„EASY LIVING – SORGLOS LEBEN“
PREDIGT ÜBER 1. PETR. 5,5C-11
IM REGIO-GOTTESDIENST IN BRÜHL
AM SONNTAG, DEN 5. SEPTEMBER 2016
- 15. SONNTAG NACH TRINITATIS -
04.09.2016
Liebe Gemeinde! Easy living – sorglos leben! Ein gewagtes Motto für einen Gottesdienst. Gerade in Wochen und an Tagen wie diesen. An Tagen, an denen uns jede Nachrichtensendung mit neuen bedrückenden Meldungen aufschreckt. Easy living – sorglos leben! Das klingt wie der Versuch, vom Lebensgefühl dieser Sommerferienwochen irgendwie einen Zipfel in den Alltag hinüberzuretten. Und in der Tat: Ich bin gerade zwei Tage aus dem Urlaub zurück.
Nur: Das Motto dieses Gottesdienstes ist älter als die Sommerferien. Frau Hundhausen-Hübsch hat schon längst vor dem Ferienbeginn bei mir wegen des Themas angerufen und nachgefragt. Die Themenformulierung stammt also nicht aus den letzten 48 Stunden.
Easy living – sorglos leben! Ich bin aus einem anderen Grund auf dieses Thema gestoßen. Mir hat da schon der Blick auf den Predigttext für den heutigen Sonntag gereicht. Vor allem auf den Wochenspruch, der ja aus dem Predigttext stammt.
Dass dieser Text dann auch noch gut in die Sommerferienzeit passt, kann ja nicht schaden. Wenn nur ein Gottesdienst gleich für mehrere Gemeinden stattfindet, ist das ja in gewissem Sinn auch eine Form des easy living – und entlastet die Pfarrerinnen und Pfarrer. Die Organistinnen und Organisten. Und die Kirchendienerinnen und Kirchendiener. Und – was noch wichtiger ist - es verbindet die Gemeinden! Und das ist nicht das schlechteste Motiv.
Also: Wie greift der Predigttext das Thema des leichten und sorglosen, besser vielleicht noch des entlasteten Lebens auf? Dazu lese ich ihn am besten einfach vor. Er findet sich im 1. Petrusbrief im 5. Kapitel. Der Briefschreiber ist nicht der Apostel Petrus, wie der Anfang des Briefes den Anschein erweckt. Vielmehr schreibt hier ein uns unbekannter Christ vermutlich in Rom an die ganze damals bekannte Christenheit, irgendwann kurz vor der Wende vom erste zum zweiten Jahrhundert – als Petrus längst den Märtyrertod gestorben ist.
Hören sie also auf die Verse 5 bis 11 des 5. Kapitels:
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.
Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.
Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Liebe Gemeinde! Die Zukunft ist wieder offen! Diesen Satz habe ich vor einiger Zeit in einem Zeitungsartikel gelesen. Man kann diesen Satz ganz unterschiedlich lesen und verstehen. Drei Varianten einer möglichen Deutung will ich darum nachfolgend in den Blick nehmen.
Deutung 1: Der brüllende Löwe
Zuerst die, die der Autor des Textes gemeint hat, aus dem dieser Satz stammt. Er versteht diesen Satz so: Nach den politischen Veränderungen der letzten drei Jahrzehnte war eigentlich Optimismus angesagt. Die große Ost-West-Konfrontation ist in sich zusammengebrochen. Deutsche Einheit, neue Formen internationaler Zusammenarbeit, Europa auf dem Vormarsch, die Beendigung vieler langjähriger Konflikte. Alles – so schien es – war auf einem guten Weg. Das Grundgefühl der Menschen war von einer positiven Grunderwartung geprägt.
Dann der plötzliche Umschlag. Neue Konflikte allenthalben. Der 11. September 2001. Afghanistan, Irak, Somalia, Ukraine, Libyen, Syrien. Dazu die großen Finanzkrisen. Das Flüchtlingsdrama. Das Erstarken rechter Parteien und Ideen. Polen und Ungarn. Donald Trump und die AfD.
