FEIER DER CHRISTNACHT
GOTTESDIENST ZUR FEIER DER CHRISTNACHT
IN DER MARIA MAGDALENA GEMEINDE

24.12.2003
Weihnachten in Gegenrichtung

Wo Bewegung entsteht, da muß zugleich mit der Gegenbewegung gerechnet werden. Heraus aus der Mitte. Die drin sind im Stall, die machen sich auf; halten es nicht länger aus. Weil sie sich nicht vereinnahmen lassen wollen. Weil sie die Symmetrie der Barmherzigkeit im Stall nicht länger aushalten. Weil der Impuls der Veränderung ihre Lebensbahnen durchkreuzt.

Hört darum, wie diese Geschichte auch weitergehen könnte – ja, wer weiß! – sogar längst weitergegangen ist und immer noch weitergeht. Hört jetzt hinein in die andere Weihnachtsgeschichte, in die Geschichte von der Weihnacht in Gegenrichtung:

Ein roter Teppich, der eilends im Stall ausgelegt wurde, verdeckte die letzten Grasnarbe. Unruhig scharrten Ochs und Esel auf dem ungewohnten Untergrund, ehe sie der Geruch von frischem Heu in den Nachbarstall lockte.

Die neu eingebaute Klimaanlage sorgte für eine angenehme Stalltemperatur. Doch die Hirten sehnten sich nach frischer Luft und kehrten zu ihren Schafen zurück.

Als der Gabentisch zusammenzubrechen drohte unter der Last der unzähligen Geschenke, nahmen die drei Weisen Gold, Weihrauch und Myrrhe heimlich wieder an sich.

Aus den Lautsprechern tönte leise das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“, so dass die Engel ihren Gesang einstellen konnten.

Unter den ununterbrochen hereinströmenden Besuchern machte sich eine behagliche Atmosphäre breit. Begeisterte Architekten bahnten sich einen Weg durch die Menge, um den Bauhandwerkern ihre Umbaupläne zu erläutern. Medienvertreter berechneten ungeahnte Auflagenhöhen und Zuschauerquoten.

Niemand bemerkte, wie die Mutter mit ihrem weinenden Kind den Stall verließ.


Musikalische Meditation

Weihnachten ohne die Hirten

Eine Weihnacht ohne die Hirten – das geht nicht. Das ist keine Weihnacht. Wenn die Hirten sich zurückziehen aus dem weihnachtlichen Geschehen, dann geht weit mehr verloren als nur ein Stück Hirtenromantik. Ganz abgesehen davon, daß ihr Leben unter freiem Himmel und Auge in Auge mit der tagtäglichen Gefahr ohnedies alles andere als romantisch war.

Kaum eine Krippenspiel oder eine Weihnachtserzählung, die auskommt ohne die Hirten. Wenn wir sie wegdenken aus dem Ensemble der weihnachtlichen Hauptdarsteller, dann fehlt der Anknüpfungspunkt für unsere eigene Verstrickung in das weihnachtliche Geschehen. Die Hirten sind unsere Platzhalter. Sie stehen für die Menschen, deren Leben Mühe ist und Arbeit und deren Erwartungshorizont sich von Tag zu Tag ein weiteres Stück verfinstert. Mit wirklich Großem ist nicht mehr zu rechnen. Menschen sind das, für die wird es am Ende dennoch hell: mitten in der finsteren Nacht.

Den Hirten gilt die Botschaft der Engel: „Euch ist heute der Retter geboren!“ Sie sind die ersten, die sich auf den Weg machen, die sich einlassen auf die unerhörte, die noch nie gehörte Botschaft.

Wir nähern uns dem Stall nicht selten in der Meinung, das Kind in der Krippe hätte uns nötig; es sei darauf angewiesen, daß wir ihm das Leben ermöglichen – und nicht umgekehrt. So verraten wir den Hirtenanteil, den wir in uns tragen. So verhindern wir, daß wir getroffen werden können von etwas bahnbrechend Neuem. Lassen wir die Hirten im Stall und gesellen uns ihnen zu – damit es hell wird auch in unserem Leben.

EG 48,1-3 : Kommet, ihr Hirten

Weihnachten ohne die Weisen

Weihnachten ohne die Weisen – das geht schon eher. Zumindest bei uns. Der große Tag der königlichen Sterndeuter kommt doch ohnedies erst in zwei Wochen. Aber auch am 6. Januar ist Weihnachten. Sogar mit dem älteren Recht. Auch hier bei uns in Freiburg in den weihnachtlichen Feiern orthodoxer Christen.

Die Magier lehren uns, die Zeichen der Zeit recht zu deuten. Wo wir sie aus dem Stall vertreiben, da entschwindet die Weihnacht in die Ferne der Beliebigkeit. Irgend ein Kind, an irgend einem Ort geboren vor mehr als 2000 Jahren – was geht uns das an?

