PREDIGT ÜBER LUKAS 7,11-17
GOTTESDIENST 60 JAHRE MARKUSKIRCHE
AM 15. SEPTEMBER 2013 (16.S.N.TR.) IN MANNHEIM

15.09.2013
Am 6. September 1953 wurde ihre Emmauskirche durch Landesbischof Bender eingeweiht. 60 Jahre ist ihre Emmaus-Kirche also jetzt alt. Darum möchte ich Ihnen zuallererst zu diesem kleinen Jubiläum gratulieren.

60 Jahre ist keine biblische Zahl. Es sei denn, wir sehen in dieser Zahl 60 die sechs Schöpfungstage abgebildet. Dann käme mit dem jetzt beginnenden siebten nun das sabbatliche Jahrzehnt. Das Jahrzehnt der Ruhe und des Feierns.

Von Herzen gerne würde ich ihnen das auch wünschen. Aber sie wissen alle, dass sie die Hände jetzt nicht zehn Jahre in den Schoß legen können. Die Gemeindearbeit muss weitergehen. Aber sie haben auf Tage der Ruhe und des Feierns auch nicht 60 Jahre warten müssen. Jeder Sonntag und jeder Gottesdienst erinnert uns an diesen siebten Schöpfungstag.

Heute also feiern sie diesen 60. Geburtstag mit einem Gemeindefest. Und sie haben recht damit, dass sie auch die schönen Anlässe feiern. Schließlich erinnere ich mich auch noch gut an den 9. Januar 2011, als wir mit allem, was auf dem Altar stand, von der Stephanus-Kirche hierher gezogen sind. Das möchte ich auch an diesem Festtag nicht verschweigen.

An diesem 6. September 1953, dem Tag der Einweihung dieser Emmauskirche, war Bundestagswahl – wie heute in einer Woche. Damals wurde der zweite Bundestag gewählt. Dieses Mal ist es schon der 18. Bundestag. Damals waren die Ereignisse vom 17. Juni 1953, die großen Protestdemonstrationen in der DDR, noch in ganz frischer Erinnerung. In der Wahl damals ging es ging vor allem darum darum, die Folgen der Ereignisse der zurückliegenden 20 Jahre, der Zeit ab 1933, aufzuarbeiten.

Das war – wenn auch sicherlich ganz anders – auch bei der Einweihung dieser Kirche ein Thema. Denn geplant hatten die Verantwortlichen der Kirchengemeinde zusammen mit dem Architekten Max Schmechel diese Kirche schon viel früher. Der Krieg hatte dann einen Strich durch alle Pläne gemacht. Wie Kriege das immer machen. Bis heute. Und so wurde an diesem 6. September mit der Einweihung dieser Emmauskirche ein Projekt beendet, das lange auf seine Realisierung hatte warten müssen.

Mit dem Namen Emmaus hatten die damals Verantwortlichen eine programmatische Entscheidung getroffen. Sie setzten auf die Botschaft des Lebens. Sie gaben mit diesem Namen der Erinnerung an die Osterereignisse einen sichtbaren Ort. Im kleinen Örtchen Emmaus, zwei Gehstunden von Jerusalem entfernt, wurde Kleophas und einem anderen Jünger die Augen geöffnet. Beim Brechen des Brotes erkennen sie den, um den sie eben noch getrauert hatten. Und sie gestehen sich ein: Brannte nicht unser Herz, als er mit uns geredet hat? Wir haben das ja vorhin wieder eindrücklich gehört.

Wie sich die Ereignisse doch gleichen! Genau dafür haben wir doch unsere Kirchen. Nichts anderes soll eine Kirche sein als ein Ort, an dem unser Herz brennt, weil Gott mit uns redet. Ein Ort soll sie sein, an dem uns die Augen geöffnet werden. Ein Ort, an dem wir den Auferstandenen beim Brotbrechen erkennen – wie nachher bei der Agapefeier. Eine Kirche soll ein Ort sein, an dem sich uns der Sinn und die Bedeutung unseres Lebens noch einmal ganz neu erschließen. Kirchen sind Emmaus-Orte. Und darum trägt ihre Kirche diesen Namen völlig zu recht.