Was auf gutem Weg war, scheint plötzlich aus den Fugen. Darum sei die Zukunft eben wieder offen.
Dem Schreiber des 1. Petrusbriefes ist diese verworrene Lage nicht fremd. Da war einer gekommen und hat das Reich Gottes angekündigt. Da haben die Anhängerinnen und Anhänger dieses Jesus aus Nazareth berichtet, da habe einer den Mächtigen und sogar dem Tod die Stirn geboten. Das Leben hatte plötzlich wieder Sinn und Perspektive.
Und was folgt waren: Verfolgung, Zerstreuung. Und der Rückzug in den Untergrund. Kein Wunder, wenn der Scheiber des 1. Petrusbriefes seine Leserinnen und Leser reinen Wein einschenkt: Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Ich finde, das trifft unsere Situation auch ziemlich gut. Das ist wie die Übersetzung des Die Zukunft ist wieder offen in biblische Sprache. Auch wenn wir uns den Teufel nicht mehr so leibhaftig vorstellen wie die Christinnen und Christen des ersten Jahrhunderts.
Was wir brauchen in diesen Tagen ist nichts anderes als die Menschen damals. Was wir brauchen, ist ein Weg, mit diesem brüllenden Löwen angemessen umzugehen. Deshalb will ich eine zweite Deutung des Satzes von der offenen Zukunft versuchen.
Deutung 2: Bleibt wachsam und wiedersteht
Was wir Menschen vor allem brauchen in solch unruhigen Zeiten, das ist Zuversicht. Und Vertrauen in die Zukunft. Ein solches Vertrauen stellt sich aber nicht einfach über Nacht ein. Es muss erarbeitet und gepflegt werden. Die Zukunft ist wieder offen, das bedeutet auch – und das ist meine zweite Deutung:
Die Zukunft ist keine Einbahnstraße in die Hölle. Sie liegt gewissermaßen in unseren Händen. Sie will und muss gestaltet werden.
Es braucht politische Überzeugungskraft. Es braucht diplomatisches Geschick. Es braucht vor allem Geduld. Und die Lust am Neuanfang.
Ich weiß: Alleine durch mich wird die Welt nicht besser. Aber wer sagt denn, dass ich nicht auch meinen Beitrag dazu leisten kann. Bleibt wachsam!, heißt es im 1. Petrusbrief. Und immer wieder geht’s ums Widerstehen. Weil Gott den Hochmütigen widersteht, wie’s im Text heißt – und die Hochmütigen, das sind die, die meinen, sie könnten den Gang der Dinge der Welt alleine bestimmen – weil Gott widersteht, können wir auch widerstehen – nämlich dem brüllenden Löwen. Denen, die mit einfachen und falschen Parolen andere klein machen und die Welt ins Unglück stürzen. Denen, die meinen, wir könnten die Welt mit unseren Waffen doch wieder besser machen – mit denen, die wir verkaufen, und mit denen, die in unserem Namen eingesetzt werden.
Widerstehen ist Christinnen- und Christenpflicht. Und wenn sie einmal überlegen, an welche Menschen wir uns am besten und mit dem größten Respekt erinnern, dann sind das die, die widerstanden haben. Die Märtyrer des Anfangs der Christenheit, die dem Kaiser widerstehen. Luther, der dem Kaiser und dem Papst wiedersteht. Dietrich Bonhoeffer, der dem Nazi-Regime widersteht. Martin Luther King, der der Diskriminierung der Schwarzen widersteht. Und neben de großen Namen gibt es unzählige weitere, die widerstanden und sich einen Namen gemacht haben – zumindest bei Gott.
Widerstehen – den Mund aufmachen, wo über andere schlecht geredet wird; dem Rad in die Speichen greifen, wenn alles in die falsche Richtung läuft - als einzelne sind wir dazu aufgefordert. Als Gemeinden. Als Kirche. Aber auch als Gesellschaft.
Und wir können das, weil die Zukunft nicht fatalistisch feststeht. Weil eben nicht alles automatisch in die falsche Richtung läuft. Wir haben Gestaltungsspielräume. Viel mehr als wir oft wahrhaben wollen. Diese Überzeugung gehört elementar zu unserem Glauben dazu.