Die himmelskundigen Sterndeuter weisen uns auf die Mitte der Zeit. Seit der Geburt dieses Kindes ist jedes Jahr ein Jahr des Herrn. Anno Domini – im Jahr des Herrn: auch noch 2003 Jahre danach. Ihre Geschenke sind königliche Geschenke. Keine wohlfeilen Konsumartikel. Sie anerkennen die Würde dessen, für den sie gedacht sind. Das Kind in der Krippe überragt die Throne der Welt.

Zum Schenken wollen sie uns verleiten. Aber nicht aus purer Berechnung oder reiner Gewohnheit. Weihnachtliches Schenken entspringt – recht verstanden – der Erfahrung eigenen Beschenktseins. Als Beschenkte wollen wir Anteil geben. Das uns Zugedachte nicht für uns behalten. Wo wir die Weisen aus dem Stall vertreiben, verkommt unser Geschenk zum bloßen Tauschobjekt. Da kommt unser „Ich gebe, damit du gibst“ ans Ende.

Schenken wir – aus der Tiefe unseres Herzens. Zeit füreinander. Ein wahrnehmendes Ohr. Ein Wort, das aufbaut. Eine Umarmung, die Spannungen löst. Beschenken wir uns mit wahrhaft weisen Geschenken. Damit es Weihnachten wird und Weihnachten bleibt.

EG 551,1-3: Stern über Bethlehem

Weihnachten ohne die Engel

Weihnachten ohne die Engel – vorstellbar ist das nicht. Im Gegenteil. Die Engel haben gewissermaßen Großeinsatz schon lange vor Weihnachten. Von Gabriel hören wir, der Maria die Geburt ihres Kindes ankündigt. Vom Engel des Herrn wird berichtet, der Josef davon abhält, sich aus dem Staub zu machen; der ihm aber später den lebenserhaltenden Rat gibt, mit Frau und Kind in Ägypten um Asyl nachzusuchen, der ihn am Ende aber auch darüber informiert, daß sie ohne Gefahr für Leib und Leben wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Und dann nicht zu vergessen die versammelten Engelscharen, die die Hirten aus ihrer nächtlichen Ruhe herausreißen: „Alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen.“ Nein, ohne die Engel kann es nicht Weihnachten werden. Ohne die Engel kann Weihnachten nicht einmal beginnen.

Die Engel sitzen an der entscheidenden Stelle. Nicht nur im Bühnenbild der Weihnacht. Auch in unserem Leben. Engel sind eine Bedingung unseres Überlebens. Nur sie sind noch in der Lage, den Mächtigen den Floh des Friedens ins Ohr zu setzen. Nur die Engel können uns die Augen öffnen, wenn die sichtbare Welt uns den Blick verstellt auf jene so ganz andere Welt, wie Gott sie haben will. Nur die Engel bringen jene Töne zum Klingen, die sonst nicht mehr zu hören sind in unserer lauten Art, Weihnachten zu feiern. Von diesen Engeln können wir nicht genug haben.

Zum Amt der Engel sind wir alle berufen. Unser Wort in Gottes Ohr und dann – so hoffen wir - im Herzen der Menschen. Mehr braucht es nicht, um ein Engel zu sein. Doch mit weniger ist die Weihnacht eben auch nicht zu haben.

EG 24,1-3: Vom Himmel hoch

Weihnachten ohne das Kind

Weihnachten ohne das Kind in der Krippe – das geht schon gar nicht! Dieses Kind ist doch im Zentrum des Geschehens. Auf das Kind in der Krippe kommt es doch an vor allem anderen.

Doch Weihnachten mit einer Krippe, die leer ist – das kann nicht nur, das muß gehen. Nur wenn die Krippe leer wird, kommt Weihnachten überhaupt ans Ziel. Der liebe Gott zum Anfassen, zum auf den Arm nehmen – das himmlische Kind als Freizeitvergnügen, als Dekoration, als Zierrat unserer eigenen Machwerke – in einem Stall, den wir ihm hergerichtet und komfortabel gemacht haben nach unseren eigenen Plänen – das käme unseren Wünschen sehr entgegen. Das könnte uns so recht passen.

Doch: Gott wird Mensch! – nicht himmlischer Prinzregent. Gott residiert nicht – auch damals nicht im Stall von Bethlehem. Gott gibt keine Audienzen, aber er lässt sich vernehmen. Er gibt sich nicht die Ehre, aber lädt uns ein, ihm die Ehre zu geben: „Ehre sei Gott in der Höhe!“Das ist der eigentliche, der tiefere Auftrag der Engel an uns. Dass Gott aus sich heraus geht – und mitten hinein in diese Welt – so wie sie ist; daß Gott sich uns entzieht und am Ende sogar die Krippe leer zurückbleibt, das erst eröffnet uns den Weg, die Weihnacht in unser Leben zu ziehen. Und uns über das Fest der Weihnacht zu freuen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.