Der Predigttext für diesen heutigen Sonntag, den 16. nach dem Trinitatisfest, ist eigentlich auch eine Emmausgeschichte, auch wenn sie nicht in Emmaus spielt. Sondern im kleinen Städtchen Nain, ganz im Norden von Israel. Auch in dieser Geschichte geht es darum, dass der Tod erkennen muss, dass er ausgespielt hat. Auch in dieser Geschichte werden den Menschen die Augen geöffnet.

Ich lese aus Lukas 7 die Verse 11-17:

Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr. Und als sie der Herr sah, jammerte sie ihn und er sprach zu ihr: Weine nicht! Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter. Und Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht. Und diese Kunde von ihm erscholl in ganz Judäa und im ganzen umliegenden Land.

Wie sich die Geschichten doch gleichen! Da ziehen nicht nur zwei Männer mit enttäuschten Hoffnungen ihren Weg wie die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Hier sehen wir gleich einen ganzen Trauerzug. Eine Dorfgemeinschaft begleitet eine Frau aus ihrer Mitte. Sie begleitet diese Frau schon zum zweiten Mal. Sie haben zusammen mit ihr ihren Mann begraben. Jetzt ist auch noch ihr einziger Sohn gestorben.

Ein ganzes Lebensgebäude ist da in sich zusammengestürzt. Bei den beiden Jüngern auf dem Heimweg von Jerusalem nach Emmaus. Bei dieser Witwe auf dem Weg zum Friedhof. Der Tod ist der unbarmherzigste Gleichmacher, dem wir Menschen ausgesetzt sind. Der Tod ist der kleinste gemeinsame Nenner, der uns Menschen miteinander verbindet.

Walter Hollenweger, ein bekannter, hochbetagter schweizer Theologe hat einmal folgendes erzählt. Er hatte sich eine Gruppe von Zweiflern, Skeptikern und Atheisten eingeladen, um mit ihnen einen Gottesdienst vorzubereiten. Zuerst wollte man sich auf das Thema einigen. Der Theologe erwartete einen mühsamen Prozess. Doch das ging ganz schnell vor sich. Alle wollten einen Gottesdienst zum Thema „Ist mit dem Tod alles aus?“ Auf die Frage, warum sie gerade dieses Thema gewählt hatten, gaben sie zur Antwort: Das ist doch die einzig offene Frage. Alle anderen Fragen können wir selber beantworten.

Was kommt nach dem Tod Jesu – so haben sich die Emmaus-Jünger gefragt. Was kommt nach dem Tod meines Sohnes? So hat seine Mutter gefragt. So fragen die, die sie zum Friedhof begleiten. Was kommt nach dem Tod unserer Lieben? Was kommt nach meinem eigenen Tod? So fragen wir immer wieder selber.

Der Predigttext berichtet, wie Jesus reagiert. Berichtet wird:

Jesus tritt näher heran. Er wahrt also nicht den Abstand.

Jesus berührt. Er hat also keine Abscheu vor den Menschen.

Jesus spricht. Er wählt also Formen der intensiven Kommunikation. Er hält sich also nicht bedeckt.

Und Jesus gibt den Sohn seiner Mutter zurück. Er stellt also die zerbrochene Situation wieder her.

Herantreten. Berühren. Sprechen. Wiederherstellen Das alles sind heilende Akte. Jesus heilt also eine zerbrochene Lebenssituation Er stellt verlorengegangenes Leben wieder her.

Nichts anderes soll auch in unseren Kirchen geschehen. Die Bruchstücke des Lebens werden neu in ein Ganzes verwandelt. wieder hergestellt. Zerbrochene Lebenssituationen werden wieder heil.

Und die Menschen spüren: Hier ist etwas Großes geschehen. Hier wird unser normaler Lebenshorizont gesprengt. Mit zwei Sätzen bringen sie ihre Erfahrung zum Ausdruck. Zum einen sagen sie: „Ein großer Prophet hat sich unter uns zu erkennen gegeben.“

Propheten sind keine Wahrsager. Propheten sind Deuter der Gegenwart. Sie nehmen wahr, was ist. Und legen mit mutigen Worten offen, was die Folgen sind. Sie sagen nicht voraus. Sie machen Wirklichkeit transparent. Sie warnen und mahnen. Sie suchen abzuwenden, was an Unheil droht.