Nein, die Welt ist sicher nicht am Ende. Am Ende sind höchstens unsere irrigen Hoffnungen, alles würde sich auch ohne uns, ohne Engagement, in die richtige Richtung entwickeln. Und wir könnten uns fein heraushalten.
Der 1. Petrusbrief ermutigt uns, Verantwortung zu übernehmen. Aber es bleibt noch eine dritte Deutung des Satzes von der offenen Zukunft – und dann geht’s endlich und wirklich um das easy living – das sorglose Leben!
Deutung 3: Werft eure Sorgen weg - auf ihn!
Die Zukunft ist wieder offen – das sollte vor allem ein Satz der Ermutigung sein. Und ein Satz der Entlastung. Ich muss die Welt nicht retten. Und schon gar nicht alleine! Ich muss mir von den Sorgen - den großen und den kleinen – nicht die Lust am Leben nehmen lassen.
Ich muss es nicht machen, weil ich’s alleine gar nicht kann. Und weil ich es alleine auch nicht muss. All euer Sorgen werft auf ihn. Das ist der Wochenspruch für diese Woche.
Das ist ein Programm der Entlastung. Und es ist noch einmal eine Deutung des Satzes Die Zukunft ist wieder offen.
Der dunkle Schleier, der sich jeden Tag auf meine Seele zu legen scheint. Die tagtäglichen Überforderungen, die kleinen, im ganz persönlichen, und die großen, die die Medien über uns ausschütten und die uns oft schon die Lust und die Luft nehmen, uns zu informieren – wir können sie ablegen. Wir sollen sie einem anderen vor die Füße werfen. All euer Sorgen werft auf ihn!
Ja, wenn’s so einfach wäre! Wie sieht ein Glaube aus, dem das gelingt? Wenn er denn ein redlicher Glaube bleiben möchte. Und keine Vertröstungsideologie. Wie kann ich glauben, dass die Zukunft offen ist?
Kurz gesagt: Indem ich den Sack der Sorgen zu einem Füllhorn gelingenden Lebens verwandeln lasse. Indem ich Verantwortung übernehme – ohne zu meinen, es käme nur auf mich an. Indem ich handle im Wissen, dass mir das Entscheidende im Leben allemal als Geschenk zukommt. Unverdient. Gratis wie wir sagen. Und in Gratis steckt das Wort gratia drin – und gratia heißt Gnade.
Gnade, dieser große, scheinbar nur schwer verständliche Begriff, er meint vor allem und zuallererst einen Sinneswandel. Meine eine Neu-Auslotung der Möglichkeiten, die in uns liegen. Meint eine Neu-Ausrichtung unseres Glaubens. Und vieles wird wahr, was wir vorher gar nicht im Blick hatten.
Das ist easy living – das meint sorglos leben. Nicht die Sorgen verdrängen. Sondern ihnen die Macht nehmen über mein Leben. Sie wegwerfen. Im Vertrauen, dass Gott diese Welt nicht aus den Händen gibt. Im Wissen, dass mir immer noch die Möglichkeit der Fürbitte bleibt, wenn meinem Engagement Grenzen gesetzt sind.
Fürbitte halten meint, die Welt und die Menschen in ihr so sehen, wie sie ist – dies aber im Wissen um die Gegenwart Gottes tun. Die Welt also gewissermaßen vor Gott ins Gebet nehmen. Und sie aus der Perspektive Gottes neu sehen lernen. Sich die Welt als graziös vor Augen stellen lassen. Als durch Gottes Gnade in ein anderes Licht gesetzt. Denn auch in graziös ist das Wort Gnade, gratia, verborgen.
Diese graziöse, diese gnaden-behaftete Erfahrung wünsche ich ihnen. Diese Entdeckung der Möglichkeit, in allem Trubel in der Sorglosigkeit und in der Heiterkeit des Glaubens zu leben. Des Glaubens, dass Gott uns unsere Zukunft offen hält.
