Morgen-Andacht über Hebräer 13,3 am 21. Oktober 2015 bei der Tagung der Landessynode
21.10.2015
Liebe Schwestern und Brüder!
Wahrhaftig - am Gedenken besteht kein Mangel! Wenn das Gedenken vor Gott gerecht macht – wir hätten nichts zu befürchten. Wir sind die Generation „Gedenkt!“
Am vergangenen Sonntag haben der Stuttgarter Schulderklärung vor 70 Jahren gedacht. Morgen werden wir der vor 75 Jahren erfolgten Verschleppung jüdischer Menschen nach Gurs gedenken. Und dann in 2 Jahren das ganz große Erinnern: 500 Jahre Reformation. Keine Tagesordnung, auf der dieser Punkt nicht auftaucht. Auch auf dieser Synodentagung. TOP 1 Gedenkt! Und nicht zu wenig.
Wir gedenken uns, so scheint’s – dem Reich Gottes entgegen. Und das nicht erst in diesem Jahr. Paul Gerhardt, Calvin, Melanchthon – um nur einige der Jahrespatrone der letzten Jahre zu nennen. Vor 100 Jahre der Beginn des 1. Weltkrieges. Vor 75 Jahren der Beginn des 2. Dieses Jahr liegt gerade hinter uns. 70 Jahre Kapitulation in diesem Jahr. 25 Jahre deutsche Einheit.
Einen besonderen Anlass des Gedenkens möchte ich heute noch hinzufügen. Einen, der in diesen Tagen Schlagzeilen macht. Und der zugleich heftigen Widerspruch provoziert. Zumindest in unserer Kirche.
Fast zeitgleich zur Eröffnung dieser Synodaltagung wurde am Sonntag in der Christuskirche in Karlsruhe ein Buch vorgestellt. „Möge Gott unserer Kirche helfen!“ – so heißt sein Titel. Der Verfasser Rolf-Ulrich Kunze ist Historiker und arbeitet am KIT in Karlsruhe. Sein Buch befasst sich mit der Geschichte der badischen Landeskirche währen der NS-Zeit.
Wir sind es fast schon gewohnt, dass es da meist nicht allzuviel an Rühmlichem festzuhalten gibt. Doch so schlecht lässt Kunze die badische Kirche nicht davonkommen. Sie sei, neben den drei Kirchen in Hannover, Bayern und Württemberg, als vierte zu den intakten Landeskirchen zu rechnen.
Was heißt das: eine Kirche sei intakt? Wann ist eine Kirche intakt? Zumal in solchen Zeiten wie damals. Wenn sie sich unerschrocken für die Verfolgten einsetzt? Wenn sie mutig mehr Gerechtigkeit einfordert? Wenn sie tapfer den Weg des Widerstandes wählt? Wenn sie ohne Angst um ihre eigene Existenz Leib und Leben riskiert?
All das hat es gegeben in diesen finsteren 12 Jahren der NS-Diktatur. Aber das macht eine Kirche nicht intakt. Intakt meint im Sinne der Historiker: Sie hat sich nicht von der Reichskirche unter Reichsbischof Ludwig Müller vereinnahmen und gleichschalten lassen.
Die badische Kirche hat das im Jahre 1934 zwar zunächst auch gemacht. Aber schon fünf Monate später hat sie diese Bande wieder gelöst. Aus diesem und aus anderen Gründen hat Baden eine Sonderstellung unter den damaligen Kirche inne. Sie bildet einen Sonderfall. Mehr aber auch nicht. Das war die bisher gültige Bewertung.
Kunze sieht das etwas anders. Er rechnet Baden jetzt zu den intakten Kirchen dazu. Das ist kein Persilschein. Das macht Baden nicht zur Kirche im Widerstand. Das verdeckt nicht, dass auch nach der Revidierung der Entscheidung für die Reichskirche weiterhin vieles im Argen liegt. Die zuvor abgeschaffte Landessynode wird nicht wieder eingesetzt. Pfarrer jüdischer Herkunft haben keine Zukunft in der badischen Kirche.
Ist das intakt? Aus der Sichtweise eines Historikers womöglich ja. An der Beziehung zur Reichskirche entscheidet sich alles. Für jemanden, der als glaubender Mensch nach der Bestimmung der Kirche fragt, sicher nein.