Propheten weisen auf Gott hin. Aber die Menschen in Nain spüren: Hier ist mehr als ein Prophet. Hier haben wir doch etwas wahrgenommen von der Leben schaffenden Wirklichkeit Gottes selber. „Gott hat sein Volk besucht“, sagen sie darum. Sie wählen dieselben Worte, die Zacharias gesungen hat, als sein Sohn Johannes geboren wird. „Gott hat sein Volk besucht.“

Wo immer der Tod in die Schranken gewiesen wird, leuchten Spuren der Gottesgegenwart unter uns auf. Gott hat sein Volk besucht. Das könnten doch auch unsere Worte sein. Das müsste doch auch unsere Erfahrung beschreiben, wenn wir in einer Kirche miteinander Gottesdienst feiern. Gott hat sein Volk besucht. Das haben auch die beiden Jünger Jesu in Emmaus gespürt, als sie den erkennen, der mit ihnen das Brot bricht.

Gott besucht sein Volk. Aber er lässt sich nicht dingfest machen. Jesus gibt der Frau ihren Sohn zurück. Und zieht mit seinen Freunden wieder seiner Wege. Die beiden Jünger in Emmaus finden sich alleine vor, sobald sie erkannt haben, wer ihr Herz zum Brennen gebracht hat. Alle, die Gottesdienst feiern in dieser Kirche sind wieder auf sich selber gestellt, sobald sie sich auf den Heimweg machen. Aber der Besuch wirkt nach. Der Besuch verändert.

Wenn Gott sein Volk besucht, führt das zu einem neuen Blick. Und es weitet den Horizont unserer Hoffnung. Der Tod ist nicht aus der Welt. Aber er ist nicht mehr die äußerste Grenze. Die Mächte des Bösen sind nicht für immer gebannt. Aber sie haben nicht mehr das letzte Wort.

Das letzte Wort hört sich anders an. „Die Kunde von ihm erscholl im ganzen Land.“ Das haben wir im Predigttext gehört. Das letzte Wort haben die Gesänge des Lebens. Das letzte Wort behalten diejenigen, die nicht verstummen, als sie die Spuren Gottes erkennen. Das letzte Wort haben unsere Lieder des Dankes und des Staunens.

Wir leben noch lange nicht in der Zeit der letzten Worte. Zuviel an anderen Klängen ist noch beigemengt. Zuviel an Klagen über erfahrenes Unrecht. Zuviel an Bitterkeit über ausstehende Gerechtigkeit. Zuviel an Trauer über ungerechten Tod.

Aber jeder unserer Kirchen – auch diese Emmauskirche - sie soll ein Ort sein, an dem wir eine Ahnung bekommen, wie es sein könnte, wenn Gott das letzte Wort hat. Jeder Gottesdienst soll ein Ort sein, an dem wir feiernd vorwegnehmen, wie Gottes Gegenwart diese Welt verwandelt.

Der junge Mann aus Nain, er hat sein Leben nicht für immer zurückgewonnen. Irgendwann wird er seinem Tod nicht mehr entronnen sein. Aber er hatte zuvor die Erfahrung gemacht, dass das Leben am Ende den Sieg davonträgt.

Die Menschen aus Nain, sie haben die Erfahrung gemacht, dass Gottes Gegenwart ihr Leben verändert.

Die beiden Jünger in Emmaus - sie sind ganz nah dran an einem Leben, dem der Tod nichts mehr anhaben kann. Sie haben den in ihrer Mitte erkannt, der ihr Leben gänzlich neu ausrichtet. Und der ihr Herz zum Brennen bringt.

Aber das Letzte steht noch aus. Dann, wenn wir auch keine Kirchen mehr brauchen, weil Gott alles in allem sein wird. Dann wenn unsere Lieder davon singen, dass Gott uns nicht nur besucht, sondern fürimmer Wohnung unter uns genommen hat.

Vorweggenommen feiern wir Gottes Gegenwart in diesem Gottesdienst – wie die Jünger in Emmaus. Vorweggenommen lassen wir uns stärken, damit wir uns auf den Weg des Feierns machen können.

Dankbar feiern wir 60 Jahre Emmauskirche. Dankbar sind wir gleich eingeladen, miteinander zu teilen, was uns leben lässt. Dankbar für diesen Ort der alles verändernden Erfahrung: Gott hat sein Volk besucht. In Nain. In Emmaus. Und hier in dieser Emmauskirche. Gott hat sein Volk besucht. In jeder Hütte findet Gott Raum. Das lasst uns feiern heute. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.