Ferienzeit, Sommerzeit – das meint auch die Möglichkeit, unserem Denken, unserer Art zu leben, eine neue Chance, eine neue Wendung zu geben. Darum wünsche ich ihnen tatschlich, dass sie sich einen Zipfel dieser neuen Sorglosigkeit hinüberretten in die Wochen und Monate, die jetzt vor uns liegen. Wenn sie diesen Zipfel der offenen Zukunft zu fassen bekommen, reicht das allemal zum Leben. Mehr braucht’s gar nicht. Amen.
Nur: Das Motto dieses Gottesdienstes ist älter als die Sommerferien. Frau Hundhausen-Hübsch hat schon längst vor dem Ferienbeginn bei mir wegen des Themas angerufen und nachgefragt. Die Themenformulierung stammt also nicht aus den letzten 48 Stunden.
Easy living – sorglos leben! Ich bin aus einem anderen Grund auf dieses Thema gestoßen. Mir hat da schon der Blick auf den Predigttext für den heutigen Sonntag gereicht. Vor allem auf den Wochenspruch, der ja aus dem Predigttext stammt.
Dass dieser Text dann auch noch gut in die Sommerferienzeit passt, kann ja nicht schaden. Wenn nur ein Gottesdienst gleich für mehrere Gemeinden stattfindet, ist das ja in gewissem Sinn auch eine Form des easy living – und entlastet die Pfarrerinnen und Pfarrer. Die Organistinnen und Organisten. Und die Kirchendienerinnen und Kirchendiener. Und – was noch wichtiger ist - es verbindet die Gemeinden! Und das ist nicht das schlechteste Motiv.
Also: Wie greift der Predigttext das Thema des leichten und sorglosen, besser vielleicht noch des entlasteten Lebens auf? Dazu lese ich ihn am besten einfach vor. Er findet sich im 1. Petrusbrief im 5. Kapitel. Der Briefschreiber ist nicht der Apostel Petrus, wie der Anfang des Briefes den Anschein erweckt. Vielmehr schreibt hier ein uns unbekannter Christ vermutlich in Rom an die ganze damals bekannte Christenheit, irgendwann kurz vor der Wende vom erste zum zweiten Jahrhundert – als Petrus längst den Märtyrertod gestorben ist.
Hören sie also auf die Verse 5 bis 11 des 5. Kapitels:
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.
Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.
Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Liebe Gemeinde! Die Zukunft ist wieder offen! Diesen Satz habe ich vor einiger Zeit in einem Zeitungsartikel gelesen. Man kann diesen Satz ganz unterschiedlich lesen und verstehen. Drei Varianten einer möglichen Deutung will ich darum nachfolgend in den Blick nehmen.
Deutung 1: Der brüllende Löwe
Zuerst die, die der Autor des Textes gemeint hat, aus dem dieser Satz stammt. Er versteht diesen Satz so: Nach den politischen Veränderungen der letzten drei Jahrzehnte war eigentlich Optimismus angesagt. Die große Ost-West-Konfrontation ist in sich zusammengebrochen. Deutsche Einheit, neue Formen internationaler Zusammenarbeit, Europa auf dem Vormarsch, die Beendigung vieler langjähriger Konflikte. Alles – so schien es – war auf einem guten Weg. Das Grundgefühl der Menschen war von einer positiven Grunderwartung geprägt.
Dann der plötzliche Umschlag. Neue Konflikte allenthalben. Der 11. September 2001. Afghanistan, Irak, Somalia, Ukraine, Libyen, Syrien. Dazu die großen Finanzkrisen. Das Flüchtlingsdrama. Das Erstarken rechter Parteien und Ideen. Polen und Ungarn. Donald Trump und die AfD.
Was auf gutem Weg war, scheint plötzlich aus den Fugen. Darum sei die Zukunft eben wieder offen.
Dem Schreiber des 1. Petrusbriefes ist diese verworrene Lage nicht fremd. Da war einer gekommen und hat das Reich Gottes angekündigt. Da haben die Anhängerinnen und Anhänger dieses Jesus aus Nazareth berichtet, da habe einer den Mächtigen und sogar dem Tod die Stirn geboten. Das Leben hatte plötzlich wieder Sinn und Perspektive.
