ERSTANDEN!

16.04.2006
Ostern kommt und dazwischen, liebe Gemeinde. Ostern wird es ganz ohne unser Zutun. Und nicht selten im Widerspruch gegen den Rhythmus unseres Lebens. Und gegen die Prioritäten, die unsere Entscheidungen und unser Handeln bestimmen. Ostern geschieht gewissermaßen. Wir können österliche Erfahrung machen. Aber wir können dieses Festes nicht habhaft werden. Es nicht einfach auf Dauer stellen.

Leben, das sich ereignet. Mitten unter uns. Ganz alltäglich. Und doch nicht so, dass wir es dingfest machen können. Aber doch so, dass es unser bisheriges Leben verändert. Dass es uns herausreißt aus den vertrauen Bahnen. Und den überkommenen Gewohnheiten. Das ist Ostern.

Zeichen dieses so ganz anderen Lebens finden sich in unserer Mitte. Unübersehbar. Und doch zugleich auch Anlass unseres Nachfragens. Sie werden sich gefragt haben, was sich da ereignet und verändert hat inmitten der gewohnten Anordnung unserer vertrauten Stühle.

Eine, die dazu Profundes sagen kann, ist Frau Ruth Loibl. Und darum möchte ich sie, liebe Fau Loibl, jetzt ganz herzlich in unserer Mitte begrüßen. Als osterkundiger Gast. Und als eine Frau, die Zeichen setzt.

Mit dem heutigen Sonntag beginnt auch in unserer maria magdalena Kirche die Altarkunstaktion der Evangelischen Erwachsenenbildung und des Evangelischen Kirchenbezirks. Vielleicht haben sie längst einen der Werbe-Flyer mitgenommen. „Auferstanden!“ So lautet das Thema der dritten Phase dieser Kunstaktion. Das Fest der Ostern im produktiven Dialog mit der Kunst. Ich möchte sie, liebe Frau Loibl, einladen, uns den Blick zu weiten für die österliche Installation, die seit gestern mitten in diesem Kirchenraum ihren Platz gefunden hat.

- Beitrag Frau Loibl –

Musikalisches Zwischenspiel (Keyboard/Trompete(

Bücher, die deuten, finden sich in den Taschen auf der Rückseite der Westen. Bücher, die in einer ganz persönlichen individuellen Weise die Botschaft der Ostern ins Leben ziehen. Solche Bücher werden nicht erst heute geschrieben. Einer der großen biblischen Erfolgrautoren ist der Evangelist Lukas. Nicht wegzudenken schon an Weihnachten mit seiner unnachahmlichen Schilderung der Ereignisse im Stall von Bethlehem. Auto aber auch der Ostergeschichte, die wir vorhin als Evangelium gehört haben.

Lukas ist gleich mit zwei Büchern auf der Bestsellerliste der Bibel vertreten. Mit seinem Bericht vom Leben Jesu. Seinem Evangelium. Und mit seiner Darstellung der Ausbreitung der Kirche in den ersten Jahren nach Karfreitag und Ostern. Mit der so genannten Apostelgeschichte. Beide Bücher sind einem uns nicht weiter bekannten Theophilus gewidmet. Seinem Förderer und Sponsor. Auch in dieser Hinsicht war Lukas durchaus schon modern.

Am Beginn seines zweiten Buches beschreibt er genau den Beginn der Gastleibzeit Jesu. Jener Phase also, auf die Frau Loibl mit ihrer Installation anspielt. Jesus bleibt präsent. Aber doch in anderer Weise. Er begegnet seinen Freundinnen und Freunden. Aber ganz anders als vorher. Er ist zum Greifen nah. Und doch nicht mehr greifbar. Hören wir also, wie die Geschichte der Ostern weitergeht:

Das erste Buch habe ich geschrieben, lieber Theophilus, über all das, was Jesus von Anfang an tat und lehrte bis zu dem Tag, an dem er aufgenommen wurde, nachdem er den Aposteln, die er erwählt hatte, durch den heiligen Geist Weisung gegeben hatte. Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt. Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Da kehrten sie nach Jerusalem zurück.

