500 JAHRE REFORMATION – EIN SEGEN FÜR DIE REGION
PREDIGT BEIM BEZIRKSKIRCHENTAG
DES KIRCHENBEZIRKS NECKARGEMÜND-EBERBACH
AM SONNTAG, DEN 24. SEPEMBER 2017
(15. SONNTAG NACH TRINITATIS)
IN DER STADTHALLE EBERBACH

24.09.2017
Liebe Gemeinde!

„Evangelisch-Sein ist nichts Besonderes, sondern etwas Bestimmtes.“ Von Richard Schröder stammt dieser Satz, Theologe, Philosoph, zeitweise auch Politiker. „Evangelisch-Sein ist nichts Besonderes, sondern etwas Bestimmtes.“ Das Thema des Evangelisch-Seins ist uns ans Herz gelegt in diesem Jahr - 500 Jahre nachdem Martin Luther seine Thesen veröffentlicht und gewissermaßen den Startschuss gegeben hat für das Evangelisch-Sein.

Das Lied, das wir eben gesungen haben, dieses „Ein feste Burg ist unser Gott!“ – das war über Jahrhunderte die Hymne der Evangelischen. Selbstbewusst, kämpferisch und in Abgrenzung von anderen Weisen des Christin- oder Christ-Seins wurde dieses Lied gesungen. Und das Evangelisch-Sein wurde sehr wohl als etwas ganz Besonderes verstanden und nicht nur als etwas Bestimmtes.

500 Jahre nach dem Wittenberger Thesenanschlag sind die Töne leiser und ihr Geist ökumenischer. Das ist gut so. Und das „Wörtlein“ das den „Fürsten dieser Welt“ fällen kann, ist wieder das Wörtlein des Glaubens an einen anderen – und nicht mehr vor allem Ausweis unserer Überzeugung, dass wir allein auf dem rechten Weg des Glaubens sind.

Aber die Frage ist noch nicht erledigt: Was hat es nun auf sich mit unserem Evangelisch-Sein? Denn dass das, was sich da zugetragen hat vor 500 Jahren, segensreich war, in höchstem Maße segensreich, gerade auch für diese Region, in der sie leben, das ist ja das Motto dieses Bezirkskirchentages. Und ein Bekenntnis dazu. Und auch das ist gut so!

Ich will auf diese 500 Jahre Reformation zurückblicken, indem ich erst einmal in die Zukunft gehe. Und sie einlade, sich mit mir auf diese kleine Zeitreise zu begeben. Ich stelle mir vor, wir schreiben das Jahr 2042, 25 Jahre nach dem großen Reformationsgedenken. Ich schlendere irgendwo in der Region über einen Flohmarkt. Ich entdecke ein Antiquariat. Und dort fällt mir ein Buch in die Hände. Dreimal ist der große Buchstabe „R“ auf dem Titelblatt zu lesen. Und als ich genauer hinsehe, kann ich den ganzen Titer lesen: Der Reichtum der Reformation in der Region – Dokumentation des Bezirkskirchentages des Kirchenbezirkes Neckargemünd-Eberbach im Jahre 2017 – 500 Jahre nach der Reformation.

Schön aufgemacht ist das Buch. Vorne ein Begrüßungswort des Dekans. Und ein Grußwort des Bürgermeisters und des katholischen Pfarrers. Der Schuldekan beschreibt die bezirklichen Aktivitäten. Die Öffentlichkeitsbeauftragte fungiert als Herausgeberin.

Interessiert blättere ich weiter. Da steht ein Bibelvers. Römer 10,17: „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“ Auf den nächsten Seiten folgen eine ganze Reihe von Darstellungen von Bürgern der Region: Flößer, Schiffer, Gerber, Zimmerleute. Und nicht nur Männer, auch manche Frau ist darunter. Der Hans und die Gerda! Der Martin und der Nikolaus. Der Philipp und der Zacharias. Die Flavia und die Elisabeth. Auch der damalige Eberbacher Schultheiß wird namentlich genannt.

