Morgen-Impuls

06.07.2022

Mit der aktuellen Situation der Orthodoxie wollen wir uns heute beschäftigen. Für mich ist das Anlass, dass wir uns ein klein wenig auf die Spurensuche des Orthodoxen machen. Uns dem Begriff „orthodox“ annähern.

Die erste Annäherung ist die, die ursprüngliche Wortbedeutung in den Blick zu nehmen. Im Grunde heißt orthodox einfach nur rechtgläubig. So verstanden sind wir hoffentlich alle ein wenig orthodox. Ganz falsch wollen wir mit unserem Glauben ja nicht liegen. Orthodox hieße dann zunächst, dass wir uns mit unserem Glauben bei aller Individualität zwischen den Planken der Tradition und des Bekenntnisses bewegen, den biblischen Grundlagen verpflichtet sind und in der Lage, unseren Glauben und den anderen irgendwie in Beziehung zu setzen. Ein durchaus positiv konnotierter Begriff also.

So weit so gut. Wenn man den Boden eines rein religiösen Verständnisses verlässt, sieht es dann schon anders aus. Im Internet habe ich folgende Wortalternativen und Übersetzungsvarianten des Begriffes orthodox gefunden: der reinen Lehre verpflichtet, dogmatisch puristisch, (von) strenger Observanz, wenig variabel, dickköpfig, eigensinnig, hartnäckig, starrköpfig, starrsinnig, stur, unnachgiebig, verbohrt.

Und statt rechtgläubig wird meist strenggläubig als wörtliche Übersetzung angeboten. So verstanden will ich wahrhaftig nicht orthodox sein. Wer will sich selber in eine solche Ecke gestellt und aus der Zuschreibung der Anschlussfähigkeit herauskatapultiert sehen. Wir sind dann, so verstanden, hoffentlich alle wenig oder gar nicht orthodox.

Mein dritter Zugang kehrt in die Welt der Religionen zurück. Orthodoxe gibt es ja nicht nur im Christentum. Orthodox ist die Zuschreibung einer eher konservativen Strömung im Judentum, getopt nur noch durch den Zusatz „ultra“ – ultraorthodox. Orthodox heißt dann, am ursprünglichen in einem eher gegenwartsfremden, vormodernen Sinn festzuhalten. Nicht zu spüren, dass die Welt sich längst weitergedreht hat. Solche Zuschreibungen des Orthodoxen gibt es auch bei uns. Orthodoxe Lutheraner. Übrigens auch orthodoxe Marxisten – beide hängen irgendwie an ihren Gründungsfiguren, haben sich aber aus der Realität, so meinen wir, längst abgemeldet.

Vieles schwingt mit, wenn wir uns mit der Orthodoxie als einer der drei großen christlichen Konfessions-Familien beschäftigen. Dabei ist hier die Wahrheit zunächst eher unpolemisch. Die Orthodoxie beschreibt einfach den- zunächst - östlichen Teil der Christenheit, nach der großen Spaltung vor knapp 1000 Jahren. Dieser wollte so orthodox, d.h. richtig gläubig sein, orthos – so wie die Re-Formatoren sich auf's Re- aufs zurück zu den rechten Anfängen - bezogen haben oder die Alt-Katholiken auf das Alte als das ursprünglich Richtige und Gültige.

Orthodox – also nicht ganz ohne Anspruch auf Wahrheit, mit etwas Polemik beigemengt – und in diesem Sinne sind wir hoffentlich doch alle ein wenig orthodox.

Die Frage, wie sich die Orthodoxie byzantinischer oder altorientalische Tradition heute versteht, und welche Rolle sie im aktuellen Krisenherd der Ukraine spielt, steht noch ein ´mal auf einem ganz anderen Blatt. Aber dazu werden andere dann gleich Profundes beitragen.

Schließen möchte ich mit einem orthodoxen Morgengebet:

Erwacht aus dem Schlafe, fallen wir nieder vor Dir, Gütiger, und singen Dir, dem Mächtigen, das Loblied der Engel: Heilig, heilig, heilig bist Du, o Gott. Um der Engel willen erbarme Dich unser.

Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste.

Vom Lager und aus dem Schlafe hast Du mich erweckt, o Herr. Erleuchte meinen Verstand und mein Herz. Öffne meine Lippen, Dir zu singen, heilige Dreifaltigkeit: Heilig, heilig, heilig bist Du, o Gott. Um der Heiligen willen erbarme Dich unser.

Jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.