umkirch – ein neuer Bürgermeister. In Freiburg ein Oberbürgermeister oder eine Oberbürgermeisterin.
Die Gesichter offen und freundlich. So als blicke einem der Nachbar über den Zaun freundlich entgegen. Kein Hinweis auf die parteipolitische Zugehö-rigkeit. Keine Polemik. Doch sorgfältig gesetzte Worte. Eine auf einen Satz verkürzte – oder soll man sagen – auf einen Satz konzentrierte werbende programmatische Aussage.
Einer will der Oberbürgermeister sein für alle. Der andere will, dass Freiburg anders bleibt. Die dritte wirbt für sich als offen im Denken und erfahren im Handeln. Und der vierte gar versteht sich als die Alternative zu allen Dreien.
Programmatik – auf einen Satz verkürzt, die gibt es allenthalben auch in der Werbung. Nicht selten kommt es eben doch auf den rechten Slogan an. Auf Formulierungen, die den Nerv treffen. Die – ohne auf’s Detail zu achten – an Vorhandem in uns anknüpfen können. Wenige Worte nur – aber in ihnen leuchtet gewissermaßen ein umfangreicheres, umfassenderes, vielleicht auch tiefsinnigeres Ganzes auf.
Auch unsere Landeskirche hat sich an solchen Formulierungen versucht. Sechs Jahre ist es her, dass wir in Baden das 175jährige Jubiläum der Union gefeiert haben. Und alle offiziellen Verlautbarungen, jeden Briefbogen zier-ten damals die drei Worte „fromm, bunt, frei“. Damit glaubte man, unsere badische Landeskirche zutreffend und wiedererkennbar beschrieben zu ha-ben. Inzwischen sind sie klammheimlich wieder aus dem Verkehr gezogen. Sie haben sich am Markt nicht werbewirksam und gewinnbringend durch-setzen können.
Trotzdem – auch bei uns in der Kirche – ja gerade bei uns in der Kirche gibt es das – die im Kurzform vorgetragene, wirksame sprachliche Reduktion, durch die hindurch auf Größeres, auf bleibend Prägendes und Geprägtes verwiesen wird. Und es gibt es sogar in beträchtlichem Umfang. Und griffi-ger, tieferwurzelnder, unverkennbarer als das vielfache, nichtssagende Wortgeklimper der Werbung.
Warum also nicht zurückgreifen auf den eigenen Bestand. Die Sonntagsna-men etwa gehören dazu. Zumal der vom kommenden Sonntag. Miserisordi-as Domini – die Barmherzigkeit des Herrn. Der deutsche Name ist bei uns noch mehr verwurzelt. Der kommende Sonntag ist der Sonntag vom guten Hirten.
Das Bild vom Hirten ist nach wie vor eines der am meisten wirksamen Bil-der, mit denen wir das Handeln Gottes zugunsten der Menschen zu be-schreiben suchen. Und ich erinnere mich noch gut an das raunende Murren im Gottesdienst anlässlich meiner Einführung als Dekan vor fast genau vier Jahren. Landesbischof Fischer meinte damals, das Bild vom Hirten habe es schwer, weil man heute Hirten oder Schäfer nicht mehr aus eigener Anschauung kenne.
Aber bis heute ziehen sie auch durch unsere hochindustriealisierte postmo-derne Wirklichkeit. Und sie wirken wir archaische Überbleibsel aus einer an-deren, heileren Welt. Einer Welt, die geprägt ist von fürsorglicher Zuwen-dung und von heilsamer Begrenzung. Geprägt von einem inneren Zusam-menhalt, der allen Widerfahrnissen des Lebens erfolgreich entgegensteht. Eine Welt frohmachender Romantik in einer oft so unheiligen und unbarm-herzigen Wirklichkeit.
Nicht ohne Grund ist das von Gott abgeleitete Bild vom Hirten dann auch das Urmodell des verantwortlichen kirchlichen Amtsträgers gewesen. Der Gemeindehirte. Der Pastor. Derjenige, der sich unter Hintenanstellung aller persönlicher Präferenzen zum Fürsprecher derer macht, die nicht mehr wei-terwissen und denen Unrecht geschieht. Das Bild vom Hirten – lange Zeit war es so etwas wie das akzeptierte Modell verantwortlichen kirchlichen und seelsorgerlichen Handelns.
Als Leitungsmodell stand es aber von Anfang an immer zugleich auch in Konkurrenz. Seit den Tagen, in denen Mose von seinem Schwiegervater den Rat erhalten hatte, andere Menschen mit in die Verantwortung einzubinden – seit der Erfahrung, dass Gott seinen Geist doch wesentlich großzügiger und strukturell sehr wohl sinnvoller über seine Schöpfung ausgießt als es alles Machthaber dieser Erde wahrhaben wollten – seit dieser Zeit hat sich neben dem Modell des Hirten das der gemeinschaftlichen Leitung etabliert. Synoden und Konzile sind seit der Zeit der alten Kirche zum Symbol dafür geworden, dass Gottes Wahrheit sich gemeinschaftlich erringen und schen-ken lässt. Und dass der Geist Gottes nicht einmal Angst davor hat, sich seg-nend auf eine Mehrheitsentscheidung zu legen.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich meine nicht, dass sich Wahrheit und auch Recht und Gerechtigkeit einfach per formalem Mehrheitsentscheid gleichsam produzieren und herstellen lassen. In diesem Sinn sind Synoden immer mehr als Parlamente. Und gute evangelische Theologie hat zwar eine Affinität zu demokratischen Entscheidungsmechanismen. Sie geht aber kei-neswegs in ihr auf.