Und alle beschrieben, wie es ihnen in ihrer Kirche ergangen ist. Fast alle Orte der Region sind vertreten: „Das Wort des Predigers ging mir durch’s Herz!“, stand da zu lesen. „Eine neue Art, die Bibel auszulegen!“ „Meine Nöte konnt’ ich loswerden – und spüren: Ich bin Gott recht!“ „Dem Ablass haben wir den Abschied gegeben. Und uns auf diesen Christus verlassen!“ „Und die Lieder erst – die trieben die Teufel allesamt aus der Stadt!“

Beim Lesen war’s fast mit den Händen zu greifen: Diese Predigten haben die Welt verändert. Und die Kirche dazu. Den Menschen das Herz warm gemacht.“

Und am Ende der lapidare dankbare Satz: Reformatorische Predigten in unseren Städten und Dörfern – die neue Lehre aus Genf und Wittenberg in unserer Region – was für ein Reichtum in der Region - einfach nur segensreich!

Ich blättere weiter. Und wieder folgt eine Seite mit einem einzigen Spruch aus der Bibel. Hebräer 13,7: Gedenkt eurer Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt dem Beispiel ihres Glaubens.

Auf der nächsten Seite entdecke ich Namen derer, die die Reformation in der Region angestoßen und die Pfarrer für die neue Art des Predigens gewonnen haben. Einer fällt mir besonders auf. Jakob Otter. Mein Blick fällt auf ihn, weil er 1518 Pfarrer in Wolfenweiler war. Das Dorf kenne ich, denke ich. Da bin ich doch geboren. Aber hier ganz in der Nähe, in Neckarsteinach habe Otter dann die Reformation eingeführt. Heute hessisch, aber doch nicht aus der Welt. Im Badischen habe er zuvor gewirkt. In Kenzingen. Später in Rottenburg. In Straßburg und in der Schweiz. Und der Reformator von Eßlingen sei er dann auch noch gewesen.

Andere Namen stehen da. Martin Bucer. Johannes Oecolampad. Caspar Hedio. Zachrias Ursinus. Aber auch der Name von Olympia Fulvia Morata. Keine der hier genannten Personen, die nur an einem Ort gewirkt hat. Immer neu sind sie aufgebrochen. Hierhergekommen, weil sie der Reformation und dem neuen Denken aufhelfen wollten. Oder weil sie auf der Flucht gewesen sind.

Reformatoren und Denkerinnen. Hier in nächster Nähe. Oder in Heidelberg und in Mosbach. Und am Ende der Beschreibungen ihres Wirkens der dankbare und lapidare Satz: Das Wirken dieser Menschen hat die Welt verändert. Und die Kirche dazu. Wir haben ihnen unendlich viel zu verdanken. Weil sie auch hierher zu uns gekommen sind. Die Reformatoren – das sind nicht nur Luther und Melanchthon. Nicht nur Calvin und Zwingli. Den Reformatoren der zweiten Reihe haben wir hier alles zu verdanken. Was für ein Reichtum hier in der Region Region - einfach nur segensreich!

Auf der nachfolgenden Seite noch einmal ein Satz aus der Bibel. Psalm 146,3: Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen. – Und handschriftlich wurde – wie aus Protest - ergänzt: Aber manche haben doch geholfen, wie Friedrich der Weise dem Luther. Oder der Ottheinrich hier bei uns.

Und auf der nächsten Seite kann man dann schon den Ottheinrich sehen – Kurfürst von der Pfalz und der, der 1556 die Reformation eingeführt hat. So korpulent und kräftig dargestellt, dass er die ganze Seite füllt. Sein Onkel Friedrich II. hatte zuvor schon einmal einen Versuch unternommen. Friedrich III. gibt dann den Heidelberger Katechismus in Auftrag.

Seit 1555 bestimmen die Landesherren die Religion ihrer Untertanen. Mal sind sie lutherisch, mal reformiert. Mal wieder katholisch. Aber dass die Reformation Bestand hat und Fuß fasst. Dass das Evangelisch-Sein in einer neuen Kirche Gestalt gewinnt, wo die alte weggebrochen war, das hat sie vielfach den Fürsten zu verdanken. Nicht nur den großen. Auch den Herren vieler kleiner Ländereien.

Manche Fürsten sind Oberhaupt der Kirche geblieben, haben als Notbischöfe gewirkt, wie die Reformatoren gesagt haben. Auch der badische Großherzig bis 1918.