Und was folgt waren: Verfolgung, Zerstreuung. Und der Rückzug in den Untergrund. Kein Wunder, wenn der Scheiber des 1. Petrusbriefes seine Leserinnen und Leser reinen Wein einschenkt: Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Ich finde, das trifft unsere Situation auch ziemlich gut. Das ist wie die Übersetzung des Die Zukunft ist wieder offen in biblische Sprache. Auch wenn wir uns den Teufel nicht mehr so leibhaftig vorstellen wie die Christinnen und Christen des ersten Jahrhunderts.
Was wir brauchen in diesen Tagen ist nichts anderes als die Menschen damals. Was wir brauchen, ist ein Weg, mit diesem brüllenden Löwen angemessen umzugehen. Deshalb will ich eine zweite Deutung des Satzes von der offenen Zukunft versuchen.
Deutung 2: Bleibt wachsam und wiedersteht
Was wir Menschen vor allem brauchen in solch unruhigen Zeiten, das ist Zuversicht. Und Vertrauen in die Zukunft. Ein solches Vertrauen stellt sich aber nicht einfach über Nacht ein. Es muss erarbeitet und gepflegt werden. Die Zukunft ist wieder offen, das bedeutet auch – und das ist meine zweite Deutung:
Die Zukunft ist keine Einbahnstraße in die Hölle. Sie liegt gewissermaßen in unseren Händen. Sie will und muss gestaltet werden.
Es braucht politische Überzeugungskraft. Es braucht diplomatisches Geschick. Es braucht vor allem Geduld. Und die Lust am Neuanfang.
Ich weiß: Alleine durch mich wird die Welt nicht besser. Aber wer sagt denn, dass ich nicht auch meinen Beitrag dazu leisten kann. Bleibt wachsam!, heißt es im 1. Petrusbrief. Und immer wieder geht’s ums Widerstehen. Weil Gott den Hochmütigen widersteht, wie’s im Text heißt – und die Hochmütigen, das sind die, die meinen, sie könnten den Gang der Dinge der Welt alleine bestimmen – weil Gott widersteht, können wir auch widerstehen – nämlich dem brüllenden Löwen. Denen, die mit einfachen und falschen Parolen andere klein machen und die Welt ins Unglück stürzen. Denen, die meinen, wir könnten die Welt mit unseren Waffen doch wieder besser machen – mit denen, die wir verkaufen, und mit denen, die in unserem Namen eingesetzt werden.
Widerstehen ist Christinnen- und Christenpflicht. Und wenn sie einmal überlegen, an welche Menschen wir uns am besten und mit dem größten Respekt erinnern, dann sind das die, die widerstanden haben. Die Märtyrer des Anfangs der Christenheit, die dem Kaiser widerstehen. Luther, der dem Kaiser und dem Papst wiedersteht. Dietrich Bonhoeffer, der dem Nazi-Regime widersteht. Martin Luther King, der der Diskriminierung der Schwarzen widersteht. Und neben de großen Namen gibt es unzählige weitere, die widerstanden und sich einen Namen gemacht haben – zumindest bei Gott.
Widerstehen – den Mund aufmachen, wo über andere schlecht geredet wird; dem Rad in die Speichen greifen, wenn alles in die falsche Richtung läuft - als einzelne sind wir dazu aufgefordert. Als Gemeinden. Als Kirche. Aber auch als Gesellschaft.
Und wir können das, weil die Zukunft nicht fatalistisch feststeht. Weil eben nicht alles automatisch in die falsche Richtung läuft. Wir haben Gestaltungsspielräume. Viel mehr als wir oft wahrhaben wollen. Diese Überzeugung gehört elementar zu unserem Glauben dazu.
Nein, die Welt ist sicher nicht am Ende. Am Ende sind höchstens unsere irrigen Hoffnungen, alles würde sich auch ohne uns, ohne Engagement, in die richtige Richtung entwickeln. Und wir könnten uns fein heraushalten.