Aber womöglich gab es auch damals so etwas wie Momente eines richtigen Lebens im falschen. Weil die Wahrheit kaum die Urteile weiß oder schwarz kennt. Sondern immer nur Abstufungen von Grautönen. Und da ist Kunze schon der Meinung, wir könnten die Graustufen etwas heller wählen. Und aus heutiger Sicht würdigen, dass auch in jenen finsteren Zeiten Wege der Umkehr möglich waren. Und sei’s nur im Unvollkommenen. Und sei’s nur als Fragment.
So macht das Gedenken also durchaus Sinn. Gedenken heißt, die Abstufungen der Grautöne zu überprüfen. Und wenn möglich auch zu korrigieren.
Im Lehrtext zur heutigen Tageslosung wird der Aufruf zum Gedenken mit einem sozialen, wir könnten auch sagen eine diakonischen Handeln in Beziehung gesetzt. Wir haben diesen Satz vorhin schongehört. Und auch gleich einige mögliche Übersetzungen.
Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene! (Hebräer 13,3)
Die Anlässe unseres Gedenkens mögen oft in sich rundenden Jahreszahlen liegen. Der innere Grund unseres Gedenkens ist ein anderer. Wir gedenken, weil wir in Solidarität mit denen verbunden sind, die wir in unsere Gedanken mit aufnehmen. Wir gedenken, weil wir an der Stelle derer stehen könnten, die uns nicht gleichgültig sind.
Weil wir auch Opfer sein könnten. Oder gefangen. Oder auf der Flucht. Paulus bringt das mit den Worten zum Ausdruck: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle anderen mit.“ Wer miteinander verbunden ist in der einen Welt, kann sich nicht abschotten. Oder hinter Stachelzäumen in Sicherheit bringen. Wer verbunden ist durch den einen Leib Christi, wird - im Gelingen wie im Scheitern – seine Schwester und seinen Bruder nicht mehr los.
Wer als Kirche intakt sein will, müsste womöglich heute nachholen, was unsere Altvorderen damals versäumt haben. An Gelegenheiten dafür besteht heute wahrhaftig kein Mangel. Und ich bin fast versucht hinzuzufügen. Gott sei Dank! Amen.
Wahrhaftig - am Gedenken besteht kein Mangel! Wenn das Gedenken vor Gott gerecht macht – wir hätten nichts zu befürchten. Wir sind die Generation „Gedenkt!“
Am vergangenen Sonntag haben der Stuttgarter Schulderklärung vor 70 Jahren gedacht. Morgen werden wir der vor 75 Jahren erfolgten Verschleppung jüdischer Menschen nach Gurs gedenken. Und dann in 2 Jahren das ganz große Erinnern: 500 Jahre Reformation. Keine Tagesordnung, auf der dieser Punkt nicht auftaucht. Auch auf dieser Synodentagung. TOP 1 Gedenkt! Und nicht zu wenig.
Wir gedenken uns, so scheint’s – dem Reich Gottes entgegen. Und das nicht erst in diesem Jahr. Paul Gerhardt, Calvin, Melanchthon – um nur einige der Jahrespatrone der letzten Jahre zu nennen. Vor 100 Jahre der Beginn des 1. Weltkrieges. Vor 75 Jahren der Beginn des 2. Dieses Jahr liegt gerade hinter uns. 70 Jahre Kapitulation in diesem Jahr. 25 Jahre deutsche Einheit.
Einen besonderen Anlass des Gedenkens möchte ich heute noch hinzufügen. Einen, der in diesen Tagen Schlagzeilen macht. Und der zugleich heftigen Widerspruch provoziert. Zumindest in unserer Kirche.
Fast zeitgleich zur Eröffnung dieser Synodaltagung wurde am Sonntag in der Christuskirche in Karlsruhe ein Buch vorgestellt. „Möge Gott unserer Kirche helfen!“ – so heißt sein Titel. Der Verfasser Rolf-Ulrich Kunze ist Historiker und arbeitet am KIT in Karlsruhe. Sein Buch befasst sich mit der Geschichte der badischen Landeskirche währen der NS-Zeit.