Und am Ende steht wieder ein einfacher, dankbarer lapidarer Satz: Dass die Obrigkeit die Reformation nicht nur verhindert, sondern sie vielfach gefördert hat – dass die Landesherren sich auch um den Glauben ihrer Bürgerinnen und Bürger gekümmert haben – Grund zur Dankbarkeit ist es. Dass die Bürgerinnen und Bürger manchmal nicht mehr wussten, ob sie am Morgen schon reformiert sind, nachdem sie noch lutherisch zu Bett gegangen waren, das sei freilich nicht verhehlt. Trotzdem und in allem: Das segensreiche Wirken vieler Landesherren und Obrigkeiten, wie man damals gesagt hat – was für ein Reichtum – auch hier in der Region - einfach nur segensreich!

Hier ist eine Seite eingeschoben. Eine bedeutende Wahl sei am Tag des Bezirkskirchentags gewesen, steht da zu lesen. Deshalb sei an dieser Stelle das Wahlergebnis vermerkt. Und ein ausdrücklicher Dank, dass sich Christinnen und Christen in der Politik engagierten. Und Politiker sich zur Kirche bekennen.

Ich blättere weiter. Und immer wieder neu: Grund zur Dankbarkeit. Im Wirken vieler Kirchenmusiker. Konzerte haben sie zur Aufführung gebracht. Lieder haben sie geschrieben. Chöre gegründet und gefördert. Bis heute! Was für ein Reichtum in der Region1

Der Diakonie ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Fürsorge für die Kranken. Gründung von Kindergärten. Besuchsdienste. Lange bevor Wichern die neuere Diakonie im 19. Jahrhundert gegründet hat. Aber bis heute, wo die Diakonie in den Gemeinden und im Diakonischen Werk vielfältige und segensreiche Wirkung entfaltet.

Viele weiter Kapitel folgen: Die Arbeit der Erwachsenenbildung. Der schulische Religionsunterricht. Die Jugendarbeit in der Region. Kurse zum Glauben. Fundraising. Hospizarbeit. Der Verkauf fair gehandelter Produkte. Ob der Fülle wird mir schwindelig. Ich kann nur noch blättern und die Seiten überfliegen.

Die gemeindlichen und bezirklichen Initiativen werden aufgelistet: Der Einsatz für Menschen auf der Flucht. Initiativen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Die Umsetzung der Inklusion auf allen Ebenen der Gemeinden. Auch hier wieder eine Fülle an segensreichem Engagement.

Und dann in einem eigenen Kapitel noch ein Blick die Leistungen der Ehrenamtlichen. Männer und Frauen, die ihre Gemeinde mitgeleitet haben. Als Älteste und Kirchengemeinderäte. Als Synodale im Bezirk und auf Landesebene. Auf einem Bild ist sogar die Überreichung des Bundesverdienstkreuzes an einen hochverdienten Ehrenamtlichen zu sehen. Und am Ende immer der Satz: Was für ein Reichtum für die Region - einfach nur segensreich!

Am Ende folgt ein Nachwort. Ein Dank des Prälaten. Und dazwischen irgendwo der Satz: Evangelisch-Sein ist nicht nur etwas Bestimmtes. Es ist auch etwas Besonderes. Es ist Anlass zur Dankbarkeit. Weil das Evangelisch-Sein vor Ort gelebt wird. Nicht nur vor 500 Jahren. Und nicht nur in Wittenberg und Genf. Weil wir evangelisch sind in den Gemeinden und in unseren Einrichtungen vor Ort. Weil wir evangelisch sind in der Region und im Bezirk. Evangelisch im Kirchenbezirk Neckargemünde-Eberbach. Bis heute. Einfach nur segensreich!

Ich zögere nicht und kaufe das Buch. 25 Jahre ist das her, denke ich. 2042. Und noch immer gibt es Kirche in der Region. Und in noch viel stärkerer ökumenischer Verbundenheit. Dreimal „R“ stand auf dem Titelblatt. Richtig: Der Reichtum der Reformation in der Region. Höchste Zeit, auch diesen Reichtum zu teilen. Gemeinsam Kirche zu sein in der Region. Wie segensreich ist das! Das lasst uns feiern. 2017 und 2042 dann wieder. Wie segensreich ist das! Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.