Der 1. Petrusbrief ermutigt uns, Verantwortung zu übernehmen. Aber es bleibt noch eine dritte Deutung des Satzes von der offenen Zukunft – und dann geht’s endlich und wirklich um das easy living – das sorglose Leben!
Deutung 3: Werft eure Sorgen weg - auf ihn!
Die Zukunft ist wieder offen – das sollte vor allem ein Satz der Ermutigung sein. Und ein Satz der Entlastung. Ich muss die Welt nicht retten. Und schon gar nicht alleine! Ich muss mir von den Sorgen - den großen und den kleinen – nicht die Lust am Leben nehmen lassen.
Ich muss es nicht machen, weil ich’s alleine gar nicht kann. Und weil ich es alleine auch nicht muss. All euer Sorgen werft auf ihn. Das ist der Wochenspruch für diese Woche.
Das ist ein Programm der Entlastung. Und es ist noch einmal eine Deutung des Satzes Die Zukunft ist wieder offen.
Der dunkle Schleier, der sich jeden Tag auf meine Seele zu legen scheint. Die tagtäglichen Überforderungen, die kleinen, im ganz persönlichen, und die großen, die die Medien über uns ausschütten und die uns oft schon die Lust und die Luft nehmen, uns zu informieren – wir können sie ablegen. Wir sollen sie einem anderen vor die Füße werfen. All euer Sorgen werft auf ihn!
Ja, wenn’s so einfach wäre! Wie sieht ein Glaube aus, dem das gelingt? Wenn er denn ein redlicher Glaube bleiben möchte. Und keine Vertröstungsideologie. Wie kann ich glauben, dass die Zukunft offen ist?
Kurz gesagt: Indem ich den Sack der Sorgen zu einem Füllhorn gelingenden Lebens verwandeln lasse. Indem ich Verantwortung übernehme – ohne zu meinen, es käme nur auf mich an. Indem ich handle im Wissen, dass mir das Entscheidende im Leben allemal als Geschenk zukommt. Unverdient. Gratis wie wir sagen. Und in Gratis steckt das Wort gratia drin – und gratia heißt Gnade.
Gnade, dieser große, scheinbar nur schwer verständliche Begriff, er meint vor allem und zuallererst einen Sinneswandel. Meine eine Neu-Auslotung der Möglichkeiten, die in uns liegen. Meint eine Neu-Ausrichtung unseres Glaubens. Und vieles wird wahr, was wir vorher gar nicht im Blick hatten.
Das ist easy living – das meint sorglos leben. Nicht die Sorgen verdrängen. Sondern ihnen die Macht nehmen über mein Leben. Sie wegwerfen. Im Vertrauen, dass Gott diese Welt nicht aus den Händen gibt. Im Wissen, dass mir immer noch die Möglichkeit der Fürbitte bleibt, wenn meinem Engagement Grenzen gesetzt sind.
Fürbitte halten meint, die Welt und die Menschen in ihr so sehen, wie sie ist – dies aber im Wissen um die Gegenwart Gottes tun. Die Welt also gewissermaßen vor Gott ins Gebet nehmen. Und sie aus der Perspektive Gottes neu sehen lernen. Sich die Welt als graziös vor Augen stellen lassen. Als durch Gottes Gnade in ein anderes Licht gesetzt. Denn auch in graziös ist das Wort Gnade, gratia, verborgen.
Diese graziöse, diese gnaden-behaftete Erfahrung wünsche ich ihnen. Diese Entdeckung der Möglichkeit, in allem Trubel in der Sorglosigkeit und in der Heiterkeit des Glaubens zu leben. Des Glaubens, dass Gott uns unsere Zukunft offen hält.
Ferienzeit, Sommerzeit – das meint auch die Möglichkeit, unserem Denken, unserer Art zu leben, eine neue Chance, eine neue Wendung zu geben. Darum wünsche ich ihnen tatschlich, dass sie sich einen Zipfel dieser neuen Sorglosigkeit hinüberretten in die Wochen und Monate, die jetzt vor uns liegen. Wenn sie diesen Zipfel der offenen Zukunft zu fassen bekommen, reicht das allemal zum Leben. Mehr braucht’s gar nicht. Amen.