Allerdings glaube ich sehr wohl, dass gerade in einem synodalen Entschei-dungsprozess Leitung der Kirche aus dem Geist des Evangeliums geschieht. Und gerade in dieser Hinsicht sollten sie als Synodale, als alterfahrene oder als neugewählte, ihre Aufgabe keineswegs gering schätzen. Selbst dann nicht, wenn scheinbar Selbstverständliches oder auch Kleindimensioniertes zur Beratung ansteht. Jede noch so große Wahrheit bricht sich am Ende in den Alltäglichkeiten des Lebens. Nur wenn sie ihr Licht auch in die letzten Risse und Spalten scheinen lässt, ist sie wirklich von Bedeutung.
Die prägende Formel vom Guten Hirten und die heilsame Einsicht in Ent-scheidungsfähigkeit der ganzen Gemeinde – ist das über ein Konkurrenz-verhältnis hinaus nicht auch ein Widerspruch? Ist „alle Macht für alle“ das neue Motto, dass das alte, dass nämlich der Herr mein Hirte ist, überbietet?
Können auch wir „Synode für alle“ auf unsere Protokolle und Briefköpfe schreiben. Uns anbieten als „die Alternative“. „Anders zu sein“ und anders zu denken ist uns ohnedies aufgetragen. Und dass wir gerade als Synode offen denken und erfahren handeln, wer wollte dies ernsthaft bestreiten! Werden uns also demnächst von den Agenturen des Freiburger OB-Wahlkampfs die Kosten für die Fremdnutzung von deren Logos in Rechnung gestellt?
Ich bin sicher – die Slogans der vier haben wir gar nicht nötig – zu groß ist der Vorrat, aus dem wir selber schöpfen können. Allerdings müsste uns die Frage des Verhältnisses synodaler Entscheidungen und dem Leiten im Sinne des Bildes vom Hirten – vom guten Hirten - durchaus beschäftigen.
Problematisch ist tatsächlich die Übertragung des Bildes vom Hirte sein Got-tes auf einzelne kirchliche Amtsträger. Der Webfehler dieses Ansatzes liegt in der Bewertung, besser der einseitigen Überbewertung des pastoralen Amtes – theologisch gesprochen in einer illegitimen Inanspruchnahme der Christologie für die Ämterlehre.
Unbestritten, ja sogar zentral, dass sich das Hirtesein Gottes widerspiegelt in der Bedeutung Christi für die Kirche. Zurecht wird uns dies der Wochen-spruch für die kommende Woche in Erinnerung rufen, in dem der Christus des Johannes-Evangeliums von sich sagt: Ich bin der gute Hirte.
Aber die Platzhalter des Hirten Christus sind nicht die Pfarrer. Auch nicht Pfarrerinnen und Pfarrer. Es ist die Gemeinde in der Vielzahl der ihr von Gott geschenkten Gaben. Darum gibt es keine evangelischen Laien, auch wenn uns das zunehmend eingeredet wird. Und auch keine evangelischen Priester. Hier steht ein zentrales Gut des evangelischen Glaubens zur Disposition. Und nicht ohne Grund ist die Frage nach den kirchlichen Ämtern die große ökumenisch strittige Frage geblieben.
Das Hirtin- und Hirtesein der Pfarrerinnen und Pfarrer ist ein mögliche Ent-sprechung zum Hirtesein des guten Hirten. Aber keine exklusive. Alle haben Anteil daran. Wir alle sind in die Pflicht genommen. Gemeindediakone und Sekretärinnen. Organisten und Chorleiterinnen. Hausmeister und Sekretä-rinnen. Religionslehrerinnen und Sozialarbeiter. Um nur einige unserer Be-rufsbilder zu nennen. Und dann eben auch sie alle als Synodale. Dass unse-re Einführungsagende keine eigene Form für die Einführung von Synodalen kennt, halte ich deswegen durchaus für ein beklagenswertes Defizit. Hier besteht ohne Zweifel Nachholbedarf!
Synodaler Dienst ist Hirtinnendienst und Hirtendienst. Darin liegt seine Verantwortung. Darin liegt seine Hoffnung und seine Ermutigung. Darin liegt aber auch die Gewissheit, dass wir nicht ohne Gottes Geist sein werden in dem, was wir beraten und bedenken. In dem, was wir entschei-den und beschließen. In dem, wofür wir unsere Stimmen erheben für dieje-nigen, die mundtot gemacht werden von ihren Mitmenschen. Und in dem man ihnen beides vorenthält. Leben unter gesicherten Verhältnissen und unter einem Dach über dem Kopf. Menschenwürdige Arbeit und ein Frieden in Gerechtigkeit. Jeder Blick in die Zeitung müsste uns Synodale täglich neu zu einem mutigen und wegweisenden Wort verlocken. Synodaler Dienst ist Hirtinnendienst und Hirtendienst, habe ich eben gesagt. Und Hirtendienst heißt Wegweisung geben und Schutz gewähren. Durch Zeichen der Hoff-nung. Und Worte des Friedens. Synodaler Dienst ist Hirtinnendienst und Hirtendienst.
Tüchtig zum Guten habe Gott uns gemacht – so hörten wir’s eingangs im Predigttext für übermorgen. Tüchtig zum Guten zu tun seinen Willen. Und ich bin sicher, dass Gott seine Möglichkeiten nutzt, wenn er in uns schafft, was ihm gefällt durch Jesus Christus, um noch einmal die Sprache des Heb-räerbriefes aufzunehmen. Unsichtbar ist dieser Christus als Mitynodaler un-ter uns wirksam. Durch Gottes Möglichkeiten in uns sei ihm Ehre von Ewig-keit zu Ewigkeit. Amen.