Mit diesem Text eilen wir den Osterereignissen deutlich davon und voraus. Am Beginn seines zweiten Buches schildert der biblische Schriftsteller Lukas das Ereignis der Himmelfahrt. Mit dieser Himmelfahrt ist eine ganz besondere Phase im Leben Jesu abgeschlossen. Jene 40 Tage, in denen, wie Lukas berichtet, Jesus seinen Freundinnen und Freunde immer wieder erschienen ist. Jene Phase zugleich, der sich Frau Loibl mit ihrer Installation angenommen hat. Gast steht nicht ohne Grund aus den Westen als Schriftzug herausgeschnitten.

Ein Gaststatus ist etwas ganz besonderes. Wer irgendwo zu Gast ist, wird mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt. Der Gast wird erwartet, schon ehe der da ist. Und wenn er da ist, steht er nicht selten zunächst einmal sogar im Mittelpunkt. Aber er gehört nicht dazu. Hat da, wo er Gast ist, das Gastrecht. Aber nicht das Heimatrecht.

Vielleicht ist es gut, wenn wir in dieser Kirche jetzt für einige Wochen Gaststühle haben. Manchmal reicht das völlig aus. Wenn ich zwar gerne hier bin, mich aber irgendwie fremd fühle. Wenn mir Gott fremd bleibt. Wenn mein Glaube brüchig ist. Wenn ich mir keinen Rem machen kann, auf mein Leben. Oder das Leben derer, die mir wichtig sind. Es ist gut, wenn ich auch in der Kirche einmal auf Distanz gehen kann.

Der Gaststuhl ist womöglich der ehrlichste Stuhl in der Kirche. Gerade an Ostern. Wenn wir hören, da habe einer dem Tod getrotzt. Sei ihm entronnen. Sogar für immer. Unsere Lebensweisheit lautet anders. Wir sagen: Es ist noch keiner zurückgekommen. Und wenn einer oder eine doch zurückkam, so wie in den zahlreichen Schilderungen der so genannten Nahtoderfahrungen, dann ist der Tod nur aufgeschoben. Aber nicht aus dem Leben verbannt.

Ostern bricht mit der Lebensweisheit des „Es ist noch keiner zurückgekommen!“ Radikal und grundsätzlich. Nicht etwa, weil da einer wieder zurückgekommen wäre. Nein, auch der Auferstandene kommt nicht wirklich zurück. Das ist der Sinn der biblischen Berichte von den Erscheinungen. Der Lebendige ist lebendig in völlig neuer Qualität. Nein, er kam nicht zurück. Voraus in den Ursprung des Lebens selber. Voraus in die Wirklichkeit Gottes, Fülle des Lebens ohne Anfang und ohne Ende.

Er ging uns voraus. Und er öffnet uns die Tür, diese seine Möglichkeit als Möglichkeit auch für uns zu begreifen. Der Tod ist immer noch die alles zersetzende Wirklichkeit unseres Lebens. Doch seit dem Ostermorgen nur noch mit Vorbehalt. Gleichsam nur noch eine Möglichkeit im Übergang. Weil wir jetzt schon Gastrecht haben an der Lebendigkeit Gottes. Weil der Tod noch mitredet, aber nicht mehr das letzte Wort hat.

Der Auferstandene ist uns voraus. Aber nicht uneinholbar. Er ist der Präzedenzfall dieses neuen Lebens. Dieses Lebens, das nicht mir dem Tod endet. Sondern durch de Tod hindurch Leben bewahrt. Jede Träne und jedes Lachen bleiben aufbewahrt bei Gott. Jede Hoffnung und jede Enttäuschung finden im Horizont Gottes ihr Ende in der Grenzenlosigkeit der Liebe, die wir Gott nennen. Ja, genau das macht die Wirklichkeit Gottes aus, dass unsere Kategorien von Erfolg und Misserfolg, von oben und unten, ja selbst die von tot und lebendig an ihr Ende kommen.

Noch sind wir Gäste am Tisch derer so Hoffenden und Liebenden. Aber längst können wir die Geschichten der tagtäglichen Auferstehungserfahrungen, die Geschichten des Protestes gegen den Tod, in die Bücher unseres Lebens schreiben. Am Ende werden wir am Tisch des Leben nicht länger nur Gast sein. Dann werden wir feiern, dass wir nicht zurückkehren müssen. Sondern dass wir am Ziel sind. Weil Gott uns Anteil gibt an seinem Leben ohne Anfang und Ende. Wer will uns hindern uns, das Fest des Lebens nicht schon heute zu feiern! Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.