Wir sind es fast schon gewohnt, dass es da meist nicht allzuviel an Rühmlichem festzuhalten gibt. Doch so schlecht lässt Kunze die badische Kirche nicht davonkommen. Sie sei, neben den drei Kirchen in Hannover, Bayern und Württemberg, als vierte zu den intakten Landeskirchen zu rechnen.
Was heißt das: eine Kirche sei intakt? Wann ist eine Kirche intakt? Zumal in solchen Zeiten wie damals. Wenn sie sich unerschrocken für die Verfolgten einsetzt? Wenn sie mutig mehr Gerechtigkeit einfordert? Wenn sie tapfer den Weg des Widerstandes wählt? Wenn sie ohne Angst um ihre eigene Existenz Leib und Leben riskiert?
All das hat es gegeben in diesen finsteren 12 Jahren der NS-Diktatur. Aber das macht eine Kirche nicht intakt. Intakt meint im Sinne der Historiker: Sie hat sich nicht von der Reichskirche unter Reichsbischof Ludwig Müller vereinnahmen und gleichschalten lassen.
Die badische Kirche hat das im Jahre 1934 zwar zunächst auch gemacht. Aber schon fünf Monate später hat sie diese Bande wieder gelöst. Aus diesem und aus anderen Gründen hat Baden eine Sonderstellung unter den damaligen Kirche inne. Sie bildet einen Sonderfall. Mehr aber auch nicht. Das war die bisher gültige Bewertung.
Kunze sieht das etwas anders. Er rechnet Baden jetzt zu den intakten Kirchen dazu. Das ist kein Persilschein. Das macht Baden nicht zur Kirche im Widerstand. Das verdeckt nicht, dass auch nach der Revidierung der Entscheidung für die Reichskirche weiterhin vieles im Argen liegt. Die zuvor abgeschaffte Landessynode wird nicht wieder eingesetzt. Pfarrer jüdischer Herkunft haben keine Zukunft in der badischen Kirche.
Ist das intakt? Aus der Sichtweise eines Historikers womöglich ja. An der Beziehung zur Reichskirche entscheidet sich alles. Für jemanden, der als glaubender Mensch nach der Bestimmung der Kirche fragt, sicher nein.
Aber womöglich gab es auch damals so etwas wie Momente eines richtigen Lebens im falschen. Weil die Wahrheit kaum die Urteile weiß oder schwarz kennt. Sondern immer nur Abstufungen von Grautönen. Und da ist Kunze schon der Meinung, wir könnten die Graustufen etwas heller wählen. Und aus heutiger Sicht würdigen, dass auch in jenen finsteren Zeiten Wege der Umkehr möglich waren. Und sei’s nur im Unvollkommenen. Und sei’s nur als Fragment.
So macht das Gedenken also durchaus Sinn. Gedenken heißt, die Abstufungen der Grautöne zu überprüfen. Und wenn möglich auch zu korrigieren.
Im Lehrtext zur heutigen Tageslosung wird der Aufruf zum Gedenken mit einem sozialen, wir könnten auch sagen eine diakonischen Handeln in Beziehung gesetzt. Wir haben diesen Satz vorhin schongehört. Und auch gleich einige mögliche Übersetzungen.
Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene! (Hebräer 13,3)
Die Anlässe unseres Gedenkens mögen oft in sich rundenden Jahreszahlen liegen. Der innere Grund unseres Gedenkens ist ein anderer. Wir gedenken, weil wir in Solidarität mit denen verbunden sind, die wir in unsere Gedanken mit aufnehmen. Wir gedenken, weil wir an der Stelle derer stehen könnten, die uns nicht gleichgültig sind.
Weil wir auch Opfer sein könnten. Oder gefangen. Oder auf der Flucht. Paulus bringt das mit den Worten zum Ausdruck: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle anderen mit.“ Wer miteinander verbunden ist in der einen Welt, kann sich nicht abschotten. Oder hinter Stachelzäumen in Sicherheit bringen. Wer verbunden ist durch den einen Leib Christi, wird - im Gelingen wie im Scheitern – seine Schwester und seinen Bruder nicht mehr los.
Wer als Kirche intakt sein will, müsste womöglich heute nachholen, was unsere Altvorderen damals versäumt haben. An Gelegenheiten dafür besteht heute wahrhaftig kein Mangel. Und ich bin fast versucht hinzuzufügen. Gott sei Dank! Amen.